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Mitgefangen, mitgehangen, dachte Sharpe, und verdammt noch mal, er hatte sich damals in der Festungskapelle auf Vivars Wahnsinn eingelassen, als er sich von dem Geheimnis des Gonfalons hatte überwältigen lassen wie von den schweren Düften eines dunklen, angewärmten Weins. Jetzt war nicht die Zeit, sich von Ängsten überwältigen zu lassen.

Also vorwärts. Vorwärts durch die Bäume, vorbei an einer Steinmauer. Dann trafen Sharpes Stiefel plötzlich auf Kies, und er sah, dass sie die Straße erreicht hatten. Rechts von ihnen ragte ein dunkles Gebäude auf und vor sich konnte er endlich das Feuer des Wachlokals erkennen. Seine Flammen wirkten düster, sie verschwammen im Nebel, aber es war vor der Kirche entfacht worden und beleuchtete die Straße. Nun konnten sie jede Sekunde angerufen werden.

»Aufschließen!«, flüsterte Sharpe Harper zu. »Finger weg vom Abzug!«

»Aufschließen!«, zischte Harper. »Und auf keinen Fall schießen!«

Sharpe wollte das Wachhaus im Laufschritt passieren. Dann würde der Lärm anheben, aber das ließ sich nicht ändern. Es würde mit vereinzelten Musketenschüssen beginnen und in der totalen Kakofonie des Todes enden. Im Augenblick jedoch war nur das Scharren von Stiefeln auf Kies zu hören, das dumpfe Geräusch sorgsam umwickelter Ausrüstungsteile und das heisere Atmen der Männer, die bereits durch stundenlanges Marschieren erschöpft waren.

Harper bekreuzigte sich. Der andere Ire in der Truppe tat es ihm nach. Sie grinsten, nicht vor Freude, sondern vor Angst. Die Schützen zitterten, und ihre Gedärme drangen darauf, sich zu entleeren. Maria, Mutter Gottes, wiederholte Harper ein ums andere Mal. Er nahm an, dass er jetzt ein Gebet an den heiligen Jakob hätte richten müssen, aber er kannte keines, daher wiederholte er in seiner Nervosität die vertrautere Anrufung. Steh uns bei, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.

Sharpe führte sie an. Er schritt langsam aus und starrte dabei unentwegt auf das verschwommene Licht des Wachfeuers. Die Flammen spiegelten sich in seiner Klinge, die er gesenkt hielt. Weit hinter dem ersten Feuer konnte er jetzt andere Feuer ausmachen, die wohl am Rand der französischen Stellungen brannten. Der Nebel wurde zunehmend silbern, hellte sich auf, und er glaubte, sogar das schwach sichtbare Gewirr von Türmen und Kuppeln zu erkennen, das die Stadt vom Himmel abhob. Es handelte sich um eine kleine Stadt, hatte Vivar gesagt, eine Hand voll Häuser um die Abtei herum, ein paar Wirtshäuser, eine Kathedrale samt Vorplatz, aber immerhin eine Stadt, die von den Franzosen besetzt gehalten wurde und von einem zusammengewürfelten kleinen Heer erobert werden musste.

Von einer zusammengewürfelten, braun gekleideten Streitmacht, die vom Glauben eines Einzelnen beflügelt wurde. Vivar, dachte Sharpe, musste gottesfürchtig sein, wenn er glaubte, der mottenzerfressene Seidenfetzen könne ein Wunder bewirken. Das war der reine Irrsinn. Hätte man beim britischen Heer gewusst, dass ein ehemaliger Sergeant Schützen in einen solchen Kampfeinsatz führte, würde man ihn vors Militärgericht stellen. Sharpe hielt sich für ebenso verrückt wie Vivar. Der einzige Unterschied bestand darin, dass Vivar von Gott angestachelt wurde und Sharpe von dem eigensinnigen, törichten Stolz eines Soldaten, der seine Niederlage nicht eingestehen kann.

Allerdings, erinnerte sich Sharpe, hatten andere Männer sich mit ebenso aberwitzigen Träumen Ruhm erworben. Jene paar Ritter, die vor tausend Jahren von den übermächtigen Heerscharen Mohammeds zum Rückzug in ihre Bergfestungen gezwungen worden waren, mussten die gleiche Verzweiflung empfunden haben. Als diese Ritter ihre Gurte enger geschnallt und die Lanzen aus ihrer Halterung am Steigbügel gehoben hatten, als sie unter den flatternden Bannern das gewaltige Halbrund der Feinde erblickt hatten, mussten sie gewusst haben, dass die Stunde ihres Todes gekommen war. Dennoch hatten sie ihre Visiere heruntergeklappt, ihre Rösser angespornt und angegriffen.

