Выбрать главу

»Die armen Pferde!«

»Arm dran sind wir, wenn uns die Pferde erwischen.« Sharpe zerknüllte die Strohhalme und den Schlamm zu einem Ball, den er von sich warf. Richtige Fußangeln aus eisernen Nägeln, die über dem Feuer verschweißt und gehämmert wurden, mussten dicht an dicht auf die Straßen verstreut werden, sobald die Schützen abgezogen waren. Die Spitzen drangen leicht in das weiche Gewebe an der Innenwand eines Pferdehufs ein. Die Tiere würden sich auf die Hinterhand stellen, kehrtmachen, bocken und durchgehen. »Aber die Pferde erholen sich davon«, versicherte er Louisa, die von der schlichten Gemeinheit dieser Waffe bestürzt zu sein schien.

»Wie kommt es, dass Sie darüber Bescheid wissen?«, fragte sie.

»Sie wurden in Indien gegen uns eingesetzt ...« Sharpes Stimme versiegte, denn er sah zum ersten Mal, seit er die Stufen zur Kathedrale erklommen hatte, warum die Menge auf dem Platz so still war.

In seiner Mitte hatte man ein notdürftiges Podest errichtet, ein Podest aus Holzplanken, die über Weinfässer gelegt waren. Darauf stand ein Stuhl mit hoher Lehne, den Sharpe zunächst für einen Thron hielt.

Der Eindruck königlichen Gepränges wurde von der seltsamen Prozession verstärkt, die sich, flankiert von den uniformierten Cazadores, der Plattform näherte. Die Männer in der Prozession trugen schwefelgelbe Roben und rote konische Hüte. Jeder hielt eine Papierrolle in den verschränkten Händen.

»Das Papier«, sagte Louisa mit gedämpfter Stimme, »ist ein Treuegelöbnis. Man hat ihnen vergeben, sehen Sie, aber sie müssen dennoch sterben.«

Da wurde Sharpe alles klar. Der Stuhl war kein Thron, sondern eine Garotte. An seinem hohen Rücken war ein metallener Aufsatz aus Halseisen und Schraube angebracht. Die in Spanien bevorzugte Methode der Exekution. Für Sharpe war es das erste Mal, dass er so ein Gerät zu Gesicht bekam.

Priester begleiteten die Verurteilten. »Sie sind allesamt afrancesados«, sagte Louisa. »Einige haben der französischen Kavallerie als Führer gedient, andere haben Partisanen verraten.«

»Haben Sie etwa vor zuzusehen?«, fragte Sharpe schockiert. Wenn Louisa schon beim Gedanken an einen Dorn im Huf eines Pferdes erbleichte, wie konnte sie dann den Anblick eines Menschen ertragen, dem das Genick gebrochen wurde?

»Ich habe noch nie eine Hinrichtung gesehen.«

Sharpe blickte auf sie hinab. »Und nun wollen Sie eine sehen?«

»Ich habe den Verdacht, dass ich gezwungen sein werde, in den nächsten paar Jahren vieles mit anzusehen, was mir nicht vertraut ist. Sie nicht auch?«

Der erste Mann wurde auf das Podest geschoben und in den Stuhl gesetzt. Der eiserne Kragen wurde ihm um den Hals gelegt. Der Sakristan Pater Alzaga stand neben dem Henker. »Pax et misericordia et tranquillitas!«, brüllte er dem Opfer ins Ohr, während der Henker hinter den Stuhl trat, und der Pater brüllte die Anrufung noch einmal, als der Hebel, der die Schraube bewegte, angezogen wurde. Die Schraube verengte den Kragen mit eindrucksvoller Geschwindigkeit. Noch ehe die lateinische Gebetsformel zum zweiten Mal ausgesprochen war, bäumte sich der Körper in dem Sessel auf und fiel schlaff in sich zusammen. Die Menge seufzte auf.

Louisa wandte sich ab. »Ich wünschte ...«, begann sie, konnte den Satz jedoch nicht zu Ende führen.

»Das ging aber schnell«, sagte Sharpe verwundert.

Der Leichnam, der nun vom Stuhl gestoßen wurde, schlug dumpf auf dem Podest auf, dann erklang ein Scharren, als er heruntergezerrt wurde. Louisa, die nicht länger hinsah, ergriff erst wieder das Wort, nachdem das Gebrüll Pater Alzagas bedeutete, dass ein weiterer Verräter sein Leben ausgehaucht hatte. »Denken Sie schlecht von mir, Lieutenant?«

»Weil Sie bei einer Exekution zugesehen haben?« Sharpe wartete, bis der zweite Leichnam aus dem Stuhl befreit war. »Wie komme ich dazu? Bei öffentlichen Hinrichtungen durch den Strang sind gewöhnlich mehr Frauen vertreten als Männer.«

