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KAPITEL 6

Die Cazadores und Rifles marschierten weiterhin in westlicher Richtung, allerdings mied Vivar aus Angst vor den französischen Dragonern die weniger beschwerlichen Pfade der Pilgerstraße. Er war immer noch davon überzeugt, dass sie im Bergland sicher seien. Die Straße, wenn man sie überhaupt eine Straße nennen konnte, quälte sich über die Pässe hoher Berge und durch kalte Bäche, die vom Schmelzwasser angeschwollen waren sowie vom beißend kalten Dauerregen, der den Weg schlüpfrig machte wie Wagenschmiere. Die Verwundeten und jene, die sich in der Kälte ein Fieber zugezogen hatten, wurden von den erbeuteten französischen Pferden getragen, aber diese kostbaren Tiere mussten mit äußerster Vorsicht geführt werden, wenn sie bei diesem morastigen Boden überleben sollten. Eines der Pferde trug die Schatztruhe.

Die Franzosen wurden nicht mehr gesichtet. Während der ersten beiden Marschtage rechnete Sharpe jeden Augenblick damit, die bedrohlichen Silhouetten der Dragoner am Horizont zu entdecken, doch der Gardeoffizier und seine Männer schienen vom Erdboden verschluckt zu sein.

Die wenigen Bauern, die in den Bergdörfern lebten, versicherten Vivar, keine Franzosen gesehen zu haben. Einige von ihnen wussten nicht einmal, dass sich ein Feind aus dem Ausland in Spanien aufhielt, und starrten jedes Mal, wenn sie die seltsame Sprache von Sharpes Schützen hörten, die Fremden misstrauisch und feindselig an.

»Als wenn ihr eigener Dialekt nicht auch seltsam wäre«, bemerkte Vivar fröhlich, der galicischen Sprache ebenso mächtig wie der höfischen Zunge Spaniens. Er versicherte den Bauern, dass von den Männern in den zerlumpten grünen Jacken nichts zu befürchten sei.

Nach einigen Tagen konnte Vivar sicher sein, dass die Franzosen ihre Fährte verloren hatten, und er führte seine Männer auf die Pilgerstraße hinab. Wie sich herausstellte, war sie nichts weiter als eine Kette verschlungener Pfade, die sich durch die tieferen Täler schlängelten. Die größten waren mit Feuersteinsplitt befestigt, sodass Karren und Kutschen sie befahren konnten, und obwohl der Winter dafür gesorgt hatte, dass die Steine im Morast versanken, kamen die Männer auf diesem Boden schnell und mühelos voran. Kastanienbäume und Ulmen wuchsen dicht an dicht am Rand des Weges, der durch eine Landschaft führte, die von plündernden Heerscharen noch unberührt war. Die Männer bekamen gut zu essen: Mais, Roggen, Kartoffeln, Kastanien und Geselchtes aus dem Wintervorrat. An einem Abend gab es sogar frisches Hammelfleisch.

Doch trotz des Essens und der leichteren Strecke war dies kein friedliches Land. Eines Mittags sah Sharpe neben einer Brücke, die einen tiefen, dunklen Wasserlauf überquerte, drei Totenköpfe auf den Spitzen hoher Holzpfähle. Diese Köpfe mussten schon vor Monaten aufgespießt worden sein. Ihre Augen, Zungen und das weichere Fleisch hatten die Raben gefressen, und die Hautfetzen, die noch an den abscheulichen Schädeln hingen, hatten sich pechschwarz verfärbt. »Rateros«, erklärte Vivar den Briten, »Straßenräuber. Die haben geglaubt, Pilger seien leichte Beute.«

»Ziehen viele Pilger nach Santiago de Compostela?«, wollte Sharpe wissen.

»Nicht mehr so viele wie früher. Einige Leprakranke gehen nach wie vor hin, um geheilt zu werden, aber selbst dem wird der Krieg ein Ende machen.« Vivar wies mit dem Kopf auf die strähnig behaarten Schädel. »Deshalb müssen diese Herren ihre Mordkünste gegen die Franzosen einsetzen.« Diese Vorstellung erheiterte den Spanier, genau wie das leichtere Vorankommen auf der Pilgerstraße die Laune von Sharpes Männern hob. Hin und wieder stimmten sie beim Marschieren ein Lied an und genossen die altbekannten Freuden des Soldatenalltags.

Vivar kaufte große Ballen Tabak, der nur zu Fäden zerkleinert zu werden brauchte, ehe er geraucht werden konnte. Einige der Schützen taten es den spanischen Soldaten nach, indem sie den Tabak in Papier einrollten, statt ihn aus Tonpfeifen zu rauchen. Außerdem gab es in den kleinen Dörfern immer großzügige Mengen herben, starken Apfelweins zu holen. Vivar war erstaunt über die Mengen, die die Rifles von diesem Getränk in sich hineinschütteten, und er war noch mehr erstaunt, als Sharpe ihm erzählte, dass die meisten Briten sich nur zum Heer gemeldet hätten, um die tägliche Ration von einem Fünftel Liter Rum zu erhalten.

