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»Major Vivar befürchtet wohl, dass Sie uns behindern werden, Miss.«

»Oh«, sagte Louisa mit gespieltem Entsetzen. Dann trat sie ans Fenster und blickte stirnrunzelnd auf den Spanier hinab, der immer noch bei den beiden Priestern stand. »Hat Major Vivar etwas gegen Frauen?«

»Ich glaube nicht.«

»Er ist nur der Meinung, sie seien hinderlich?«

»In der Schlacht sind sie es. Wenn Sie mir verzeihen, Miss.«

Louisa verspottete Sharpe mit einem abschätzigen Lächeln. »Ich verspreche Ihnen, ich werde Ihrem Degen nicht im Wege sein, Lieutenant. Und es tut mir leid, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe. So, nun erzählen Sie mir, warum wir hier sind und was Sie vorhaben. Ich kann Ihnen nicht aus dem Weg gehen, es sei denn, ich wüsste genauestens Bescheid, wohin der Weg führt, nicht wahr?«

»Ich weiß selbst nicht, was vorgeht, Miss.«

Louisa schnitt eine Grimasse. »Heißt das, Sie trauen mir nicht?«

»Es heißt, dass ich nicht Bescheid weiß.« Sharpe erzählte ihr von der Truhe und Vivars Geheimnistuerei und von ihrer langen Reise, auf der sie von den französischen Dragonern verfolgt worden waren. »Ich weiß nur, dass der Major die Truhe nach Santiago schaffen will. Warum, das weiß ich nicht, und was sie enthält, weiß ich auch nicht.«

Louisa war entzückt über dieses Geheimnis. »Aber Sie werden es irgendwann erfahren?«

»Ich hoffe es.«

»Ich werde Major Vivar direkt danach fragen!«

»Ich finde, das sollten Sie sein lassen, Miss.«

»Natürlich werde ich es sein lassen. Dieser Menschen fressende papistische Spanier will mich nicht an seinem Abenteuer teilhaben lassen.«

»Es geht nicht um Abenteuer, Miss, sondern um Krieg.«

»Krieg ist der Moment, Mister Sharpe, wenn wir die Fesseln der Konvention ablegen, finden Sie nicht auch? Ich schon. Und diese Fesseln sind sehr eng, besonders in Godalming. Ich bestehe darauf zu erfahren, was sich in Major Vivars Truhe befindet! Glauben Sie, es handelt sich um Juwelen?«

»Nein, Miss.«

»Die Krone Spaniens! Zepter und Reichsapfel! Das muss es sein, Mister Sharpe. Napoleon wünscht sich, die Krone aufs eigene Haupt zu setzen, und Ihr Freund verweigert sie ihm!« Sie klatschte vor Vergnügen in die Hände. »Ich werde darauf bestehen, diese Schätze zu sehen. Major Vivar wird Ihnen alles anvertrauen, nicht wahr?«

»Er hat gesagt, nach dem Abendessen werde er mir möglicherweise davon erzählen. Ob es dazu kommt, hängt wohl von diesen Priestern ab.«

»In dem Fall werden wir es vielleicht nie erfahren.« Louisa verzog das Gesicht. »Kann ich wohl mit Ihnen zu Abend essen?«

Die Bitte brachte Sharpe in Verlegenheit, denn er bezweifelte, dass der Major Louisas Gegenwart dulden würde. Andererseits wusste er nicht, wie er dem Mädchen taktvoll beibringen sollte, dass es zu vorwitzig sei. »Ich kann nicht«, sagte er kläglich.

»Natürlich kann ich mit Ihnen zum Dinner gehen! Sie können doch nicht von mir erwarten, dass ich verhungere, oder? Heute Abend, Mister Sharpe, werden wir die Juwelen eines Königreichs sehen!« Louisa war von dem Gedanken wie besessen. »Ach, wenn mich jetzt Mister Bufford sehen könnte!«

Sharpe erinnerte sich, dass Mr Bufford der methodistische Tintenfabrikant war, der darauf hoffte, Louisa zu ehelichen. »Er würde bestimmt für Sie beten.«

»In tiefster Demut.« Sie lachte. »Aber es ist grausam, ihn zu verspotten, Mister Sharpe, insbesondere dann, wenn ich nur den Zeitpunkt aufschiebe, an dem ich seine Hand akzeptieren muss.« Angesichts dieser Aussicht verflüchtigte sich eindeutig ihre Begeisterung. »Darf ich annehmen, dass Sie nach Lissabon gehen werden, sobald Sie dieses Rätsel gelöst haben?«

»Wenn es dort immer noch eine Garnison gibt, ja.«

»Und ich muss mit Ihnen gehen.« Sie seufzte wie ein Kind, dem ein Vergnügen genommen wird, noch ehe es begonnen hat. Dann hellte sich ihr Gesicht auf, nahm erneut einen Ausdruck schalkhaften Vergnügens an. »Aber Sie werden Major Vivars Erlaubnis einholen, dass ich mit den Herren speise? Ich verspreche, mich gesittet zu benehmen.«

Sharpe war überrascht, dass Blas Vivar sich von Louisas Ansinnen nicht aus der Fassung bringen ließ. »Natürlich kann sie mit uns zu Abend essen.«

»Sie ist sehr neugierig bezüglich der Truhe«, warnte Sharpe.