»Das meine ich nicht.«

Er blickte wieder auf sie hinab und geriet augenblicklich in Verlegenheit. »Ich würde niemals schlecht von Ihnen denken.«

»Es ist in jener Nacht in der Festung geschehen.« In Louisas Stimme lag etwas Flehentliches, als sei sie verzweifelt bemüht, Sharpe verständlich zu machen, was passiert war. »Erinnern Sie sich? Als Don Blas uns das Gonfalon gezeigt und die Geschichte von der letzten Schlacht erzählt hat? Ich glaube, damals bin ich in die Falle gegangen.«

»In die Falle gegangen?«

»Mir gefällt sein Unsinn. Man hat mir beigebracht, die Katholiken zu hassen, sie wegen ihrer Ignoranz zu verachten und wegen ihrer Bösartigkeit zu fürchten. Aber niemand hat mir je von ihren Herrlichkeiten erzählt!«

»Herrlichkeiten?«

»Kahle Kirchen langweilen mich.« Louisa beobachtete beim Sprechen die Hinrichtungen, doch Sharpe bezweifelte, ob sie überhaupt wahrnahm, dass dort auf dem zusammengezimmerten Podest Menschen starben. »Es langweilt mich, immer wieder zu hören, ich sei eine Sünderin und meine Seelenrettung hänge allein von meiner ständigen Bußfertigkeit ab. Ich will nur ein einziges Mal erleben, wie die Hand Gottes in all ihrer Herrlichkeit herabkommt und uns berührt. Ich will ein Wunder, Lieutenant, ich will mir angesichts dieses Wunders so klein vorkommen. Aber Sie finden das sicher unvernünftig, nicht wahr?«

Sharpe sah zu, wie ein weiterer Mann starb. »Sie meinen das Gonfalon.«

»Nein!«, rief Louisa beinahe verächtlich. »Ich glaube nicht eine Sekunde, Lieutenant, dass Santiago diese Fahne aus dem Himmel geholt haben soll. Ich glaube, das Gonfalon ist nichts als ein altes Banner, mit dem einer von Don Blas' Vorfahren in die Schlacht gezogen war. Das Wunder besteht darin, was das Gonfalon bewirkt, nicht darin, was es ist! Wenn wir den heutigen Tag überleben, Lieutenant, haben wir ein Wunder vollbracht. Aber wir hätten es nicht vollbracht, nicht einmal versucht, es zu vollbringen, wenn das Gonfalon nicht wäre!« Sie hielt inne, wartete auf eine Bekräftigung von Sharpe, doch er blieb stumm. Sie zuckte resigniert mit den Schultern. »Sie halten das alles immer noch für Unsinn, nicht wahr?«

Sharpe sagte immer noch nichts. Für ihn war das Gonfalon, ob Unsinn oder nicht, ohne Bedeutung. Er war nicht wegen des alten Banners nach Santiago de Compostela gekommen. Er hatte geglaubt, es um dieses Mädchens willen zu tun, doch dieser Traum hatte sich zerschlagen. Und noch etwas hatte ihn in diese Stadt gelockt. Er war gekommen, um zu beweisen, dass ein Hurensohn von einem Sergeant, dem eine überhebliche Heeresleitung den Kopf getätschelt und ihn zum Quartiermeister ernannt hatte, ebenso gut, verdammt noch mal mindestens so gut wie ein geborener Offizier sein konnte. Und dieser Beweis konnte ohne die Hilfe der Männer in den grünen Jacken nicht angetreten werden, die nun auf den Feind warteten. Sharpe empfand plötzlich Zuneigung zu seinen Rifles. Eine derartige Zuneigung hatte er seit seiner Zeit als Sergeant, als er die Gewalt über Leben und Tod einer Kompanie von Rotröcken hatte, nicht mehr verspürt.

Ein Schrei veranlasste ihn, seine Aufmerksamkeit wieder dem Platz zuzuwenden, wo sich ein widerspenstiger Gefangener gegen die Hände zur Wehr setzte, die ihn auf das Podest hoben. Der Widerstand des Mannes war vergebens. Er wurde auf die Garotte gezwungen und auf dem Stuhl festgeschnallt. Das Eisen wurde um seinen Hals gebogen und die Zunge des Kragens in den Schlitz eingeführt, wo die Schraube ansetzen würde. Alzaga bekreuzigte sich. »Pax et misericordia et tranquillitas!«

Der Körper des Gefangenen in der gelben Robe zuckte krampfhaft, als sich der eiserne Kragen um seinen Hals schloss, um ihm das Rückgrat zu brechen und ihm den Atem zu rauben. Seine mageren Hände kratzten über die Armlehnen des Stuhls, dann erschlaffte er.

Sharpe ging davon aus, dass dieser rasche Tod Graf von Mouromortos Schicksal gewesen wäre, wenn er sich nicht in dem französisch besetzten Palast in Sicherheit gebracht hätte.