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»Und beide sind tot. Wir bleiben nicht dadurch am Leben, dass wir gefällig sind, Harper. Wir bleiben am Leben, weil wir schneller und niederträchtiger sind als der Feind. Hast du die Streifen mitgebracht?«

Harper zögerte wieder, dann nickte er widerstrebend. Er kramte in seiner Munitionstasche und holte einen Satz neuer, aus weißer Seide gefertigter Sergeantwinkel hervor. Er zeigte sie Sharpe, dann schüttelte er den Kopf. »Und ich sage immer noch, es ist nicht fair, Sir.«

Das war Sharpes Preis gewesen: Vivar sollte den Iren überreden, seine Pflicht anzunehmen. Wenn Harper bereit sei, den Rang eines Sergeants zu akzeptieren, werde Sharpe gen Santiago de Compostela marschieren.

Der Major hatte sich über diesen Preis amüsiert, sich jedoch einverstanden erklärt.

»Ich nehme die Streifen nicht an, um Ihnen einen Gefallen zu tun, Sir.« Harper benahm sich mit Absicht provokativ, als hoffe er, durch sein unbotmäßiges Verhalten Sharpes Meinung zu ändern. »Ich tue es ausschließlich dem Major zuliebe. Er hat mir von seinem Gonfalon erzählt, Sir. Ich werde es für ihn in die Kathedrale schaffen und Ihnen dann diese Streifen vor die Füße werfen.«

»Du bist Sergeant nach meinem Gutdünken, Harper. Solange ich dich brauche und will. Das ist mein Preis, und das ist es, was du zu akzeptieren hast.«

Abermals betretenes Schweigen. Der Wind zerrte am Hügelkamm und ließ die seidenen Streifen in Harpers Hand flattern. Sharpe fragte sich, wie man in dieser entlegenen Festung so edles, glänzendes Material aufzutreiben vermochte, dann vergaß er diese müßige Überlegung, denn ihm wurde schlagartig klar, dass er schon wieder den falschen Kurs eingeschlagen hatte. Er hatte seine Feindseligkeit erkennen lassen, anstatt zu demonstrieren, dass er auf die Unterstützung dieses großen Mannes angewiesen war. Ebenso wie Blas sich herabgelassen hatte, Sharpe um Hilfe zu bitten, musste nun Sharpe sich herablassen, diesen Mann auf seine Seite zu bringen.

»Auch ich habe die Streifen nicht gewollt, als man sie mir zum ersten Mal angeboten hat«, sagte Sharpe ungeschickt.

Harper zuckte mit den Schultern, als wolle er zeigen, dass ihn diese seltsame Enthüllung nicht interessiere.

»Ich hatte keine Lust, der Wachhund eines Offiziers zu werden«, fuhr Sharpe fort. »Meine Freunde waren einfache Soldaten, meine Feinde Sergeants und Offiziere.«

Er musste den richtigen Ton getroffen haben, denn der Ire verzog halb ärgerlich, halb amüsiert das Gesicht.

Sharpe bückte sich und hob einige Kiesel auf. Er warf sie auf den weißen Felsbrocken und sah zu, wie sie den Hügel hinabrollten. »Wenn wir wieder mit dem Bataillon vereint sind, wird man mich wahrscheinlich zurück in die Beschaffung stecken, und du kannst wieder einfacher Soldat sein.« Sharpe wollte Harper mit dem halben Versprechen beschwichtigen, dass er nicht gezwungen sein würde, die weißen Streifen zu behalten, schaffte es jedoch nicht, die Spuren seiner Abneigung aus seiner Stimme zu bannen. »Bist du damit zufrieden?«

»Jawohl, Sir.« Harpers Zustimmung klang weder eifrig noch erbittert. Er bestätigte lediglich einen Waffenstillstand, den die Vernunft gebot.

»Du musst mich nicht gern haben«, sagte Sharpe, »aber vergiss nicht, ich habe schon Schlachten geschlagen, als dieses Bataillon noch nicht fertig aufgestellt war. Als du ein Kind warst, habe ich bereits eine Muskete getragen. Ich bin immer noch am Leben. Und ich bin nicht dadurch am Leben geblieben, dass ich fair war, sondern weil ich meine Sache gut gemacht habe. Und wenn wir diese Schlacht überleben wollen, Harper, müssen wir allesamt gut sein.«

»Wir sind gut. Major Vivar hat es gesagt«, wandte Harper ein.