»Aber natürlich. Sie etwa nicht?«

So kam es, dass Louisa an jenem Abend zugegen war, als Sharpe endlich erfuhr, warum Blas Vivar ihn belogen hatte, warum die Cazadores herangeritten waren, um ihn zu retten, und warum der spanische Major mit solcher Beharrlichkeit durch das vom Winter und der spanischen Niederlage gestiftete Chaos gen Westen gezogen war.

An eben diesem Abend fühlte sich Sharpe außerdem immer tiefer verstrickt in eine Welt voller Geheimnisse und Merkwürdigkeiten, eine Welt, in der die estadeas wie Flammenzungen durch die Nacht schwebten und in der die Bäche voller Naturgeister waren, die Welt von Blas Vivar.

Sharpe, Louisa, Vivar und Leutnant Davila speisten in einem Saal mit dicken Säulen, die eine gewölbte Decke stützten. Zu ihnen gesellten sich die beiden Priester. Ein Feuer wurde entzündet, Decken auf dem Boden ausgebreitet und Schüsseln mit Hirse, Bohnen, Fisch und Hammelfleisch aufgetragen.

Einer der Priester, Pater Borellas, war ein kleiner, rundlicher Mann, der ein passables Englisch sprach und es zu genießen schien, sich mit Sharpe und Louisa darin zu üben. Borellas erzählte ihnen, er habe eine Gemeinde in Santiago de Compostela, eine kleine, sehr arme Gemeinde. Während er Sharpe Wein einschenkte und eifrig aufpasste, dass der Teller des Engländers niemals leer wurde, gab er sich die allergrößte Mühe, seinen niederen Rang überdeutlich werden zu lassen. Der andere Priester, erläuterte er, sei ein Mann auf dem Weg nach oben, ein wahrer Hidalgo und künftiger Kirchenfürst. Dieser andere Geistliche war Sakristan der Kathedrale von Santiago, ein Stiftsherr, der von Anfang an keine Zweifel aufkommen ließ, dass er Lieutenant Richard Sharpe nicht ausstehen konnte und ihm misstraute. Falls Pater Alzaga der englischen Sprache mächtig war, so wusste er das Sharpe gegenüber sehr gut zu verbergen. Alzaga nahm kaum von ihm Notiz und beschränkte sich auf das Gespräch mit dem Major, den er als gesellschaftlich ebenbürtig anzuerkennen schien. Seine Feindseligkeit war so offenkundig und so krass, dass Borellas sich genötigt sah, sie zu erklären. »Er hat nichts für Engländer übrig.«

»Das geht vielen Spaniern so«, bemerkte Louisa trocken, obwohl die feindselige Atmosphäre im Raum sie anscheinend bedrückte.

»Ihr seid Ketzer, müsst ihr wissen. Und euer Heer hat die Flucht ergriffen.« Der Priester sprach in sanftem, entschuldigendem Tonfall. »Ach, die Politik. Ich verstehe nichts von Politik. Ich bin nur ein bescheidener Pater, Lieutenant.«

Aber Borellas war ein bescheidener Pater, dessen Kenntnis der Gassen und Plätze von Santiago de Compostela den Sakristan vor den Franzosen gerettet hatte. Er erzählte Sharpe, wie sie sich in der Werkstatt eines Stuckateurs versteckt hatten, während die französischen Kavalleristen die Häuser durchsuchten.

»Sie haben viele Leute erschossen.« Er bekreuzigte sich. »Wenn ein Mann nur eine Vogelflinte besaß, hieß es gleich, er sei ein Feind. Peng. Wenn jemand gegen das Töten protestierte, peng.« Borellas zerkrümelte ein hart gewordenes Stück Brot. »Ich hatte nicht damit gerechnet, erleben zu müssen, dass ein feindliches Heer spanischen Boden betritt. Wir schreiben das neunzehnte Jahrhundert, nicht das zwölfte!«

Sharpe betrachtete das ausgemergelte Gesicht Alzagas, der offenbar nicht damit gerechnet oder gar darauf gehofft hatte, protestantischen Engländern auf spanischem Boden zu begegnen. »Was ist ein Sakristan?«

»Er ist Schatzmeister der Kathedrale. Kein minderer Schreiberling. Sie verstehen schon.« Borellas war sehr darauf bedacht, dass Sharpe den Priester nicht unterschätzte. »Er ist der Mann, der für die Schätze der Kathedrale verantwortlich ist. Doch er ist nicht deswegen hier, sondern weil er ein überaus wichtiger Mann der Kirche ist. Don Blas wäre es lieber gewesen, wenn der Bischof gekommen wäre, aber der Bischof war nicht bereit, mich anzuhören, und der wichtigste Mann, den ich auftreiben konnte, war Pater Alzaga. Er hasst die Franzosen, müssen Sie wissen.«