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»Was denn?«

»Dass diese Schweinehunde so weit geritten sein sollen, um Vorräte zu holen. Hat das nicht der Major gesagt, Sir?«

»Ja.« Von den französischen Truppen wurde erwartet, dass sie sich an Ort und Stelle Nahrung beschafften, dass sie stahlen, was sie konnten, um am Leben zu bleiben. Allerdings konnte Sharpe genau wie Williams nicht glauben, dass sich die feindlichen Reiter bis zu diesem entlegenen Dorf durchgeschlagen haben sollten, solange es in den Tälern andere, verlockendere Ortschaften gab. »Das waren dieselben Männer«, sagte er, »die uns auf der Straße überfallen haben.« Und das hatte sich für Sharpe in gewisser Hinsicht zum Vorteil ausgewirkt, weil die französischen Dragoner, die der Versuchung nicht widerstehen konnten, von den erbeuteten Büchsen Gebrauch zu machen, sich als unfähig erwiesen hatten, mit den fremdartigen Waffen umzugehen.

Sergeant Williams nickte. »Den Halunken im roten Rock meinen Sie?«

»Ja. Und den Burschen in Schwarz.«

»Ich bin überzeugt, dass sie hinter der Kiste her sind, die die Spanier dabeihaben.« Williams senkte die Stimme, als befürchte er, von einem der schlafenden Cazadores belauscht zu werden. »Diese Art Kisten benutzt man, um Juwelen zu transportieren, nicht wahr? Möglich, dass dieses Ding eine Riesensumme enthält, Sir.«

»Major Vivar behauptet, es sind Papiere drin.«

»Papiere!«, sagte der Sergeant verächtlich.

»Nun ja, ich denke nicht, dass wir es je herausfinden werden«, lenkte Sharpe ein. »Und an deiner Stelle wäre ich nicht zu naseweis, Sergeant. Der Major hat was gegen Neugierde.«

»Nein, Sir.« Williams schien enttäuscht zu sein über seinen Mangel an Enthusiasmus.

Aber Sharpe ging es nur darum, die eigene Neugier zu verbergen. Nach einigen Momenten unverbindlichen Geplauders und nachdem er dem Sergeant gute Nacht gewünscht hatte, entfernte er sich mit leisen, langsamen Schritten in Richtung Kirche. Dabei nutzte er die Verstohlenheit, die er als Kind in einem Londoner Elendsviertel gelernt hatte, wo ein Junge, der nicht stehlen lernte, unweigerlich verhungert wäre.

Er umrundete die Kirche, dann blieb er lange in den Schatten am Portal stehen. Er horchte. Er vernahm das Knistern des Feuers und das zunehmende Geräusch des Windes, sonst nichts. Doch er wartete und strengte sich an, wenigstens einen Laut aus dem Innern des alten Steinbaus zu hören. Immer noch nichts. Er konnte die herabgestürzten und verbrannten Balken des Gebäudes riechen, in dem nichts an die Gegenwart eines Menschen gemahnte. Die Spanier, die ihm am nächsten waren, hatten sich dreißig Schritt von ihm entfernt in ihre Mäntel eingerollt und schliefen.

Das Kirchenportal stand offen. Sharpe hatte sich durch den Spalt gezwängt und blieb stehen.

Mondlicht erhellte die heilige Stätte. Die Mauern waren vom Feuer geschwärzt, der Altar verschwunden, doch Vivars Männer hatten der Entweihung der Stätte ein Ende bereitet. Sie hatten die verbrannten Dachbalken weggeräumt, sodass ein Mittelgang entstand, der zu den Altarstufen führte. Am oberen Ende dieser Stufen stand, schwarz wie die Mauern, die Schatztruhe.

Sharpe wartete. Er sah sich in dem kleinen Innenraum um, ob sich irgendwo etwas bewegte, konnte jedoch nichts entdecken. An der südlichen Wand der Kirche befand sich eine kleine schwarze Öffnung, sonst gab es kein Fenster. Auch dort war nichts zu erkennen als Dunkelheit, und Sharpe nahm an, dass es sich um einen Schrank oder ein eingelassenes Stellbrett handle.

Sharpe trat zwischen die herabgestürzten Dachbalken, von denen einige noch schwelten. Einmal zermalmte seine lose rechte Sohle einen Klumpen schwarz verbrannten Holzes, aber das war das einzige Geräusch, das er verursachte.

Er blieb am Fuß der beiden Stufen stehen, die zum Altar führten, und ging in die Hocke. Auf dem Deckel der Truhe lag ein Rosenkranz aus schwarzem Gagat. Das winzige Kruzifix schimmerte im Mondlicht. In dieser Kiste, dachte Sharpe, war etwas verborgen, das französische Soldaten tief ins eisige Hochland zu locken vermochte. Vivar hatte behauptet, es handle sich um Papiere, aber selbst die Frömmsten unter den Männern würden nicht darauf kommen, Papiere durch ein Kruzifix zu schützen.