Rum gab es nicht, aber die Männer waren, nicht zuletzt dank des Apfelweins, guter Dinge. Das ging so weit, dass sie Sharpe behutsame Anerkennung spüren ließen.

Die Grünjacken hatten mit unverhohlener Freude Harpers Rückkehr in ihre Reihen begrüßt, und Sharpe war erneut aufgefallen, dass der hünenhafte Mann der wahre Anführer der Männer war. Sie mochten Sergeant Williams, erwarteten jedoch instinktiv, dass Harper für sie die nötigen Entscheidungen traf, und Sharpe stellte erbittert fest, dass es Harper war und nicht er selbst, der diese Überlebenden aus vier verschiedenen Kompanien zu einer Einheit verschmolz.

»Harps is' ein anständiger Kerl, Sir.« Sergeant Williams behielt seine Rolle als Friedensstifter zwischen den beiden Männern bei. »Er gibt jetzt zu, dass er im Unrecht war.«

Sharpe reagierte gereizt auf dieses Kompliment aus zweiter Hand. »Es ist mir verdammt egal, was er sagt.«

»Er sagt, er wäre noch nie im Leben so hart rangenommen worden.«

»Ich weiß, was er sagt.« Sharpe fragte sich, ob der Sergeant auch mit anderen Offizieren in diesem Ton reden würde, und gelangte zu dem Schluss, dass er es nicht wagen würde. Ihm gegenüber aber wagte er, den vertraulichen Ton anzuschlagen, weil er wusste, dass Sharpe früher auch Sergeant gewesen war. »Du kannst Harper mitteilen«, sagte Sharpe absichtlich barsch, »dass er, wenn er noch mal aus der Reihe tanzt, so hart rangenommen wird, dass er sich an nichts mehr erinnern kann.«

Williams schmunzelte. »Harps wird nicht noch einmal aus der Reihe tanzen, Sir. Major Vivar hat ihn sich vorgeknöpft, Sir. Gott weiß, was er gesagt hat, aber er hat ihm eine Heidenangst gemacht.« Er schüttelte voller Bewunderung für den Spanier den Kopf. »Der Major is' ein zäher Bursche, Sir, und obendrein ein reicher Mann. In dieser Truhe schleppt er ein verdammtes Vermögen mit sich rum!«

»Ich sagte dir doch, da sind nur Papiere drin«, entgegnete Sharpe lässig.

»Nein, Juwelen, Sir.« Es bereitete Williams sichtliches Vergnügen, ihn in dieses Geheimnis einzuweihen. »Genau wie ich vermutet hatte. Der Major hat Harps davon erzählt, Sir. Harps sagt, der Schatz gehört der Familie des Majors, und wenn wir ihn heil nach Santi-Dingsda schaffen, gibt der Major jedem von uns einen Klumpen Gold ab!«

»Unsinn!«, sagte Sharpe ungehalten und war sich bewusst, dass sein Ärger von purer Eifersucht hervorgerufen wurde. Wie kam Vivar dazu, dem Schützen Harper in Geheimnisse einzuweihen, die er ihm, dem Lieutenant, nicht preisgeben wollte? Lag es daran, dass der Ire Katholik war? Und wie kam Vivar dazu, seinen Familienschmuck ehrfürchtig in einer Kirche aufzubauen? Und waren ein paar Juwelen Grund genug, dass feindliche Dragoner ins winterliche Bergland eindrangen, um einen Hinterhalt zu legen?

»Der Schatz stammt aus uralter Zeit.« Sergeant Williams spürte nichts von Sharpes Zweifeln. »Dazu gehört eine Halskette aus den Diamanten einer Krone. Einer Mohrenkrone, Sir. Von einem alten König, Sir. Einem Heidnischen.« Es war offensichtlich, dass die Grünjacken höchst beeindruckt waren. Die Schützen mochten auf schlechten Straßen durch den Regen marschieren, aber ihre Mühsal wurde nun durch die Würde versüßt, die heidnischen Juwelen eines alten Königreichs zu eskortieren.

»Ich glaube davon verdammt noch mal kein einziges Wort«, beteuerte Sharpe.

»Das hat der Major vorausgesagt«, erwiderte Williams respektvoll.

»Hat Harper diesen Schatz gesehen?«

»Das hätte Unglück bedeutet, Sir.« Williams hatte heute offenbar auf jeden Einwand eine Antwort parat. »Wenn die Truhe zum Beispiel ohne Zustimmung der ganzen Familie aufgemacht wird, holen einen die bösen Geister. Verstehen Sie, Sir?«