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Wenn Vivar dagegen jetzt angriff, während Soult noch zwölf Tagesreisen entfernt im Norden war und der kostbare Nachschub in der Stadt gelagert wurde, ließ sich ein doppelter Schlag austeilen: Die Vorräte konnten zerstört und das Banner konnte entfaltet werden.

Vivar dankte den Reitern, dann zog er sich ein Stunde lang allein zum Gebet in die Festungskapelle zurück.

Anschließend suchte er Sharpe auf. »Wir brechen morgen auf.«

»Nicht heute?« Wenn Eile so dringend geboten war, warum zusätzliche vierundzwanzig Stunden warten?

Doch Vivar ließ sich nicht davon abbringen. »Morgen. Wir brechen morgen Vormittag auf.«

Am kommenden Morgen, noch ehe er sich rasiert oder gar einen Becher von dem heißen, bitteren Tee getrunken hatte, den die Rifles so liebten, entdeckte Sharpe, warum Vivar noch einen Tag gewartet hatte. Der Spanier versuchte, die Franzosen mit einer weiteren falschen Spur irrezuführen. Zu diesem Zweck hatte er am Vorabend Louisa aus der Festung entsandt. Ihr Gemach war leer, ihr Bett kalt, und sie war verschwunden.

KAPITEL 13

»Warum?« Sharpes Frage war sowohl eine Herausforderung als auch ein Protest.

»Sie wollte behilflich sein«, sagte Vivar fröhlich. »Sie wollte unbedingt helfen, und ich sah keinen Grund, warum sie es nicht tun sollte. Miss Parker hat tagelang meine Mahlzeiten gegessen und meinen Wein getrunken, warum also sollte sie sich nicht für die erwiesene Gastfreundschaft erkenntlich zeigen?«

»Ich habe ihr gesagt, es sei Unsinn! Die Franzosen werden binnen Minuten ihre Geschichte durchschaut haben!«

»Meinen Sie?« Vivar saß in der Nähe eines Wasserfasses direkt hinter dem inneren Festungstor und bestrich Fußlappen mit dem Fett, das zum Schutz gegen Blasen an jeden Soldaten ausgegeben wurde. Er unterbrach diese unangenehme Aufgabe und starrte Sharpe indigniert an. »Warum sollte es den Franzosen seltsam vorkommen, dass ein junges Mädchen den Wunsch hat, sich mit seiner Familie zu vereinen? Ich kann daran nichts Seltsames finden. Außerdem, Lieutenant, hatte ich es nicht für nötig befunden, Ihre Zustimmung oder Ihre Meinung einzuholen.«

Sharpe ignorierte seinen Tadel. »Sie haben sie einfach in die Nacht hinausgeschickt?«

»Seien Sie nicht albern. Zwei meiner Männer begleiten Miss Parker so weit wie möglich. Dann kann sie den Rest des Weges in die Stadt zu Fuß zurücklegen.« Vivar wickelte einen der fertig beschmierten Lappen um seinen rechten Fuß, dann wandte er sich mit gespieltem Erstaunen um, als habe er soeben erst den wahren Grund für Sharpes Missvergnügen erkannt. »Sie sind in sie verliebt!«

»Nein!«, protestierte Sharpe.

»Dann kann ich mir Ihre Besorgnis nicht erklären. Eigentlich müssten Sie entzückt sein. Miss Parker wird die Franzosen mit gut gespieltem Widerstreben informieren, dass unser Angriff abgeblasen wurde.« Vivar zog den rechten Stiefel hoch.

Sharpe war verblüfft. »Sie haben ihr erzählt, der Angriff sei abgeblasen worden?«

Vivar begann seinen linken Fuß einzuwickeln. »Außerdem habe ich ihr erzählt, wir würden morgen früh in der Dämmerung die Stadt Padron erobern. Diese Stadt liegt etwa fünfzehn Meilen südlich von Santiago de Compostela.«

»Das werden sie niemals glauben!«

»Im Gegenteil, Lieutenant, sie werden die Geschichte für höchst glaubwürdig halten, wesentlich glaubwürdiger als den hirnrissigen Überfall auf Santiago de Compostela! Sie werden sich amüsieren, dass ich einen derartigen Überfall jemals in Betracht gezogen habe, aber mein Bruder wird volles Verständnis dafür haben, dass ich die kleinere Stadt Padron gewählt habe. Dort ist nämlich Santiagos Bestattungsschiff an der Küste gelandet, daher gilt sie als heilige Stätte. Zugegeben, sie ist nicht so heilig wie Santiagos Grabmal, aber Louisas weitere Indiskretionen werden erklären, warum Padron mir genügt.«

