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KAPITEL 2

In derselben Nacht führte Lieutenant Sharpe eine Patrouille über den Hügelkamm nach Westen. Er hatte gehofft, feststellen zu können, ob die Franzosen jene Stelle besetzt hielten, wo die Straße die Hügelkette durchquerte, doch in der eisigen Dunkelheit verlor er inmitten des Felsengewirrs die Orientierung und kehrte widerstrebend zu der Höhlung zurück, in der die Schützen Unterschlupf gefunden hatten.

Die Wolken verzogen sich noch vor Morgengrauen, sodass im ersten fahlen Licht der Hauptverband der französischen Verfolger im südlich gelegenen Tal zu erkennen war. Die feindliche Kavallerie war bereits gen Westen davongeritten. Was Sharpe zu sehen bekam, war Marschall Soults Infanterie, die sich hartnäckig an die Fersen von Sir John Moores Heer geheftet hatte.

»Himmeldonnerwetter, wir sind abgeschnitten.« Sergeant Williams äußerte diese pessimistische Einschätzung gegenüber Sharpe, der, statt ihm zu antworten, zu den Verwundeten trat.

Captain Murray lag zitternd unter einem halben Dutzend Mänteln in unruhigem Schlaf. Der Sergeant mit den Wunden an Hals und Schulter war in der Nacht gestorben. Sharpe bedeckte das Gesicht des Mannes mit einem Tschako.

»Das is' ein nichtsnutziger Emporkömmling.« Williams warf einen abschätzigen Blick auf Lieutenant Sharpes Rücken. »Das is' kein Offizier, Harps. Jedenfalls kein richtiger.«

Schütze Harper war dabei, sein Schwertbajonett zu schärfen, und er tat das mit der besessenen Konzentration eines Mannes, der weiß, dass sein Leben vom Zustand seiner Waffen abhängt.

»Kein echter Offizier«, fuhr Williams fort. »Kein Gentleman. Bloß ein Emporkömmling von einem Sergeant, stimmt's?«

»Das ist er.« Harper sah den Lieutenant an und bemerkte die Narben im Gesicht des Offiziers und das entschlossene Kinn.

»Wenn der meint, er könnte mir befehlen, hat er sich verrechnet. Er is' doch nicht besser als ich, oder?«

Harper antwortete bloß mit einem Grunzen und blieb dem Sergeant so die ersehnte Ermunterung schuldig. Williams wartete auf Harpers Unterstützung, doch der Ire beschränkte sich darauf, die Schneide seines Schwertbajonetts in Augenschein zu nehmen und dann die lange Klinge sorgfältig wegzustecken.

Williams spuckte aus. »Man braucht denen bloß eine verdammte Schärpe und einen Säbel umzuhängen, und schon halten sie sich für den lieben Gott persönlich. Der is' nicht mal ein richtiger Schütze, bloß ein verdammter Quartiermeister, Harps!«

»Das ist er«, stimmte Harper zu.

»Ein Emporkömmling von einem Erbsenzähler, stimmt's?«

Sharpe drehte sich rasch nach ihm um, und obwohl das völlig unmöglich war, hatte Williams das Gefühl, belauscht worden zu sein. Der Blick des Lieutenants war stahlhart. »Sergeant Williams!«

»Sir.« Obwohl er soeben verkündet hatte, er werde ihm nicht gehorchen, trat Williams eilfertig zu Lieutenant Sharpe.

»Wetterschutz.« Sharpe deutete ins nördliche Tal hinab, wo weit unter ihnen die Steinbauten eines Gehöfts allmählich aus dem abziehenden Nebel auftauchten. »Schafft die Verwundeten dorthinunter.«

Williams sog wie zweifelnd die Luft durch seine gelben Zähne ein. »Ich weiß nich' recht, ob die Leute bewegt werden dürfen, Sir. Der Captain is'...«

»Ich habe gesagt, Sie sollen die Verwundeten dort runterschaffen, Sergeant.« Sharpe hatte sich bereits entfernt, doch nun drehte er sich noch einmal um. »Von einer gottverdammten Diskussion war nicht die Rede. Also los.«

Sie brauchten einen Großteil des Morgens, aber dann war es ihnen gelungen, die Verwundeten zu dem verlassenen Gehöft hinunterzutragen. Das trockenste Gebäude war die steinerne Scheune, die auf Pfeilern errichtet war, um Ungeziefer fernzuhalten. Auf dem Dachfirst befanden sich Kreuze, sodass die Scheune aus der Entfernung wie eine kleine schmucklose Kirche aussah. Das eingefallene Wohnhaus und die Viehställe boten feuchtes, wurmstichiges Holz, das sich, klein gehackt und mit Schwarzpulver versetzt, zu einem Feuer entfachen ließ, an dem sich die Verwundeten wieder aufwärmen konnten. Schütze Hagman, ein zahnloser Mann im mittleren Alter, der aus der Grafschaft Cheshire stammte, machte sich auf die Suche nach Nahrung, während Sharpe auf den nach Osten und Westen verlaufenden Ziegenpfaden Posten aufstellte.

