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Der französische Oberst blickte ihn einige Sekunden lang nachdenklich an. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass Sharpe, nachdem de l'Eclin einen Moment zuvor Sharpes Taktik erraten hatte, nun die des Franzosen vorausgeahnt hatte. De l'Eclin zuckte mit den Schultern.

»Ich bewundere Ihre Courage, Lieutenant. Aber Sie wird Ihnen nichts nützen. Sie haben keine andere Wahl. Ihr Heer ist geschlagen und in die Heimat geflohen. Die spanischen Heere sind zerschlagen und versprengt. Niemand wird Ihnen zu Hilfe kommen. Sie können sich jetzt gleich ergeben oder Sie können eigensinnig sein. Das aber hieße, dass unsere Klingen Sie zerfetzen werden.« Seine Stimme hatte ihren gefälligen Plauderton verloren und war nun todernst. »So oder so, Lieutenant, ich werde dafür sorgen, dass Sie alle sterben.«

Sharpe wusste, dass er keine Chance hatte, die Belagerung zu überstehen, war jedoch zu dickköpfig, um nachzugeben. »Ich brauche Zeit, darüber nachzudenken, Sir.«

»Zeit, um Ihr Schicksal hinauszuzögern, meinen Sie?« Der Oberst zuckte verächtlich mit den Schultern. »Das wird Ihnen nicht helfen, Lieutenant. Glauben Sie, wir wären so weit gekommen, nur um Major Vivar entkommen zu lassen?«

Sharpe starrte ihn verständnislos an. De l'Eclin deutete Sharpes Ausdruck gründlich falsch. Er hielt das Unverständnis des Schützen für schuldbewusstes Erstaunen. »Wir wissen, dass er sich bei Ihnen aufhält, Lieutenant. Er und seine kostbare Truhe!«

»Er ...« Sharpe wusste nicht, was er sagen sollte.

»Sie sehen ein, Lieutenant, dass ich nicht ausgerechnet jetzt die Jagd aufgeben werde. Ich bin vom Kaiser persönlich beauftragt worden, die Truhe nach Paris zu schaffen, und ich habe nicht vor, ihn zu enttäuschen.« De l'Eclin lächelte herablassend. »Wenn Sie mir den Major samt seiner Truhe ausliefern, könnte es natürlich sein, dass ich Sie Ihren Weg nach Süden fortsetzen lasse. Ich bezweifle, dass ein paar abgerissene Rifles imstande wären, das Kaiserreich zu gefährden.«

»Er hält sich nicht bei uns auf!«, protestierte Sharpe.

»Lieutenant!«, rief de l'Eclin tadelnd.

»Fragen Sie die Methodisten! Ich habe Major Vivar seit zwei Tagen nicht gesehen!«

»Er lügt!« Die Stimme erklang hinter einem Stapel von Matten aus Birkenreisig, die als Schafshürden dienten. Dann kam der hochgewachsene Zivilist mit dem schwarzen Mantel und den hellen Reitstiefeln dahinter hervor. »Sie lügen, Engländer.«

»Zur Hölle mit Ihnen, Sie Schweinehund«, knurrte Sharpe angesichts dieser Beleidigung seiner Ehre.

Oberst de l'Eclin warf sich hastig zwischen die beiden aufgebrachten Männer. Er sprach den Mann im schwarzen Mantel auf Englisch an, behielt dabei jedoch den Schützen im Auge. »Es will mir scheinen, mein lieber Graf, als hätte Ihr Bruder mit Erfolg ein Gerücht in Umlauf gesetzt. Vielleicht ist er doch nicht gen Süden unterwegs, um Ersatzpferde zu finden?«

»Vivar ist sein Bruder?« Nun war Sharpes Verwirrung vollkommen. Vivar, dessen Hass auf die Franzosen so blindwütig war, hatte einen Bruder, der mit dem Feind ritt? Der mit angesehen haben musste, wie die Dragoner spanische Frauen und Kinder vergewaltigt und getötet hatten?

Seine Ungläubigkeit war offenbar an seinem Gesicht abzulesen. De l'Eclin, eindeutig erstaunt, dass Sharpe von dieser Verwandtschaft nichts gewusst hatte, übernahm nun die offizielle Vorstellung.

»Erlauben Sie, dass ich Ihnen den Grafen von Mouromorto vorstelle, Lieutenant? Er ist in der Tat Major Vivars Bruder. Sie müssen verstehen, dass es im Gegensatz zu den Lügen, die in den englischen Zeitungen stehen, viele Spanier gibt, die unsere Anwesenheit begrüßen. Sie halten es für an der Zeit, den alten Aberglauben und gewisse Praktiken zu beseitigen, die Spanien so lange gelähmt haben. Der Graf ist einer dieser Männer.« De l'Eclin verneigte sich vor dem Spanier, als er seine Erläuterung abgeschlossen hatte, doch der Graf starrte weiterhin grimmig den Engländer an.