»Was für weitere Indiskretionen?«

»Sie wird ihnen erzählen, dass das Gonfalon durch Zeit und Verfall so weit zerstört sei, dass es sich nicht mehr entfalten lässt. Deshalb lautet mein Plan, dass ich seine Fetzen zu Staub zerkrümeln und diesen ins Meer streuen werde. So kann ich zwar nicht das gewünschte Wunder vollbringen, aber zumindest dafür sorgen, dass das Gonfalon niemals den Feinden Spaniens in die Hände fällt. Kurz gesagt, Lieutenant, Miss Parker wird Oberst de l'Eclin mitteilen, dass ich den Angriff aufgegeben habe, weil ich die Stärke ihrer Verteidigungsmaßnahmen fürchte. Dieses Argument müsste ihnen doch auch einleuchten, habe ich recht? Sie versichern mir doch ständig, wie übermächtig unser Feind ist.« Vivar hatte seinen linken Stiefel angezogen und stand auf. »Meine Hoffnung besteht darin, dass Oberst de l'Eclin heute Abend die Stadt verlassen wird, um unserem Anmarsch auf Padron eine Falle zu stellen.«

Wenigstens besaß Vivars falsche Fährte eine Glaubwürdigkeit, die Louisas enthusiastischen Ideen gefehlt hatte. Dennoch war Sharpe erstaunt, dass der Spanier bereit war, das Leben des Mädchens aufs Spiel zu setzen. Er zerbrach die dünne Eisschicht auf dem Wasserfass, holte sein Rasiermesser heraus und legte es auf den Rand des Fasses.

»Die Franzosen werden nicht so unvernünftig sein, nachts die Stadt zu verlassen.«

»Wenn sie der Meinung sind, sie könnten unseren Anmarsch aufhalten oder das Gonfalon an sich bringen? Ich halte es für denkbar. Louisa wird sie außerdem informieren, dass Sie und ich uns zerstritten haben und dass Sie mit Ihren Rifles nach Süden aufgebrochen sind, in Richtung Lissabon. Sie wird sagen, es seien Ihre unziemlichen Aufmerksamkeiten, die sie veranlasst hätten, den Schutz ihrer Familie zu suchen. Also wird de l'Eclin Ihre Rifles nicht fürchten und sich möglicherweise aus seinem Bau locken lassen. Und wenn sie nicht abziehen? Was haben wir dann verloren?«

»Wir könnten Louisa verloren haben!«, sagte Sharpe ein wenig zu heftig. »Sie könnte dabei umkommen!«

»Stimmt, aber es sterben viele Frauen für Spanien, warum sollte nicht Miss Parker für Britannien sterben?« Vivar zog sein Hemd aus und holte sein Rasiermesser und eine Spiegelscherbe hervor. »Ich glaube, Sie sind in sie vernarrt«, sagte er anklagend.

»Nicht sonderlich.« Sharpe gab sich Mühe, in beiläufigem Ton zu sprechen. »Aber ich fühle mich für sie verantwortlich.«

»Das ist eine höchst gefährliche Empfindung gegenüber einer jungen Frau. Verantwortungsgefühl kann zu Zuneigung führen, und Zuneigung, denke ich, die daraus entsteht, ist nicht so dauerhaft wie ...« Vivars Stimme versiegte. Sharpe hatte sich das abgewetzte, zerrissene Hemd über den Kopf gezogen, und der Spanier starrte entsetzt auf seinen nackten Rücken. »Lieutenant?«

»Ich wurde ausgepeitscht.« Sharpe, der den Anblick seiner schrecklichen Narben gewohnt war, empfand jedes Mal Überraschung, wenn andere Leute sie bemerkenswert fanden. »Das war in Indien.«

»Was hatten Sie denn verbrochen?«

»Nichts. Ein Sergeant hatte etwas gegen mich, das ist alles. Der Schweinehund hat gelogen.« Sharpe steckte den Kopf in das eiskalte Wasser, dann tauchte er prustend und tropfend wieder auf. Er bog das Rasiermesser auf und begann seine dunklen Bartstoppeln am Kinn zu bearbeiten. »Das ist sehr lange her.«

Vivar erschauerte. Er spürte, dass Sharpe nicht mehr darüber reden wollte, und tauchte sein eigenes Rasiermesser ins Wasser. »Ich persönlich glaube nicht, dass die Franzosen Louisa umbringen werden.«

Sharpe grunzte, als wolle er andeuten, dass es ihm so oder so gleichgültig sei.

»Die Franzosen, denke ich«, fuhr Vivar fort, »hassen die Engländer nicht so sehr wie die Spanier. Außerdem ist Louisa ein Mädchen von großer Schönheit, und solche Mädchen rufen bei den Männern Verantwortungsgefühl hervor.« Vivar zeigte mit seinem Rasiermesser auf Sharpe, als sei damit seine Behauptung erwiesen. »Sie besitzt außerdem eine Aura der Unschuld, die dafür sorgen wird, dass de l'Eclin sie beschützen und ihr glauben wird.« Er verstummte, um sich seitlich am Unterkiefer zu rasieren. »Ich habe ihr gesagt, sie solle in Tränen ausbrechen. Männer glauben weinenden Frauen alles.«