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»Stimmt.« Sharpes Zustimmung war halbherzig, denn er konnte Vivars Aberglauben nicht als etwas Natürliches hinnehmen. Aber er hatte Harper nach seiner Meinung gefragt, denn die Entscheidung des vergangenen Abends machte ihm eindeutig zu schaffen. Welches Recht hatte ein einfacher Lieutenant, Männer in die Schlacht zu schicken? Gewiss bestand seine Pflicht doch darin, diese Männer in Sicherheit zu bringen und sie nicht gegen eine von den Franzosen besetzte Stadt marschieren zu lassen. Dennoch ließ sich die spontane Abenteuerlust nicht leugnen, die ihn so weit gebracht hatte, und Sharpe hatte wissen wollen, ob Harper bereit war, demselben Impuls zu folgen. Allem Anschein nach war dem so, und das bedeutete, dass die übrigen Grünjacken es ihm gleichtun würden.

»Glaubst du, dass die Männer zum Kampf bereit sind?«, fragte Sharpe unumwunden.

»Einer oder auch zwei werden sich aufregen.« Harper gefiel diese Aussicht nicht. »Gataker wird zetern, nehme ich an, aber ich werde ihn gehörig zurechtstutzen. Wohlgemerkt, sie werden ohne Ausnahme wissen wollen, wofür sie kämpfen, Sir.« Er hielt inne. »Warum, zum Teufel, sagt man Gonfalon dazu? Es handelt sich um eine gewöhnliche Fahne, wahrhaftig.«

Sharpe, der Vivar dieselbe Frage gestellt hatte, lächelte. »Ein Gonfalon ist etwas Besonderes. Es handelt sich um einen langen Tuchstreifen, der von einem Querstab an einer Stange herabhängt. Eine altmodische Bezeichnung für Banner.«

Nun stellte sich verlegenes Schweigen ein. Wie fremde Hunde, die einander begegnen, hatten sie sich angeknurrt, hatten raubeinig Frieden geschlossen und blieben nun vorsichtig auf Distanz. Sharpe beendete das Schweigen, indem er mit einem Nicken ins Tal hinabwies, wo tief unterhalb des Hochpfades Männer herankamen: Dorfbewohner, zähe Galicier vom anderen Ende der Grafschaft Mouromorto, Hirten, Bergarbeiter, Schmiede, Fischer und Schäfer.

»Können wir«, fragte er Harper, »diesen Haufen in einer Woche zu Infanteristen ausbilden?«

»Ist das unsere Aufgabe, Sir?«

»Der Major wird Dolmetscher bereitstellen, und wir bringen Ihnen bei, Infanteristen zu sein.«

»Innerhalb einer Woche?«, fragte Harper erstaunt.

»Du glaubst doch an Wunder, nicht wahr?«, sagte Sharpe leichthin.

Harper tat es ihm gleich. Er wedelte mit den Streifen in seiner Hand und grinste. »Ich glaube an Wunder, Sir.«

»Dann machen wir uns an die Arbeit, Sergeant.«

»Gottverdammt.« Harper hörte zum ersten Mal, dass man ihn als Sergeant bezeichnete. Er schien überrascht zu sein. Dann jedoch grinste er, und Sharpe, der vor Jahren das Gleiche durchgemacht hatte, wusste, dass sich der Ire insgeheim freute. Harper mochte sich gegen die Streifen gewehrt haben, doch sie bedeuteten eine Anerkennung seiner Leistungen, und er war zweifellos der Ansicht, dass kein anderer Mann aus dem Trupp sie verdient hatte. Nun also hatte Harper seine Sergeantwinkel, und Sharpe hatte einen Sergeant.

Und beide hatten ein Wunder zu bewirken.

KAPITEL 12

Am Abend scharten sich die Männer um das Feuer auf dem Festungshof und sangen. Sie sangen nicht etwa die ausgelassenen Marschlieder, die dafür sorgen konnten, dass unter harten Stiefeln die Meilen dahinschmolzen, sondern die sanften, melancholischen Lieder ihrer Heimat. Sie sangen von den Mädchen, die sie zurückgelassen hatten, von ihren Müttern und Kindern.

Jeden Abend flackerten im tiefen Tal unterhalb der Festungsmauern, wo Vivars Freiwillige kampierten, die Lagerfeuer. Diese Freiwilligen kamen überall aus dem Herrschaftsbereich des Grafen von Mouromorto. Sie hatten sich in einer geschützten Einbuchtung des Hügels niedergelassen, wo an einem Bach Kastanienbäume wuchsen, und sie bauten sich Hütten aus Holz und Torf. Sie waren Bauern, die dem Ruf zu den Waffen folgten, wie schon ihre Vorfahren ihre Sensen geschultert hatten und den Mauren entgegenmarschiert waren. Diese Männer waren nicht gewillt, ihre Frauen zurückzulassen, daher sah man des Abends berockte Gestalten zwischen den Feuern, und aus den Torfhütten drang Kindergeschrei.

