Wieder gab der Graf seinem Pferd die Sporen. Es wich seitlich aus, dann warf es sich, noch einmal angespornt, nach vorn. Mouromorto fletschte in dem Bewusstsein, dass er diesen Kampf gewonnen hatte, die Zähne, und sein langer Säbel sauste auf seinen Bruder hinab.
Doch Vivar lehnte sich im Sattel zurück, ganz weit zurück, sodass die Klinge seines Bruders an ihm vorbeizischte und nicht mehr schnell genug gehoben werden konnte, als er sich aufrichtete und mit der eigenen Waffe zustach. Der Stahl bohrte sich zitternd in Mouromortos Bauch. Ihre Augen begegneten sich, und Vivar drehte die Klinge herum. Er empfand Erbarmen und wusste, dass er sich kein Erbarmen leisten konnte. »Verräter!« Wieder drehte er die Klinge, dann hob er den Stiefel, um dem Pferd einen Tritt zu versetzen und seinen Säbel herauszuziehen. Der Stahl löste sich federnd, Blut spritzte auf den Sattelknauf des Grafen, und sein Schmerzensschrei erstarb, als er in den blutdurchtränkten Schlamm fiel.
»Santiago!«, rief Vivar triumphierend, und der Ruf setzte sich durch das ganze kleine Tal fort, während sich die Cazadores um das Banner eines toten Heiligen versammelten und ihre Säbel gegen die dritte französische Schwadron erhoben.
Die Schützen waren auf der Jagd nach den Überlebenden der ersten beiden Schwadronen. Einzelne Dragoner wandten ihre Pferde zur Flucht, denn sie wussten, dass sie geschlagen waren.
Der Säbel eines Cazadors schlitzte dem französischen Standartenträger die Kehle auf. Dann packte der Spanier die feindliche Flagge und hob sie zur Feier des Sieges hoch.
Oberst de l'Eclin sah, wie die kleine Standarte erbeutet wurde, und erkannte, dass er besiegt war, besiegt vom großen weißen Gonfalon des Matamoros.
»Zurück!« Der Gardejäger wusste, wann ein Kampf hoffnungslos geworden war. Er wusste, wann es besser war, eine Hand voll Männer zu retten, die dann später erneut zum Kampf antreten konnten.
»Nein!« Sharpe sah, wie der Oberst den Rückzug befahl, und rannte auf den Franzosen zu. »Nein!« Sein Knöchel schmerzte immer noch vom Sprung von der Plattform der Kathedrale. Der Schmerz behinderte sein Vorankommen, und der morastige Boden hätte ihn beinahe zu Fall gebracht, doch er zwang sich weiterzulaufen. Er ließ seine Schützen zurück und fuhr fort, in verzweifelter Wut zu brüllen. »Du Schweinehund! Nein!«
De l'Eclin hörte die Beschimpfung. Er drehte sich um, sah, dass Sharpe von seinen Grünjacken isoliert war, und nahm wie jeder rechte Kavallerist die Herausforderung an. Er ritt auf Sharpe zu und dachte daran, wie er beim letzten Kampf mit dem Schützen die simple Kriegslist angewandt hatte, den Säbel statt in die rechte in die linke Hand zu nehmen. Diese List ließ sich nicht wiederholen. Heute wollte der Oberst im letzten Augenblick sein Pferd anspornen, sodass der schwarze Hengst mit tödlicher Geschwindigkeit vorwärts stürmte und dem Säbelhieb all seine Wucht verlieh.
Sharpe wartete, bereit, mit seinem Degen nach dem Maul des Pferdes zu schlagen. Jemand rief ihm zu, er solle ausweichen, doch der Schütze hielt stand, während der große Rappe auf ihn zustürmte. De l'Eclin hielt den Säbel so, dass seine Spitze sich in Sharpes Rippen bohren musste, doch in letzter Sekunde, während er dem Pferd noch einmal die Sporen gab, änderte der Franzose die Stoßrichtung. Mit der Flinkheit einer zubeißenden Schlange hob er die Klinge und drehte sie so, dass sie auf Sharpes ungeschützten Kopf treffen musste.
De l'Eclin brüllte triumphierend, als sein Säbel herabschwang und der Schütze, dessen Degen sein Pferd verfehlt hatte, unter dem Hieb zu Boden ging.
