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Wieder fluchte Sharpe. Er war am falschen Ort. Dieser Fehler besorgte und irritierte ihn, aber am meisten ärgerte er sich darüber, dass Vivar sicherlich sagen würde, es sei deshalb passiert, weil er die Wassergeister, die Xanas, missachtet hatte. Gottverdammt, was für ein Unsinn! Dennoch war Sharpe vom Weg abgekommen, er würde zu spät kommen, und er wusste nicht, wo Vivars andere Truppen waren. Die Angst überwältigte ihn. So durfte kein Angriff beginnen! Es verlangte ihn nach Trompeten und Bannern im Nebel! Stattdessen war er allein, verloren, den Cazadores und Freiwilligen weit voraus. Er redete sich ein, er habe gewusst, dass so etwas passieren würde! Er hatte es schon einmal erlebt, in Indien. Damals hatten sich gute Soldaten, die zu einem nächtlichen Angriff gezwungen wurden, verirrt und in ihre Ängste verstrickt und waren geschlagen worden.

»Was sollen wir tun, Sir?«, fragte Harper.

Sharpe antwortete nicht, denn er wusste es selbst nicht. Er war versucht zu sagen, sie sollten sich zurückziehen und den ganzen Überfall aufgeben, doch dann bewegte sich zu seiner Linken eine Gestalt, Stiefel raschelten auf dem gefrorenen Gras, und der Schmied tauchte wieder aus dem Nebel auf, Blas Vivar an seiner Seite. »Sie sind zu weit marschiert«, flüsterte Vivar.

»Gottverdammt, das weiß ich!«

Der Schmied versuchte offensichtlich zu erklären, dass die Schützen die Possen der Xanas herausgefordert hatten, aber Vivar hatte keine Zeit für seine Beteuerungen. »Bis zur Kirche sind es zweihundert Schritte. In diese Richtung.« Vivar zeigte nach links. Die Kirche hätte sich rechts von ihnen befinden müssen.

Vivars Streitmacht hatte im Schutz der Dunkelheit die Stadt umrundet und näherte sich nun von Norden her. Die nördliche Stadtmauer war seit Langem zerstört, und man hatte ihre Steine verwandt, um die neueren Häuser zu errichten, die sich entlang der Straße nach La Coruña über die Grenzen der mittelalterlichen Befestigung hinaus ausgebreitet hatten. Er hatte diese Straße nicht nur deshalb für seinen Anmarsch ausgewählt, weil sie nicht durch die uralte Mauer versperrt war, sondern auch, weil die dort aufgestellten Wachen annehmen würden, dass es sich bei sämtlichen herannahenden Truppen um Franzosen aus Soults Heer handeln musste.

Die Kirche, die zu dem neueren Vorort gehörte, war zum Wachtposten der Franzosen ausgebaut worden. Sie lag dreihundert Yards außerhalb der Hauptverteidigungslinie, die aus Barrikaden bestand. An jeder Straße, die in die Stadt führte, gab es so ein Wachlokal, das dazu gedacht war, frühzeitig Alarm zu geben, falls Santiago überfallen wurde. Die Wachen, die dort stationiert waren, mochten bei einem Angriff umkommen, aber der Lärm, der dabei entstand, würde die Hauptverteidigung der Stadt alarmieren.

»Ich glaube«, flüsterte Vivar Sharpe zu, »dass Gott auf unserer Seite ist. Er hat den Nebel geschickt.«

»Er hat uns, verdammt noch mal, an den falschen Ort geschickt.«

Die Rifles hätten eine Viertelmeile weiter südlich in der sumpfigen Mulde bleiben müssen, und sie hätten eine Stunde früher dort ankommen sollen. Die Mulde verlief hinter der Kirche und reichte bis an die Häuser direkt außerhalb der Hauptverteidigungslinie. Sie hatten die Chance eingebüßt, sich unerkannt zu nähern. Außerdem konnten sie so dicht am Feind und dem trüben Dämmerlicht des Morgengrauens so nahe keine Zeit erübrigen, im Schutze des Nebels zurückzuschleichen.

»Überlassen Sie das Wachhaus mir«, sagte Vivar.