Sharpe erwiderte seinen feindseligen Blick. »Sie lassen zu, dass diese Schweinehunde Ihr eigenes Volk umbringen?«

Eine Sekunde lang sah es so aus, als wolle der Graf nach ihm schlagen. Er war größer als Blas Vivar, aber aus der Nähe konnte Sharpe die Familienähnlichkeit erkennen. Er hatte die gleiche streitlustig wirkende Kinnpartie, die gleichen feurigen Augen, die Sharpe nun voller Abneigung musterten.

»Was wissen Sie schon von Spanien, Lieutenant«, fragte der Graf, »oder von Spaniens verzweifelten Nöten? Oder von den Opfern, die sein Volk bringen muss, um seine Freiheit zu erlangen?«

»Was wissen Sie von Freiheit? Sie sind nichts als ein verdammter, mörderischer Schweinehund.«

»Genug!« De l'Eclin hob die linke Hand, um Sharpes Wut im Zaum zu halten. »Sie behaupten also, Major Vivar sei nicht bei Ihnen?«

»Er ist nicht bei mir, auch nicht seine verdammte Truhe. Falls es Sie etwas angeht, und es geht Sie nichts an: Ich habe mich im Streit von Major Vivar getrennt, und es würde mir nichts ausmachen, ihn nie wiederzusehen! Aber Sie hat er ganz schön an der Nase herumgeführt, hab ich recht?«

De l'Eclin schien sich über Sharpes Wut zu amüsieren. »Mag sein, aber Sie sind nun das Opferlamm, Lieutenant, und Sie werden büßen müssen. Sie und Ihre Rifles.« Der Oberst schien von dieser Bezeichnung fasziniert zu sein. Er kannte Husaren, Jäger, Ulanen, Dragoner und Kanoniere, er war vertraut mit Pionieren und Kürassieren, Grenadieren und Füsilieren, doch von den »Rifles« hatte er noch nie gehört. »Andererseits«, fuhr de l'Eclin fort, »würden Sie, sollte Major Vivar doch bei Ihnen sein, seine Gegenwart bestimmt abstreiten, nicht wahr? Und Sie würden ihn verteidigen, was Ihre Beharrlichkeit in diesem aussichtslosen Kampf erklären würde.«

»Er ist nicht hier«, wiederholte Sharpe ungeduldig. »Fragen Sie die Methodisten.«

»Ich werde gewiss das Mädchen fragen«, versicherte de l'Eclin fröhlich.

»Tun Sie das«, konterte Sharpe. Blas Vivar, dachte er, hatte sich ungeheuer schlau verhalten, hatte ein Gerücht ausgenutzt, um die Franzosen zu überzeugen, dass er mit den Engländern nach Süden geflohen sei, und hatte sie dadurch geopfert. Aber das konnte Sharpe dem Spanier nicht einmal verargen, er empfand nur widerstrebende Bewunderung. Er warf seine Zigarre auf den Scheunenboden. »Ich gehe jetzt zurück.«

De l'Eclin nickte. »Ich gebe Ihnen zehn Minuten, um sich hinsichtlich der Kapitulation zu entscheiden. Au revoir, Lieutenant.«

»Zur Hölle mit Ihnen.«

Sharpe begab sich zurück ins Bauernhaus. Sie saßen in der Falle und würden als Opferlämmer sterben. Das war sozusagen Vivars Rache dafür, dass Sharpe ihn im Stich gelassen hatte, und Sharpe lachte darüber, denn es blieb ihm nichts anderes übrig. Außer zu kämpfen.

»Was hat der Kerl denn gewollt?«, erkundigte sich Harper.

»Er will, dass wir uns ergeben.«

»Sieht ihm ähnlich.« Harper spuckte ins Feuer.

»Wenn wir uns jetzt nicht ergeben, werden sie es später nicht mehr zulassen.«

»Dem geht wohl der Arsch auf Grundeis, stimmt's? Hat er Angst vor der Nacht?«

»Ja, so ist es.«

»Und was haben Sie nun vor, Sir?«

»Ich sagte ihm, er soll zur Hölle gehen. Und dich ernenne ich zum Sergeant.«

Harper verzog das Gesicht. »Nein, Sir.«

»Wieso nicht, zum Teufel?«

Der Ire schüttelte den Kopf. »Es macht mir nichts aus, unseren Männern zu sagen, was sie im Kampf zu tun haben, Sir. Captain Murray hat mir immer erlaubt, das zu tun, wahrhaftig. Und genau das tue ich, ob es Ihnen recht ist oder nicht. Aber weiter gehe ich nicht. Ich nehme Ihnen nicht ab, die Männer zu bestrafen, und lasse mir von Ihnen nicht so ein Abzeichen verpassen.«