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Vivars Stimme hatte etwas an sich, das Sharpe frösteln machte. Das Kerzenlicht ließ hinter den Säulen unheimliche Schatten flackern. Irgendwo auf der Festungsmauer waren die stampfenden Schritte eines Wachtpostens zu hören. Selbst Louisa wirkte unnatürlich bedrückt ob der Schauer, die die Stimme des Spaniers auslöste.

Über der verloren geglaubten Gruft war ein Grabmal errichtet worden, und obwohl die muslimischen Heerscharen die Stadt erobert und die erste Kathedrale zerstört hatten, war die Gruft selbst verschont geblieben. Als man die Heiden vertrieben hatte, war eine neue Kathedrale erbaut worden, und die Stadt vom Sternenfeld war ein Reiseziel für Pilger geworden, das nur Rom selbst nachstand. Vivar blickte Sharpe an. »Sie wissen, wer Santiago ist, Lieutenant?«

»Sie sagten, er sei ein Apostel gewesen.«

»Er ist weit mehr.« Vivar sprach leise und ehrfürchtig, mit einer Stimme, die Sharpes Haut zum Kribbeln brachte. »Er ist der heilige Jakobus, der Bruder von Johannes, dem Evangelisten. St. Jakob, der Schutzheilige Spaniens. St. Jakob, Kind des Donners. St. Jakob der Große, Santiago.« Seine Stimme war lauter geworden, und nun hallte sie bis an die hohe gewölbte Decke, als Vivar den letzten, den bedeutendsten, den klangvollsten Titel des Heiligen aussprach: »Santiago Matamoros!«

Sharpe blieb zunächst stumm. »Matamoros?«

»Der Schlächter der Mauren. Schlächter der Feinde Spaniens.« Aus Vivars Munde klang das wie eine Herausforderung.

Sharpe wartete. Kein Laut war zu hören, bis auf das Knistern des Feuers und das Knirschen der Stiefel auf der Festungsmauer. Davila und Borellas starrten auf ihre leeren Teller, als hätte es eine Gefährdung des magischen Augenblicks bedeutet, sich zu bewegen oder etwas zu sagen.

Es war wieder Alzaga, der das Schweigen brach. Der Sakristan erhob einen Protest, den Vivar barsch und schnell unterband. Die beiden Männer stritten sich einen Moment lang, doch es war klar ersichtlich, dass Vivar an diesem Abend den Sieg davongetragen hatte. Als wolle er seinen Sieg verkünden, stand er nun auf und begab sich zu einem dunklen Torbogen.

Hinter dem Torbogen verbarg sich die uralte Kapelle der Festung. Auf ihrem Steinaltar stand ein schlichtes Holzkreuz zwischen zwei Kerzen.

»Kommen Sie, Lieutenant.«

Louisa eilte herbei, um der Enthüllung des Geheimnisses beizuwohnen, doch Vivar verweigerte ihr den Zugang zur Kapelle, bis sie ihr Haupt bedeckt hatte. Hastig legte sie sich ein Tuch über ihre dunklen Locken.

Sharpe trat an ihr vorbei und betrachtete den Gegenstand, der vor dem Altar lag, den Gegenstand, von dem er gewusst hatte, dass er hier sein musste: der Kern des Geheimnisses, die Verlockung, die französische Dragoner bewogen hatte, über das vereiste Land zu ziehen, der Schatz, um dessentwillen man Sharpe in diese hoch gelegene Festung gebracht hatte.

Die Truhe.

KAPITEL 11

Vivar trat beiseite, damit Sharpe sich den Stufen zum Altar nähern konnte. Der Spanier wies auf die Truhe. »Öffnen Sie sie.« Seine Stimme klang schroff und kühl, als habe die lange Auseinandersetzung darüber, ob das Geheimnis enthüllt werden dürfe, nie stattgefunden.

Sharpe zögerte. Er hatte keine Angst, nur das Gefühl, dass dieser Moment eine gewisse Feierlichkeit verlangte. Er hörte, wie hinter ihm die Priester die Kapelle betraten und Louisa sich neben Vivar stellte. Das Gesicht des Mädchens war ernst.

»Nur zu«, ermunterte Vivar Sharpe.

Jemand hatte bereits das Wachstuch aufgeschlitzt und die Vorhängeschlösser von den beiden Haspen entfernt. Sharpe bückte sich, um die Haspen auszuhaken, und spürte den Widerstand der uralten Scharniere. Dann warf er einen Blick auf Vivar, als wolle er seinen Segen empfangen.

»Machen Sie weiter, Lieutenant«, sagte Vivar.

