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»Haben Sie denn keinen Begriff von Ihren Pflichten, Lieutenant?«, fuhr Mrs Parker ihn erbost an. »Kein Wunder, dass Sie nie über Ihren niederen Rang hinaus befördert wurden!«

»Madam, ich ...«

»Unterbrechen Sie mich nicht! Ich lasse mir Ihren Kasernenhofton nicht gefallen, Lieutenant. Haben Sie die papistischen Kreaturen gesehen, die wie die Tiere in dieser Taverne saufen? Wissen Sie, was für Unheil geistige Getränke anrichten? Und dürfte ich Sie daran erinnern, dass Mister Parker in England Steuern entrichtet hat? Wir haben ein Recht darauf, von Ihnen beschützt zu werden.«

George Parker, der sich bemühte, im Schein einer Talglampe seine heiligen Schriften zu lesen, blickte Sharpe flehentlich an. »Ich bitte Sie, Lieutenant.«

»Ich werde draußen übernachten, Madam, aber ich brauche einen Zeitmesser.«

Mrs Parker lächelte, hocherfreut über ihren kleinen Sieg. »Wenn Sie uns beschützen, Lieutenant, werden Sie sicher wach bleiben wollen. Ein Stundenglas umdrehen zu müssen wird Sie vor dem Einschlafen bewahren. George?«

George Parker kramte in seiner Reisetasche und förderte ein Stundenglas zutage, das er mit bedauernder Miene an Sharpe weiterreichte. Mrs Parker nickte zufrieden. »Es fehlen fünfundzwanzig Minuten auf zehn Uhr, Lieutenant. Das Glas braucht eine Stunde, um sich zu leeren.« Dann entließ sie ihn mit königlicher Geste.

Sharpe machte es sich vor dem Zimmer der Parkers an einer Wand bequem. Das Stundenglas stellte er auf ein Fensterbrett und sah zu, wie die ersten Sandkörner herabrieselten.

Zur Hölle mit dieser unmöglichen Frau! Kein Wunder, dass das Heer etwas gegen die Ausbreitung des Methodismus in seinen Reihen hatte. Andererseits war Sharpe froh, den Leibwächter zu spielen, und sei es für eine unhöfliche Frau wie Mrs Parker. Dadurch brauchte er nicht in den Stall zurückzukehren, wo seine Schützen nur wieder ihrem Missvergnügen und ihrer Empörung Luft machen würden.

Es hatte eine Zeit gegeben, da die Gesellschaft solcher Männer seine Gewohnheit und sein Vergnügen waren. Nun als Offizier blieb ihm ihre Kameradschaft verschlossen. Er empfand eine immense, hoffnungslose Erschöpfung und wünschte sich, dass dieser verfluchte Marsch endlich überstanden wäre.

Sharpe trennte noch einen Knopf von der Hose ab, die bereits so weit klaffte, dass ein gutes Stück narbenbedeckten Schenkels zu sehen war, und erstand für sich selbst einen Schlauch Wein. Er trank ihn hastig und in bedrückter Stimmung aus. Dann zog er eine Bank heran, bis sie an der Tür der Familie Parker stand. Die übrigen Gäste im Schankraum waren dem zerlumpten, mürrischen fremden Soldaten gegenüber misstrauisch und hielten sich von ihm fern.

Die Bank stand vor einem kleinen offenen Fenster, von dem aus Sharpe den Stall sehen konnte. Er wurde den Verdacht nicht los, dass die Schützen noch eine Meuterei anzetteln, dass sie sich womöglich im Dunkeln davonschleichen würden, um sich wieder ihrem geliebten Major anschließen zu können. Doch bis auf ein paar Männer, die auf dem Hof erschienen, um Wasser zu lassen, wirkte alles still. Still, aber nicht ruhig. Sharpe konnte das Gelächter der Männer hören, und es machte seine Einsamkeit noch schlimmer. Allmählich verstummte auch das Lachen.

Er konnte nicht schlafen. Der Schankraum leerte sich bis auf zwei Viehhändler, die fröhlich am ersterbenden Feuer vor sich hinschnarchten, und den Schankkellner, der sich unter der Durchreiche zur Ruhe bettete.