»Captain Murray geht's nicht gut, Sir.« Sergeant Williams trat Sharpe in den Weg, als dieser zur Scheune zurückkehrte. »Er braucht einen Arzt, Sir.«

»Das wird sich kaum machen lassen, oder?«

»Es sei denn, wir - will sagen ...« Der Sergeant, ein gedrungener, rotgesichtiger Mann, schaffte es nicht zu sagen, was er auf dem Herzen hatte.

»Es sei denn, wir ergeben uns den Franzosen?«, fragte Sharpe mit bitterer Stimme.

Williams blickte dem Lieutenant in die Augen. Es waren seltsame Augen, deren eisiger Blick in diesem Moment geradezu etwas Reptilhaftes hatte. Der Sergeant brachte genug Widerstandsgeist auf, seine Argumentation fortzuführen. »Die Froschfresser haben immerhin Feldärzte dabei, Sir.«

»In einer Stunde ...«, Sharpes Stimme ließ erkennen, dass er Williams' Worte überhört hatte, »... werde ich die Gewehre der Männer inspizieren. Stellen Sie sicher, dass sie bereit sind.«

Williams starrte den Offizier streitlustig an, brachte jedoch nicht den Mut auf, sich ihm zu widersetzen. Er nickte knapp und wandte sich ab.

Captain Murray saß in der Scheune, den Rücken an einen Haufen Säcke gelehnt. Er schenkte Sharpe ein schwaches Lächeln. »Was haben Sie vor?«

»Sergeant Williams meint, ich sollte Sie einem französischen Feldarzt übergeben.«

Murray schnitt eine Grimasse. »Ich habe gefragt, was Sie vorhaben.«

Sharpe ließ sich neben dem Captain nieder. »Den Anschluss suchen.«

Murray nickte. Er hatte einen Becher Tee in der Hand, das kostbare Geschenk eines der Schützen, der die Teeblätter in den Tiefen seiner Munitionstasche gehortet hatte. »Sie können mich hier zurücklassen.«

»Ich kann doch nicht einfach ...«

»Ich werde sterben.« Murray zuckte mit den Schultern, um anzudeuten, dass er auf Sympathiebezeugungen verzichten konnte. Seine Wunde blutete nicht allzu stark, aber sein Bauch war inzwischen blau angeschwollen, was bedeutete, dass der Captain innere Blutungen hatte. Er wies mit dem Kopf auf die anderen drei Schwerverwundeten, alle mit tiefen Säbelverletzungen an Gesicht oder Rumpf. »Lassen Sie die ebenfalls zurück. Wohin werden Sie sich wenden? In Richtung Küste?«

Sharpe schüttelte den Kopf. »Wir können das Heer jetzt nicht mehr einholen.«

»Wahrscheinlich nicht.« Murray schloss die Augen.

Sharpe wartete. Es hatte wieder zu regnen begonnen, und durch ein Loch im Dach tropfte es unaufhörlich ins Feuer. Er überlegte, welche Möglichkeiten ihm noch blieben. Am Erfolg versprechendsten erschien ihm der Versuch, Sir John Moores Heer zu folgen, aber das zog sich in aller Eile zurück, und die Franzosen kontrollierten inzwischen die Straße, die Sharpe hätte nehmen müssen. Er war sich darüber im Klaren, dass er dieser Versuchung widerstehen musste, weil sie nur in Gefangenschaft enden konnte. Stattdessen musste er sich nach Süden wenden. Sir John war aus Lissabon aufgebrochen und hatte einige Einheiten zurückgelassen, um die portugiesische Hauptstadt zu beschützen. Vielleicht gab es diese Garnison noch, und vielleicht konnte Sharpe sie erreichen.

»Wie weit ist es nach Lissabon?«, fragte er Murray.

Der Captain öffnete die Augen und runzelte die Stirn. »Keine Ahnung. Vier-, fünfhundert Meilen?« Er zuckte zusammen, als ihn der Schmerz durchfuhr. »Wahrscheinlich sind es auf diesen Straßen eher sechshundert. Meinen Sie, wir haben da noch Soldaten?«