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Sharpe sagte nichts. Vivar hatte mit so bitterer Stimme von Drake gesprochen, dass es eindeutig angebracht war zu schweigen.

Vivar blickte auf den merkwürdigen Schatz hinab. »In England, Lieutenant, wird sicherlich Drakes Trommel aufbewahrt. Haben Sie sie gesehen?«

»Nein.«

Im Kerzenlicht wirkte das Gesicht des Spaniers wie aus glühendem Gestein gehauen. »Aber Sie kennen die Legende von Drakes Trommel?«

Sharpe, der sich darüber im Klaren war, dass alle Anwesenden ihn beobachteten, schüttelte den Kopf.

»Die Legende besagt«, mischte sich Louisa mit gedämpfter Stimme ein, »dass diese Trommel, wenn England in Gefahr schwebt, geschlagen werden muss. Dann wird Drake seinem Wassergrab entsteigen und die Dons vom Ozean vertreiben.«

»Nur handelt es sich nicht um die Dons, nicht wahr?« Immer noch war aus Vivars Stimme die Erbitterung herauszuhören. »Die Trommel kann geschlagen werden, wer immer der Feind sein mag?«

Louisa nickte. »So heißt es.«

»Und noch eine Geschichte gibt es in Ihrem Land: Wenn Britannien die Niederlage droht, wird König Artus sich in Avalon erheben und noch einmal seine Ritter in die Schlacht führen?«

»Ja«, sagte Louisa. »Und die Deutschen glauben, dass Kaiser Friedrich Barbarossa schlafend im Kyffhäuser liege, bereit, wieder aufzuwachen, wenn der Antichrist das Christentum bedroht.«

Vivar freute sich über Louisas Worte. »Sie stehen vor dem gleichen Phänomen, Lieutenant. Sie sehen vor sich das Gonfalon Santiagos, das Banner des heiligen Jakob.« Er trat rasch näher und beugte sich über den Beutel. Alzaga versuchte zu protestieren, doch Vivar ignorierte ihn. Er ergriff mit seinen starken, kurzen Fingern die goldene Schnur und riss sie durch, anstatt den Knoten zu öffnen. Er öffnete den bestickten Beutel, und Sharpe erblickte darin ein gefaltetes, schmutzig weißes Tuch. Er hielt es für Seide, war jedoch nicht sicher, da der gefaltete Stoff so alt war, dass er wohl bei einer einzigen Berührung mit dem Finger in Staub zerfallen wäre. »Seit Jahren«, sagte Vivar ruhig, »gilt das Gonfalon als königlicher Schatz, aber immer war meine Familie sein Hüter. Deshalb habe ich es in Sicherheit gebracht, ehe es den Franzosen in die Hände fallen konnte. Das ist meine Pflicht, Lieutenant.«

Ein kalter Wind, der durch das unverglaste Spitzbogenfenster hereinwehte, ließ die Kerzen erzittern. Sharpe stand da, wie verzaubert von dem Banner, während Vivars Stimme fortfuhr, die Geschichte aus alter Zeit zu erzählen.

Sharpe empfand einen Anflug von Enttäuschung, dass es sich bei dem Schatz nicht um eine alte Krone oder um aufgehäufte Juwelen handelte, die im Kerzenlicht glitzerten, konnte jedoch die Ehrfurcht nicht leugnen, die ihn angesichts des gefalteten Seidentuchs erfüllte. Er starrte es an und versuchte zu erraten, welche Magie seinen staubigen Falten innewohnte.

Vivar trat zurück von der Schatulle. »Vor tausend Jahren, Lieutenant, hatte es den Anschein, als würden die Moslems ganz Spanien unterwerfen. Von Spanien aus wären ihre Heerscharen dann nach Norden gezogen, über die Pyrenäen, um die gesamte Christenheit herauszufordern. Ihre Ketzerei würde selbst jetzt noch in Europa regieren. Es gäbe kein Kreuz, nur einen Halbmond.«

Er machte eine kleine Pause, um dem Engländer Zeit zu geben, darüber nachzudenken, was seine Worte bedeuteten.

»Sie müssen wissen, Lieutenant, dass den Mauren, obwohl sie fast ganz Spanien erobert hatten, in diesem nördlichen Gebirge Einhalt geboten wurde. Sie waren entschlossen, unseren Widerstand hier zu brechen, daher kamen sie zu Tausenden, während wir nur Hunderte waren. Wir konnten nicht siegen, aber uns ergeben konnten wir auch nicht, deshalb zogen unsere Ritter in eine aussichtslose Schlacht nach der anderen.«

Vivar sprach jetzt ganz leise, aber seine Stimme ließ die Anwesenden im Raum reglos verharren.