Die Truhe war in Öltuch gewickelt, das fest vernäht war. Während des Kampfes hatten sich zwei Kugeln in die große Kiste eingegraben. Sharpe tastete die Löcher ab, spürte die verklumpten Kugeln und dahinter die harte Glätte des Holzes. Er zeichnete mit dem Finger die Konturen der Haspen und Vorhängeschlösser unter dem Öltuch nach. Die Schlösser hatten jene altmodische Kugelform, von der Sharpe wusste, dass man sie binnen weniger Sekunden mithilfe einer Nadel öffnen konnte, wie sie zum Reinigen der Gewehre benutzt wurde.

Er lehnte sich zurück, sodass er auf den Fersen saß, und starrte die Truhe an. Vier Schützen waren ihretwegen gefallen, und es konnte sein, dass noch mehr sterben mussten. Das, entschied Sharpe, gab ihm das Recht zu wissen, was in ihr war. Er wusste, es würde ihm nicht gelingen zu kaschieren, dass die Kiste geöffnet worden war. Aber er gedachte nicht, ihren Inhalt zu stehlen, daher hatte er keine Skrupel, zerrissenes Öltuch und aufgebrochene Schlösser zurückzulassen.

Er griff in die Jackentasche und holte das Klappmesser hervor, das er sonst zum Essen benutzte. Er bog die Klinge auf und streckte die Hand aus, um das Öltuch aufzuschlitzen.

»Eine Berührung, Engländer, und Sie sterben.«

Sharpe wandte sich nach rechts. Von der kleinen, dunklen Öffnung klang das Schnappen eines Pistolenschlosses herüber.

»Major?«

»Die Kranken konnten von diesem Fenster aus die Messe miterleben, Lieutenant«, ertönte Vivars Stimme aus der Finsternis. »Ein guter Platz für einen Wachtposten.«

»Was bewacht der Posten?«

»Nur Papiere.« Vivars Stimme war kalt. »Stecken Sie Ihr Messer ein, Lieutenant, und bleiben Sie, wo Sie sind.«

Sharpe gehorchte. Gleich darauf erschien der Major am Kirchenportal. »Tun Sie das nicht noch einmal, Lieutenant. Ich bin bereit zu töten, um den Inhalt der Truhe zu schützen.«

Sharpe kam sich vor wie ein kleiner Junge, der von einem Wachmann ertappt worden ist, aber er versuchte, die Konfrontation durchzustehen. »Papiere?«

»Papiere«, bestätigte Vivar mit tonloser Stimme. Er blickte zum Himmel auf, wo silbern angehauchte Wolken rasch am Mond vorbeizogen. »Dies ist keine Nacht zum Töten, Engländer. Die estadeas sind auch so schon rastlos genug.« Er kam den Mittelgang entlang. »Nun, ich finde, Sie sollten versuchen zu schlafen. Wir haben morgen einen weiten Weg vor uns.«

Sharpe ging beschämt an Vivar vorbei zum Portal. Mit einer Hand am Pfosten drehte er sich noch einmal nach der Kiste um. Vivar wandte ihm den Rücken zu und war vor der geheimnisvollen Schatztruhe in die Knie gegangen.

Sharpe, dem es peinlich war, einem Mann beim Beten zuzusehen, zögerte.

»Ja, Lieutenant?« Vivar hatte sich nicht umgedreht.

»Haben Ihnen Ihre Gefangenen verraten, wer der Gardeoffizier ist? Der Mann in Rot, der sie hierher geführt hat?«

»Nein, Lieutenant.« Die Stimme des Spaniers klang sehr geduldig, als würde er mit seiner Antwort auf die Launen eines Kindes eingehen. »Es ist mir nicht eingefallen, danach zu fragen.«

»Oder der Mann in Schwarz? Der Zivilist?«

Vivar verharrte einen Augenblick lang schweigend. »Kennt etwa der Wolf die Namen der Hunde?«

»Wer ist er, Major?«

Die Perlen des Rosenkranzes klickten. »Gute Nacht, Lieutenant.«

Sharpe wusste, dass es hier keine Antworten zu holen gab, nur weitere Rätsel, die es an Flüchtigkeit mit den estadeas aufnehmen konnten. Er zog das rauchgeschwärzte Portal halb zu. Dann legte er sich auf sein kaltes Bett auf dem blanken Erdboden und lauschte, wie in der gespenstischen Nacht der Wind seufzte. Irgendwo heulte ein Wolf, und eines der erbeuteten Pferde wieherte leise. In der Kirche betete ein Mann. Sharpe aber schlief.