Allmählich bekam Sharpe Kopfschmerzen. Plötzlich fehlte ihm Vivar. Die gute Laune und Zuversicht des Spaniers hatten ihm den langen Marsch erträglich gemacht. Nun fühlte er sich dem Chaos ausgesetzt. Wie, wenn die britische Garnison in Lissabon wirklich längst aufgelöst war? Oder wenn es vor der Küste keine seetüchtigen Schiffe mehr gab? War er dazu verdammt, durch Spanien zu ziehen, bis eines Tages die Franzosen seine Probleme lösten, indem sie ihn gefangen nahmen? Und wenn sie es taten?

Der Krieg musste bald mit einem französischen Sieg enden, und die Franzosen würden ihre Gefangenen heimschicken. Sharpe würde als einer von vielen gescheiterten Offizieren nach England zurückkehren und gezwungen sein, bei halbem Sold ein elendes Leben zu fristen.

Er drehte das Stundenglas um und machte einen Strich auf die weiß getünchte Wand. Neben den Viehhändlern lag ein halb geleerter Weinschlauch. Sharpe nahm ihn an sich. Er spritzte sich das übel schmeckende Gesöff in den Mund, in der Hoffnung, trotz des unangenehmen Geschmacks seine Kopfschmerzen loszuwerden.

Er wusste, dass er am nächsten Morgen schlecht gelaunt und unausgeruht sein würde. Seinen Männern würde es gewiss nicht anders ergehen, und die Erinnerung an ihre Verstimmtheit deprimierte ihn noch mehr.

Zur Hölle mit ihnen! Zur Hölle mit Williams! Zur Hölle mit Harper! Zur Hölle mit Vivar! Zur Hölle mit Sir John Moore, weil er das verdammt beste Heer ruiniert hatte, das jemals England verlassen hatte! Zur Hölle mit Spanien und den verdammten Parkers und der verdammten Kälte, die immer weiter in den Schankraum vordrang, je schwächer das Feuer brannte!

Da hörte er auf einmal, wie hinter ihm an der Tür der Riegel zurückgeschoben wurde, heimlich und mit ungeheurer Vorsicht. Nach scheinbar endlos langer Zeit quietschte die schwere Tür in den Angeln.

Zwei furchtsame Augen richteten sich auf Sharpe. »Lieutenant?«

»Miss?«

»Ich habe Ihnen dies hier mitgebracht.« Louisa schloss behutsam hinter sich die Tür und kam zu ihm herüber. Sie streckte ihm eine dicke, silberne Taschenuhr entgegen. »Das ist eine Uhr mit Läutwerk«, flüsterte sie. »Ich habe sie so eingestellt, dass sie um vier Uhr morgens schlägt.«

Sharpe nahm die gewichtige Uhr entgegen. »Ich danke Ihnen.«

»Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen«, sagte Louisa hastig.

»Nein ...«

»O doch. Ich verbringe viele Stunden damit, mich für das Benehmen meiner Tante zu entschuldigen. Vielleicht wären Sie morgen so freundlich, mir die Uhr zurückzugeben, ohne dass sie es merkt?«

»Natürlich.«

»Außerdem habe ich mir überlegt, dass Sie dies hier brauchen könnten, Lieutenant.« Sie lächelte schelmisch und zog eine schwarze Flasche aus ihrem Umhang. Zu Sharpes Erstaunen enthielt sie spanischen Branntwein. »Die gehört meinem Onkel«, erläuterte sie, »aber der soll ohnehin nicht davon trinken. Er wird annehmen, meine Tante habe sie gefunden und beseitigt.«

»Ich danke Ihnen.« Sharpe nahm einen Schluck von der scharfen Flüssigkeit. Dann wischte er das Mundstück mit linkischer Galanterie an seinem Ärmel ab und bot Louisa die Flasche dar.

»Nein, danke.« Sie lächelte über seine unbeholfene Geste, beschloss, sie als freundliche Einladung zu verstehen, und nahm sittsam am anderen Ende von Sharpes Sitzbank Platz. Sie trug nach wie vor Rock, Umhang und Hut.

»Ihr Onkel trinkt also?«, fragte Sharpe erstaunt.