Pater Alzaga erhob ein letztes Mal Protest, doch Vivar brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen, ehe er Sharpe beruhigte: »Es ist rechtens, dass Sie wissen, was ich von Ihnen will. Ich bezweifle nicht, dass Sie es als unsinnig erachten werden, doch vermutlich gibt es auch in England Dinge, die Ihnen heilig sein werden und die ich nicht anerkennen würde.«

Als er niederkniete, scharrte Sharpes metallene Degenscheide über den Steinfußboden der Kapelle. Er nahm diese Demutshaltung nicht aus Ehrfurcht ein, sondern weil er auf den Knien leichter den Inhalt der Truhe erkunden konnte. Er stemmte sich gegen den schweren Deckel und verzog das Gesicht, als die großen Scharniere knirschten und quietschten.

Drinnen befand sich eine Schatulle. Sie bestand aus einem Leder, das genauso alt zu sein schien wie die Holztruhe. Dieses Leder war einmal rot gewesen, nun jedoch war es so verblasst und abgeschabt, dass es die Farbe getrockneten Blutes angenommen hatte. Die Schatulle war wesentlich kleiner als die Truhe, gerade achtzehn Zoll lang, ein Fuß breit und ein Fuß hoch. Ihr Deckel war mit einer Verzierung versehen, die dereinst durch Blattgold hervorgehoben worden war, von dem jetzt aber nur noch einzelne Schuppen übrig waren. Die Verzierung setzte sich aus einer komplizierten Borte und einem gebogenen Schwert mit breiter Klinge zusammen.

»Santiago wurde mit diesem Schwert getötet«, sagte Vivar leise, »und es ist nach wie vor sein Symbol.«

Sharpe hob die lederne Schatulle aus der Truhe, stand auf und legte sie auf den Altar. »Ist Santiago hier ums Leben gekommen?«

»Er hat das Christentum in Spanien eingeführt.« In Vivars Erläuterung mischte sich ein Hauch von Widerstreben. »Dann ist er ins Heilige Land zurückgekehrt, wo er den Märtyrertod starb. Anschließend wurde sein Leichnam auf einem Schiff aufgebahrt, das weder Ruder noch Segel und keine Besatzung hatte, das ihn jedoch heil an die Küste Galiciens zurückbrachte, wo er sich gewünscht hatte, begraben zu werden.« Vivar verstummte. »Ich wusste, Sie würden das unsinnig finden, Lieutenant.«

»Nein.« Sharpe, überwältigt von der Bedeutung dieses Augenblicks, machte sich an dem goldenen Haken zu schaffen, der die Schatulle verschlossen hielt.

»Seien Sie vorsichtig beim Öffnen«, sagte Vivar, »und fassen Sie nicht an, was Sie darin vorfinden.«

Sharpe hakte den goldenen Verschluss auf. Der Deckel war so steif, dass er befürchtete, sein ledernes Rückgrat zu brechen, das als Scharnier diente, doch er zwängte ihn auf, bis die Schatulle offen vor ihm lag.

Die Priester und die beiden spanischen Offiziere bekreuzigten sich, und Sharpe hörte Pater Alzagas tiefe Stimme ein leises Gebet sprechen. Das Kerzenlicht war schwach. Über der soeben eröffneten Schatulle hing eine Staubwolke. Louisa hielt den Atem an und stellte sich auf die Zehenspitzen, um zu sehen, was darin lag.

Die Lederschatulle war mit Samt ausgekleidet, von dem Sharpe annahm, dass er einst die Farbe königlichen Purpurs gehabt hatte. Nun war er so verblasst und abgewetzt, dass er einen hellen, beinahe fadenscheinigen Lilaton angenommen hatte. Auf der Auskleidung lag ein bestickter Stoffbeutel, der etwa so groß war wie die Feldflasche eines Schützen. Der Beutel war prall gefüllt und mit einer goldenen Schnur zusammengehalten. Das Muster der Stickerei bestand aus Schwertern und Kreuzen.

Vivar bedachte Sharpe mit einem angedeuteten Lächeln. »Wie Sie sehen, sind keine Papiere vorhanden.«

»Nein.« Außerdem konnte es sich weder um Familienschmuck noch um die Krone Spaniens handeln. Außer dem bestickten Beutel gab es nichts.

Vivar erklomm die Stufen zum Altar. »Vor nahezu dreihundert Jahren wurden die Schätze aus Santiagos Schrein versteckt. Wissen Sie, warum sie verborgen werden mussten?«

»Nein.«

»Wegen der Engländer. Ihr Francis Drake war in der Umgebung von Santiago de Compostela eingefallen, und man befürchtete, er werde die Kathedrale erreichen.«