»Wir sind auf halbem Wege, gut zu sein.« Sharpe sagte das mit ungewöhnlicher Intensität. »Aber wir werden, verdammt noch mal, die Besten sein. Wir werden die Hähne auf dem schmutzigen Misthaufen Europas sein. Wir werden dafür sorgen, dass die Franzosen mit Schaudern an uns denken. Wir werden gut sein!«

Der Ausdruck in Harpers Augen war schwer zu deuten. Sie wirkten kalt und hart wie die Steine am Hügel, doch in seiner Stimme regte sich nun ein Anflug von Interesse. »Und Sie brauchen mich, um das zu vollbringen?«

»Ja, ich brauche dich. Nicht, damit du den verdammten Schoßhund spielst. Deine Aufgabe ist es, dich für die Männer einzusetzen. Nicht wie Williams, dem es nur darum ging, dass ihn alle gern hatten. Du sollst gute Soldaten aus unseren Männern machen. Das ist unsere einzige Chance, in die Heimat zurückzukehren, wenn der Krieg vorbei ist. Du willst Irland doch wiedersehen, nicht wahr?«

»O ja, das will ich.«

»Nun, du wirst es nicht wiedersehen, wenn du sowohl gegen die eigene Sache ankämpfst als auch gegen die verdammten Franzosen.«

Harper stieß einen tiefen, beinahe entrüsteten Seufzer aus. Es war offensichtlich, dass er die Streifen, wenn auch mit Widerwillen, deshalb akzeptiert hatte, weil Vivar sie ihm aufgedrängt hatte. Nun musste er mit ebensolchem Widerwillen erleben, wie Sharpe ihn halb überzeugte. »Nicht wenige von uns werden die Heimat nie wiedersehen«, sagte er vorsichtig, »wenn wir dem Major zuliebe zu dieser Kathedrale aufbrechen.«

»Bist du der Meinung, wir sollten nicht gehen?«, erkundigte sich Sharpe voller echter Neugier.

Harper dachte darüber nach. Er wog nicht etwa ab, welche Antwort er geben sollte, denn entschieden hatte er sich längst, sondern welchen Tonfall er wählen sollte. Er konnte mürrisch sein und damit sicherstellen, dass Sharpe um den Fortbestand seiner Verärgerung wusste, oder er konnte sich Sharpes versöhnlichem Ton anschließen. Am Ende verwarf er beides und sprach mit tonloser, pflichtbewusster Stimme. »Ich bin der Meinung, wir sollten gehen, Sir.«

»Um einen Heiligen auf einem weißen Pferd zu sehen?«

Wieder besann sich der Ire auf die Alternativen. Er starrte zum kahlen Horizont, dann zuckte er mit den Schultern und sagte entschieden: »Es ist nicht gut, an einem Wunder zu zweifeln, Sir. Wenn man ihm den Kern nimmt, bleibt nichts davon übrig.«

Sharpe hörte die Zustimmung heraus und wusste, dass man ihm seinen Preis bezahlen würde. Harper würde ihn unterstützen, aber Sharpe wünschte sich, dass diese Unterstützung willig war. Er wollte, dass der unsichere Waffenstillstand mehr wurde als eine Behelfslösung. »Bist du ein guter Katholik?«, fragte er, da ihm nicht klar war, wie er seinen neuen Sergeant einzuschätzen hatte.

»Ich bin nicht so fromm wie der Major, Sir. Das sind nicht viele, stimmt's?« Harper unterbrach sich. Er schloss seinen Frieden mit Sharpe, aber es würde nicht zu einer förmlichen Beendigung der Feindseligkeiten kommen. Er hatte nicht vor, das Vergangene zu bedauern, sondern wollte einen neuen Anfang machen, der an diesem kalten Abhang zögernd in Gang kommen musste. Beide Männer waren zu stolz, um sich zu entschuldigen, daher musste man auf Entschuldigungen verzichten. »Religion ist für die Frauen da, wahrhaftig«, fuhr Harper fort, »aber ich bezeuge der Kirche meine Ehrerbietung, wenn es sein muss, und ich hoffe, dass Gott nicht hinsieht, wenn ich nicht will, dass er sieht, was ich tue. Aber ich bin gläubig, ja.«

»Und du hältst es für sinnvoll, eine alte Fahne in eine Kathedrale zu schaffen?«

»O ja, das tue ich«, sagte Harper rundheraus. Dann runzelte er die Stirn und versuchte, sich eine Erklärung dafür einfallen zu lassen, warum er an Vivars Mission glaubte. »Haben Sie die kleine Kirche in Salamanca gesehen, wo die Statue der Jungfrau Maria bewegliche Augen hat? Der Priester dort behauptete, das sei ein Wunder, aber man konnte die Schnur sehen, an der dieser Kerl zog, damit sich die hölzernen Augäpfel bewegten!« Er hatte sich nun ein wenig beruhigt und lachte bei dem Gedanken. »Warum sich die Mühe mit der Schnur machen? Das habe ich mich damals gefragt. Weil das Volk nach Wundern verlangt, deshalb. Und wenn sich ein paar Leute ein Wunder ausdenken, heißt das noch lange nicht, dass es keine echten Wunder gibt, oder? Es bedeutet das genaue Gegenteil, wahrhaftig, denn warum sollte man etwas nachmachen, das es nicht gibt? Vielleicht handelt es sich um das echte Banner. Vielleicht werden wir den heiligen Jakob persönlich zu Gesicht bekommen, wie er in all seiner Pracht am Himmel reitet.« Harper runzelte eine Sekunde lang die Stirn. »Wenn wir es nicht versuchen, werden wir es nie erfahren, stimmt's?«