»Würde es Ihnen nicht genauso gehen? Wenn Sie mit ihr verheiratet wären?« Als sie seine Grimasse sah, lächelte Louisa. »Glauben Sie mir, Lieutenant, ich habe mich meiner Tante nur wegen der Gelegenheit angeschlossen, Spanien zu sehen. Auf keinen Fall deshalb, weil ich monatelang ihre Gesellschaft genießen wollte.«

»Ich verstehe«, sagte Sharpe, obwohl er in Wahrheit gar nichts verstand, vor allem nicht, warum die junge Frau mitten in der Nacht seine Gesellschaft gesucht hatte. Es schien ihm schwer vorstellbar, dass sie es nur deshalb riskiert hatte, sich den Zorn ihrer Tante zuzuziehen, um ihm eine Uhr auszuleihen. Noch dazu schien sie darauf aus zu sein, sich mit ihm zu unterhalten. Obwohl ihn ihre Gegenwart schüchtern und beklommen machte, wollte er, dass sie blieb. Das ausgehende Feuer warf gerade genug Licht auf sie, um ihrem Gesicht einen rötlichen Glanz zu verleihen. Diese Frau war wunderschön.

»Meine Tante ist außergewöhnlich unhöflich«, fuhr Louisa mit ihrer Entschuldigung fort. »Sie hatte keinen Grund, sich in der Weise, wie sie es getan hat, über Ihren Rang zu äußern.«

Sharpe zuckte mit den Schultern. »Sie hat ja recht. Ich bin recht alt für einen Lieutenant, aber vor fünf Jahren war ich noch Sergeant.«

Louisa blickte ihn mit neuem Interesse an. »Wirklich?«

»Wirklich.«

Ihr Lächeln trieb Pfeile des Begehrens in Sharpes Herz. »Sie müssen ein höchst bemerkenswerter Mann sein, Lieutenant, allerdings muss ich Ihnen anvertrauen, dass meine Tante Sie für höchst ungehobelt hält. Sie äußert immer wieder ihr Erstaunen darüber, dass Sie Offizier Seiner Majestät sein sollen, und behauptet, dass Sir Hyde einen Rohling wie Sie niemals als Offizier auf einem seiner Schiffe geduldet hätte.«

Einen Augenblick lang wehrte sich Sharpes angeschlagenes Selbstbewusstsein gegen diese Kritik. Aber dann merkte er, dass Louisas Miene eher schelmisch als ernsthaft war. Außerdem sah er ihr an, dass sie es gut mit ihm meinte. So viel Freundlichkeit war Sharpe seit Monaten nicht mehr zuteil geworden, aber obwohl ihn das innerlich erwärmte, ließ ihn seine Unbeholfenheit ungeschickt reagieren. Ein geborener Offizier, dachte er verdrießlich, würde wissen, wie er auf den trockenen Humor des Mädchens zu kontern hatte, aber er konnte nur eine langweilige Frage stellen.

»War Sir Hyde Ihr Vater?«

»Er war ein Cousin meines Vaters, ein entfernter Cousin. Wie ich höre, war er kein guter Admiral. Er hielt Nelson für einen Abenteurer.« Sie erstarrte, beunruhigt durch ein plötzliches Geräusch, doch es war nur ein Holzscheit, das in der Glut des Feuers knisterte. »Aber er wurde ein sehr reicher Admiral«, fuhr Louisa fort, »und die Familie hat von dem vielen Prisengeld profitiert.«

»Demnach sind Sie reich?« Sharpe konnte nicht anders, er musste diese Frage stellen.

»Ich nicht. Aber meine Tante hat genug Vermögen geerbt, um in der Welt Unfrieden zu stiften.« Louisa sprach nun mit großem Ernst. »Haben Sie eine Ahnung, Mister Sharpe, wie peinlich es ist, in Spanien den Protestantismus verbreiten zu müssen?«

Sharpe zuckte mit den Schultern. »Sie haben es so gewollt.«

»Sicher. Und die Peinlichkeit ist der Preis, den ich dafür bezahle, Granada und Sevilla zu sehen.« Ihre Augen leuchteten auf - oder war es nur der Widerschein der Feuersglut? »Ich würde so gern noch mehr sehen!«