Ein Stein, der unter seinem Fuß knirschte, brachte Sharpe wieder in die Gegenwart zurück. Sie befanden sich nun auf einer Straße, hatten das freie Land endgültig hinter sich gelassen. Die Fenster der umliegenden stillen Häuser hatten eiserne Gitter. Die Straße stieg zwar nicht steil, aber doch spürbar an und erschwerte den Angriff noch mehr. Am Feuer regte sich ein Schatten, dann erkannte Sharpe ein provisorisches Hindernis quer über der Straße, das seinem wilden Sturm auf die Hauptverteidigungsanlagen der Stadt ein Ende bereiten würde. Das Hindernis bestand aus zwei Handkarren und einigen Stühlen, erfüllte jedoch seinen Zweck als Barriere.

Aus dem beweglichen Schatten am Wachfeuer wurde eine menschliche Silhouette, ein Franzose, der sich soeben bückte, um mit einem brennenden Fidibus aus dem Feuer seine Pfeife anzuzünden. Der Mann hatte keinen Verdacht geschöpft und blickte auch nicht nach Norden, wo er den Widerschein des Feuers an aufgesetzten Schwertbajonetten hätte sehen können.

Dann bellte rechts in einem Haus ein Hund. Sharpe war so angespannt, dass er beiseite sprang. Der Hund stimmte ein immer wilderes Gebell an. Ein weiterer Hund nahm den Alarm auf, dann krähte herausfordernd ein Hahn. Instinktiv beschleunigten die Schützen ihre Schritte.

Der Franzose am Feuer richtete sich auf und drehte sich um. Sharpe konnte die verräterischen Umrisse der Kopfbedeckung des Mannes ausmachen: ein Infanterist. Kein unberittener Kavallerist, sondern ein gottverdammter französischer Infanterist, der auch sogleich seine Muskete abnahm und auf die Schützen richtete. »Qui vive?«

Mit diesem Ruf begann die Schlacht des Tages. Sharpe holte tief Luft und rannte los.

KAPITEL 14

Es war erstaunlich, wie schnell sich alle Ängste verflüchtigten, nachdem das Warten vorbei war.

Sharpe rannte bergan. Seine Stiefelsohlen, die am vergangenen Tag so sorgfältig angenäht worden waren, hatten sich erneut gelöst. Obwohl er auf der harten Kiesfläche der Straße rannte, hatte es den Anschein, als stürme er durch dicken, klumpigen Schlamm. Doch seine Ängste vergingen, weil die Würfel gefallen waren und nun das Spiel zu Ende gespielt werden musste.

»Qui vive?«

»Ami! Ami! Ami!« Vivar hatte ihm einen ganzen französischen Satz eingetrichtert, der dazu geeignet war, einen aufmerksam gewordenen Späher zu verwirren, aber Sharpe hatte es nicht vermocht, sich die fremdartigen Worte zu merken, daher hatte er sich mit dem einfacheren Wort für »Freund« zufriedengegeben. Er brüllte es immer lauter und zeigte gleichzeitig hinter sich, als sei er auf der Flucht vor einem im Nebel verborgenen Feind.

Der Wachtposten zögerte. Vier weitere Franzosen waren aus der Kirchentür getreten. Einer von ihnen hatte Unteroffiziersstreifen auf seinem blauen Ärmel, aber er wollte offenbar nicht die Verantwortung auf sich nehmen zu schießen, denn er rief im Innern der Kirche nach einem Offizier. »Capitaine! Capitaine!« Dann wandte sich der Unteroffizier, ohne Tschako und noch damit beschäftigt, seine Jacke zuzuknöpfen, wieder den herannahenden Schützen zu. »Halte, là!«

Sharpe hob seine linke Hand, als wolle er seinen Männern befehlen, langsamer zu laufen. Er selbst verlangsamte seine Schritte und brüllte wieder: »Ami! Ami!« Er tat so, als würde er erschöpft vorwärts taumeln, und dieses unbeholfene Täuschungsmanöver brachte ihn bis auf zwei Schritte an den feindlichen Unteroffizier heran. Dann blickte er dem Franzosen in die Augen und sah darin den plötzlichen Schrecken der Erkenntnis.

Zu spät. Sharpes Ängste und die Erlösung von diesen Ängsten, all das fand Eingang in seinen ersten Degenstreich. Ein Schritt nach vorn, der wütende Hieb, schon klappte der Unteroffizier über der hin- und hergedrehten Klinge zusammen, und der erste Wachtposten öffnete den Mund zum Schrei, als sich Harpers Schwertbajonett aufwärts in seinen Bauch bohrte. Die Finger des Franzosen schlossen sich krampfhaft um den Abzug seiner Muskete. Sharpe war dem Mann so nahe, dass er das Mündungsfeuer nicht sah, nur die Explosion in der Zündpfanne. Ein Funken brennenden Pulvers zischte über seinen Kopf hinweg, um ihn herum stieg Rauch auf, dann riss er seinen Degen aus dem Fleisch des Franzosen. Der Unteroffizier fiel rückwärts in das Wachfeuer, und sein Haar, an dem er sich so oft die fettigen Hände abgewischt hatte, loderte einen Moment lang hell auf.