»Wir verloren eine Schlacht nach der anderen. Unsere Kinder wurden als Sklaven verschleppt, der Islam vergnügte sich an unseren Frauen, und unsere Männer wurden zur Feldarbeit herangezogen oder auf den feindlichen Galeeren eingesetzt. Die Niederlage stand bevor, Lieutenant! Das Licht des Christentums war nichts als die ersterbende Flamme einer Kerze, die dem Licht einer großen, aber bösen Sonne trotzen muss. Dann kam die letzte Schlacht.«

Blas Vivar hielt inne. Dann erzählte er mit einer Stimme, die in ihrem Stolz geradezu wie ein Symbol Spaniens wirkte, dass eine kleine Schar christlicher Ritter auf erschöpften Pferden gegen das muslimische Heer angetreten war. Er erzählte die Geschichte so gut, dass Sharpe das Gefühl hatte mitzuerleben, wie die spanischen Ritter ihre Lanzen gesenkt und unter sonnenhellen Bannern in trägen Galopp verfallen waren. Schwerter trafen auf Krummsäbel. Männer schlugen und hieben um sich. Pfeile surrten durch die Luft, und Banner fielen in den blutgetränkten Staub. Männer, denen die Eingeweide aus den Bäuchen quollen, wurden von Streitrössern niedergetrampelt, und die Schreie der Sterbenden wurden vom Donner immer neuer Attacken und von heidnischem Siegesgeheul übertönt.

»Die Heiden standen kurz davor zu siegen, Lieutenant.« Vivar sprach, als habe er selbst vom Staub dieses fernen Schlachtfeldes gekostet. »Doch in äußerster Not, beim letzten Flackern der Kerze, rief einer der Ritter Santiago an. Es war Santiago, der die Botschaft des Christentums nach Spanien gebracht hatte. Würde der Heilige nun zulassen, dass Christus daraus vertrieben wurde? Der Ritter sprach ein Gebet, und das Wunder geschah!«

Sharpes Haut kribbelte. Er hatte so lange den bestickten Beutel angestarrt, dass sich ringsum die Schatten in der Kapelle wanden und verschoben wie seltsame Untiere.

»Santiago erschien!« Vivars Stimme klang nun triumphierend und laut. »Er kam auf einem weißen Pferd, Lieutenant. In der Hand hielt er ein Schwert aus schärfstem Stahl, und er hieb sich eine Bresche durch den Feind wie ein Racheengel. Sie starben zu Tausenden! An diesem Tag füllten wir die Hölle mit ihren erbärmlichen Seelen, und wir hielten sie auf, Lieutenant! Wir geboten ihnen Einhalt! Es sollte Jahrhunderte dauern, Spanien von ihrem Unflat zu befreien, Jahrhunderte voller Kampf und Streit. Aber jener Tag, als sich Santiago den Beinamen Matamoros verdiente, war wie ein Fanal zum Neubeginn. Und dies ...«, Vivar trat erneut an die Schatulle und berührte sanft die gefaltete Seide in ihrem Beutel, »... ist das Banner, das er trug, Lieutenant. Dies ist Santiagos Gonfalon, das meiner Familie anvertraut ist, seit der erste Graf Mouromorto darum gebeten hat, Santiago möge kommen und den Mördern Christi einen Sieg abringen.«

Sharpe blickte sich um und sah, dass Louisa wie in Trance war. Die Priester beobachteten ihn, um einschätzen zu können, welchen Eindruck die Geschichte auf den fremden Soldaten gemacht hatte.

Vivar schloss die lederne Schatulle und legte sie behutsam wieder in die Kassette. »Zwei Legenden ranken sich um das Gonfalon, Lieutenant. Die erste besagt, dass Spanien vernichtet wird, wenn es den Feinden Spaniens in die Hände fällt. Das ist der Grund, warum Pater Alzaga Ihre Unterstützung ablehnt. Er glaubt, die Engländer würden auf ewig unsere Feinde bleiben und die derzeitige Allianz sei eine Behelfslösung, die nicht von Dauer ist. Er befürchtet, Sie werden das Gonfalon des heiligen Jakob stehlen.«

Sharpe drehte sich zögernd nach dem hochgewachsenen Priester um. Er wusste nicht, ob Alzaga Englisch sprach, versuchte ihm aber dennoch mit ungeschickten Worten zu versichern, dass er nicht die Absicht habe, so etwas zu tun. Dabei kam er sich wie ein Narr vor, und Alzagas verächtliches Schweigen vertiefte nur Sharpes Unbehagen.

Vivar ignorierte wie der Priester seinen Einspruch. »Die zweite Legende ist bedeutsamer, Lieutenant. Sie besagt, dass das Banner, wenn Spanien in Gefahr ist, wenn noch einmal die Barbaren unser Land niedertrampeln, vor dem Hochaltar von Santiagos Grabmal entfaltet werden muss. Dann wird sich Matamoros erheben und kämpfen. Er wird den Sieg erlangen. Dies ist das Wunder, das ich bewirken will, damit das Volk von Spanien, wie viele Leben es auch lassen muss, weiß, dass Santiago mit ihm reitet.«