»Aber Sie kehren nach England zurück?«

»Meine Tante hält es für angebracht.« Louisas Stimme ließ vorsichtigen Spott erkennen. »Die Spanier, müssen Sie wissen, belohnen ihre Versuche nicht, sie aus dem römischen Joch zu befreien.«

»Aber Sie möchten gern hierbleiben?«

»Das wird kaum möglich sein, oder? Junge Frauen, Mister Sharpe, können sich in dieser Welt nicht frei bewegen. Ich muss nach Godalming zurückkehren, wo mich ein Mister Bufford erwartet.«

Sharpe musste über ihren Tonfall lachen. »Mister Bufford?«

»Er ist durch und durch respektabel«, sagte Louisa, als habe Sharpe das Gegenteil behauptet, »und natürlich Methodist. Sein Geld verdient er mit der Herstellung von Tinte, einem Gewerbe von solcher Einträglichkeit, dass die künftige Mrs Bufford sich auf ein großes Haus und ein Leben in beträchtlicher, wenn auch langweiliger Bequemlichkeit freuen kann. Gewiss wird es niemals mit Tinte befleckt werden. Die wird nämlich in sicherer Entfernung in Deptford hergestellt.«

Sharpe hatte sich noch nie mit einem Mädchen von Louisas augenscheinlicher Bildung unterhalten. Auch hatte er noch nie jemanden mit solcher Verachtung vom Geldadel reden hören. Er hatte immer angenommen, dass jeder, der zu beträchtlicher, wenn auch langweiliger Bequemlichkeit geboren war, für diese Gabe ewig dankbar sein müsste. »Und die künftige Mrs Bufford, das sind Sie?«

»So ist es vorgesehen, ja.«

»Aber Sie wollen sich nicht verheiraten?«

»Das möchte ich, glaube ich, schon.« Louisa runzelte die Stirn. »Sind Sie verheiratet?«

»Ich bin nicht reich genug, um heiraten zu können.«

»Das hat, so viel ich weiß, andere Menschen kaum jemals davon abgehalten.« Louisa tat ihre Vertraulichkeit mit einem Schulterzucken ab. »Aber ich hatte nicht gehofft, Sie noch wach vorzufinden, um Sie mit meinen kleinen Nöten zu belästigen. Ich wollte Sie vielmehr fragen, Lieutenant, ob unsere Gegenwart es wahrscheinlicher macht, dass Sie und Ihre Männer in französische Gefangenschaft geraten?«

Die Antwort war ein klares Ja, aber ebenso klar war, dass Sharpe sie nicht aussprechen durfte. »Nein, Miss. Solange wir in angemessenem Tempo weiterreisen, dürften wir den Schwei ... - dürften wir ihnen vorausbleiben.«

»Ich hätte Sie ermutigt, uns an die Schwei ... - an sie auszuliefern, wenn Sie mir wahrheitsgemäß geantwortet hätten.« Louisa lächelte ihr ernsthaft schelmisches Lächeln.

»Ich würde Sie niemals ausliefern, Miss«, sagte Sharpe unbeholfen und war froh, dass die spärliche Beleuchtung sein Erröten verbarg.

»Meine Tante ruft immer wieder große Loyalität hervor.«

»Stimmt.« Sharpe lächelte, und aus dem Lächeln wurde Gelächter, das sich Louisa jedoch verbat, indem sie den Finger an die Lippen legte.

»Ich danke Ihnen, Lieutenant.« Sie stand auf. »Ich hoffe, Sie nehmen es nicht übel, dass wir Ihnen eine solche Last sind.«

»Jetzt nicht mehr, Miss.«

Louisa schlich zur Tür. »Schlafen Sie gut, Lieutenant.«

»Sie ebenfalls, Miss.« Sharpe sah zu, wie sie durch die Tür schlüpfte, und hielt den Atem an, bis er hörte, wie drinnen der Riegel vorgeschoben wurde. Nun würde sein Schlaf mit Sicherheit durch einige Turbulenzen gestört, denn all seine Gedanken und Sehnsüchte und Träume waren durch dieses sanfte Lächeln auf den Kopf gestellt. Richard Sharpe war fern der Heimat, gefährdet durch einen siegreichen Feind. Und zu allem Überfluss hatte er sich nun auch noch verliebt.