»Sie wollen, dass ich geradewegs daran vorbeistürme?«

»Ja.«

Für Vivar war das kein Problem, aber es bedeutete eine Änderung gegenüber dem Plan, die den gesamten Angriff gefährdete. Weil sie zu spät und am falschen Ort angekommen waren, verloren die Rifles das Überraschungsmoment. Vivar schlug vor, Sharpes Attacke solle das Wachlokal außer Acht lassen. Das war möglich, nur dass die französischen Wachposten sie nicht übersehen würden. Ihre Reaktion würde Zeit brauchen. Verblüffte Männer verlieren wertvolle Sekunden, und weitere Sekunden würden verloren gehen, falls die feindlichen Musketen, feucht geworden vom Nebel, Fehlschüsse produzierten. Es mochte sogar passieren, dass die Dunkelheit die Rifles verschluckt haben würde, ehe die Franzosen zum Schuss kamen, aber schießen würden sie und das Morgengrauen mit ihrem Lärm erfüllen, ehe die Grünjacken die dreihundert Yards von der Kirche bis zu den Verteidigungsanlagen der Stadt zurückgelegt hatten. Die Wachtposten auf den Barrikaden würden gewarnt sein. Sie würden warten, und Vivars Truppe konnte bestenfalls ein paar Häuser an der Nordseite der Stadt besetzt halten. Wenn dann der Tag heller wurde und der Nebel sich zerstreute, würde ihnen die Kavallerie den Rückzug abschneiden. Um Mittag, dessen war sich Sharpe sicher, würden sie allesamt Gefangene der Franzosen sein.

»Nun?« Vivar entnahm Sharpes Schweigen und seiner Untätigkeit, dass der Schütze die Schlacht bereits verloren glaubte.

»Wo ist Ihre Kavallerie?«, fragte Sharpe, nicht aus Interesse, sondern um die schreckliche Entscheidung aufzuschieben.

»Davila führt sie an. Sie werden am vorgesehenen Platz sein. Die Freiwilligen warten hinter Ihnen auf der Weide.« Als keine Antwort erfolgte, berührte Vivar Sharpes Arm. »Mit Ihnen oder ohne Sie, ich werde es wagen. Ich muss es wagen, Lieutenant. Es wäre mir egal, wenn der Kaiser persönlich mit allen Mächten der Hölle die Stadt bewachte. Ich müsste es dennoch wagen. Es gibt keine andere Möglichkeit, die Schande meiner Familie auszulöschen. Ich habe einen Bruder, der ein Verräter ist, daher muss der Verrat mit Feindesblut fortgespült werden. Und Gott wird meinem Wunsch mit Gnade begegnen, Lieutenant. Sie sagen, Sie hätten keinen Glauben, aber ich denke, kurz vor der Schlacht spürt jeder Mann den Atem Gottes.«

Das war eine gelungene Rede, aber Sharpe fügte sich nicht. »Wird Gott dafür sorgen, dass es im Wachhaus ruhig bleibt?«

»Wenn er es so will.« Der Nebel erhellte sich. Sharpe konnte die kahlen, bleichen Äste der Ulme über sich erkennen. Jede Sekunde Verzögerung machte den Angriff gefährlicher, und Vivar wusste es. »Nun?«, fragte er wieder. Sharpe sagte immer noch nichts, worauf der Spanier mit einer verächtlichen Geste aufstand. »Wir Spanier werden es allein wagen, Lieutenant.«

»Himmel Donnerwetter, nein! Rifles!« Sharpe erhob sich. Er dachte an Louisa. Sie hatte davon gesprochen, den Augenblick zu nutzen, und trotz der Dämonen, die ihm zu schaffen machten, dachte Sharpe daran, dass er sie verlieren könnte, wenn er jetzt nicht handelte. »Mäntel und Tornister ablegen!« Die Schützen gehorchten. Auf diese Weise konnten sie ungehindert kämpfen. »Laden!«

Vivar wollte sich dagegen wehren, dass die Gewehre geladen wurden, aber Sharpe war nicht bereit, nicht nur ohne Überraschungsmoment, sondern auch ohne geladene Waffen zum Angriff überzugehen. Sie mussten das Risiko eines Fehlschusses eingehen. Er wartete, bis auch der letzte Ladestock eingeführt und die letzte Pfanne mit Zündpulver versehen war. »Schwerter aufsetzen!«

Klingen schabten, dann klickte es, als die gefederten Arretierungen der Schwertbajonette an den Gewehrmündungen einrasteten.

Sharpe schlang sich das eigene Gewehr über die Schulter und zog seinen großen, plumpen Degen. »In Reih und Glied, Sergeant! Und sag den Männern, sie sollen verdammt nur ja kein Geräusch machen!« Er blickte Vivar an. »Ich lasse nicht zu, dass Sie denken, es würde uns an Mut fehlen.«

Vivar lächelte. »Darauf wäre ich nie gekommen. Hier.« Er griff sich an den Hut, zog einen winzigen getrockneten Rosmarinzweig heraus und steckte ihn in eine lose Schlaufe an Sharpes Rock.

»Macht mich das zum Angehörigen Ihrer Elitetruppe?«, fragte Sharpe.

Vivar schüttelte den Kopf. »Dieses Kraut hält das Böse fern, Lieutenant.«

Eine Sekunde lang war Sharpe versucht, diesen Aberglauben von sich zu weisen, doch dann dachte er daran, wie er die Xanas missachtet hatte, und ließ den Rosmarinzweig, wo er war. Was sie an diesem Morgen vorhatten, war so aussichtslos, dass er sogar zu glauben bereit war, dass ihm ein vertrocknetes Kraut Schutz bieten konnte. »Vorwärts!«