Sharpe hörte, wie Harper die Schützen vor den Reizen der Frauen warnte. »Eine Berührung«, sagte er, »und ich schlage euch den Schädel ein wie ein verdammtes Ei.« Es kam kein Widerspruch auf, und Sharpe bewunderte die mühelose Art, mit der Harper eine Autorität, die er gar nicht gewollt hatte, ausübte.

Tagsüber wurde Arbeit geleistet, harte Arbeit, dringliche Arbeit, um aus der Niederlage einen Sieg zu machen. Die Priester skizzierten eine Karte der Stadt, in die Vivar detailgenau die französischen Stellungen einzeichnete. Täglich trafen Nachrichten von den Vorbereitungen des Feindes ein, in die Berge getragen von Flüchtlingen, die sich vor den Eroberern in Sicherheit brachten und nun von Verhaftungen und Hinrichtungen erzählten.

Die Stadt war nach wie vor von den verfallenen Mauern ihrer mittelalterlichen Verteidigungsanlagen umgeben. Diese Mauern waren stellenweise ganz verschwunden, und an anderen Stellen waren Häuser hochgezogen worden, die neue Außenbezirke bildeten, doch die Franzosen stützten ihre Verteidigung auf den alten Verlauf der Stadtmauern. Wo Steine herabgefallen waren, hatten sie Barrikaden errichtet. Ihre Befestigungen waren alles andere als Furcht einflößend. Santiago de Compostela war keine Frontstadt, umgeben von Vor- und Sternschanzen, aber die Mauern konnten für einen Infanterieangriff dennoch ein erhebliches Hindernis darstellen.

»Wir greifen kurz vor Morgengrauen an«, verkündete Vivar Anfang der Woche.

Sharpe nickte zustimmend. »Und wenn sie innerhalb der Mauern Wachtposten aufgestellt haben?«

»Damit ist zu rechnen. Wir ignorieren sie.«

Dann berichtete er Sharpe vom ersten Risiko, das eingegangen werden sollte, vom ersten Verzicht auf Sicherheit in diesem verzweifelten Zugriff auf den unmöglichen Sieg. Vivar verließ sich darauf, dass Dunkelheit und Ermüdung die Franzosen benebeln würden. Doch es bedurfte nur eines Soldaten, der in der Finsternis stolperte, eines Schusses aus einer fehlgezündeten Muskete, und der ganze Überfall wäre verraten.

Vivar schlug vor, mit ungeladenen Musketen anzugreifen. Es werde sich, sagte er, nach der ersten Überraschung genügend Zeit finden, dass die Männer ihre Gewehre laden konnten. Sharpe, ein Infanterist, der sich weitaus stärker auf seine Schusswaffe verließ als ein Kavallerist wie Vivar, gefiel der Gedanke gar nicht. Vivar übte Druck aus, aber Sharpe sagte lediglich zu, sich diesen Plan noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen.

Die Pläne wurden nach und nach detaillierter, und mit ihnen wuchsen Sharpes Befürchtungen wie dunkle Wolken am Himmel. Es war leicht, auf dem Papier einen Sieg zu erringen. Dort gab es keine bellenden Hunde, keine Steine, die einen zu Fall bringen konnten, keinen Regen, der das Pulver durchnässte, und der Feind benahm sich so verschlafen, wie es sich Vivar nur wünschen konnte. Aber in der Wirklichkeit?

»Die Franzosen werden doch sicher wissen, dass wir kommen?«, wandte Sharpe ein.

»Sie werden den Verdacht haben, dass wir kommen«, gab Vivar zu. Die Menschenansammlung in den Bergen konnte den Franzosen kaum entgangen sein, obwohl es denkbar war, dass sie eine solche Bedrohung als geringfügig abtun würden. Immerhin hatten sie die Heere Spaniens und Britanniens zerschlagen, was hatten sie also von ein paar Bauern zu befürchten? Doch der Graf von Mouromorto und Oberst de l'Eclin würden genau wissen, was Blas Vivar im Schilde führte, und sie hielten sich beide in Santiago auf. Die Flüchtlinge bestätigten es. Marschall Neys Kavallerie hatte die Stadt eingenommen und war dann nach La Coruña geritten, um sich Marschall Soult anzuschließen. Innerhalb der verfallenen Rundmauern blieben zweitausend französische Kavalleristen zurück.