Aber Sharpe hatte nicht auf de l'Eclins Pferd gezielt. Mit einer Geschwindigkeit, die der des Gardejägers in nichts nachstand, hatte er stattdessen die starke Klinge über den Kopf erhoben und hielt sie dort wie einen Stab, um dem Aufprall des Säbels zu begegnen. Dieser Aufprall war es, der Sharpe niederzwang, fast bis auf die Knie. Zuvor jedoch ließ seine rechte Hand den Griff seiner Waffe los und packte den Säbelarm des Gardejägers. Sharpes Degen traf mit dumpfem Schlag die eigene Schulter, getrieben von der abgewehrten Säbelklinge, aber seine Finger hatten sich um de l'Eclins Gelenkriemen geschlossen. Er entließ die Klinge seines Degens aus der linken Hand und umschloss mit ihr das Handgelenk des Franzosen.
De l'Eclin brauchte eine Sekunde, um zu erkennen, was passiert war. Sharpe klammerte sich fest wie ein Hund, der seine Zähne in den Hals eines Ebers geschlagen hat. Er ließ sich über den sumpfigen Boden mitziehen. Das Pferd verdrehte den Hals und versuchte den Schützen zu beißen. Der Gardejäger schlug mit der freien Hand nach ihm, aber Sharpe hielt sich fest, schleifte nach und versuchte, auf dem Morast Halt zu finden. Sein nacktes rechtes Bein war mit Schlamm und Blut verschmiert. Das Pferd versuchte ihn abzuschütteln, gerade als Sharpe den Franzosen aus dem Sattel heben wollte. Der Gelenkriemen des Säbels schnitt ihm in die Finger wie Draht.
De l'Eclin bemühte sich, mit der rechten Hand eine Pistole aus dem Holster zu holen. Harper und eine Schar von Grünjacken rannten herbei, um zu helfen.
»Lasst ihn! Rührt ihn nicht an!«, rief Sharpe.
»Verflucht soll er sein!« Harper rammte seinen Gewehrkolben ins Maul des Rappen. Der ging auf die Hinterhand, sodass de l'Eclin das Gleichgewicht verlor und, von Sharpes Körpergewicht nach hinten gezogen, aus dem Sattel stürzte.
Schwertbajonette erhoben sich, um auf den Franzosen einzustechen.
»Nein!«, schrie Sharpe verzweifelt. »Nein! Nein!«
Er war mit de l'Eclin zu Boden gegangen und hatte beim Aufprall den Zugriff auf sein Handgelenk verloren. Der Franzose wich vor Sharpe zurück, kam taumelnd auf die Beine und hieb mit dem Säbel nach den Schützen, die ihn umringten. Sharpes Degen war verschwunden. De l'Eclin sah sich nach seinem Pferd um, dann warf er sich vorwärts, um Sharpe zu töten.
Harper schoss sein Gewehr ab. »Nein!« Sharpes Protest ging im Knallen der Büchse unter.
Die Kugel traf de l'Eclin genau in den Mund. Sein Kopf wurde nach hinten gerissen, als habe jemand an einem unsichtbaren Faden gezogen. Der Franzose fiel, Blut spritzte wie ein Springbrunnen in den dunkler werdenden Himmel, dann erschlaffte sein Körper im Schlamm, zuckte noch einmal wie ein frisch gefangener Fisch und blieb dann reglos liegen.
»Nein?«, sagte Harper indigniert. »Der Schweinehund war dabei, Sie zu filetieren!«
»Schon gut.« Sharpe dehnte die Finger seiner rechten Hand. »Schon gut. Ich wollte nur verhindern, dass seine Beinkleider Löcher bekommen.« Er betrachtete die lederbesetzte Uniformhose des Toten und die hohen, schönen Stiefel. Das waren Stücke von großem Wert, und nun gehörten sie Sharpe. »In Ordnung, Jungs, zieht ihm die verdammte Hose aus und seine Stiefel.« Die Schützen starrten Sharpe an, als habe er den Verstand verloren. »Zieht ihm die verdammte Hose aus! Ich will sie haben. Und seine Stiefel! Warum, glaubt ihr, sind wir hergekommen? Beeilt euch!«
Obwohl Louisa und ein Dutzend anderer Frauen zugegen waren, zog Sharpe an Ort und Stelle seine alten Stiefel und die zerfetzte Hose aus.
Am Himmel versickerte der letzte Funken Tageslicht. Die überlebenden Dragoner waren geflohen. Die Verwundeten stöhnten und regten sich im feuchten Gras, während die Sieger auf der Suche nach Beute zwischen den Gefallenen umhergingen.
Einer der Schützen bot Sharpe die leuchtend rote Pelisse an, doch der lehnte sie ab. Er brauchte solchen Tand nicht, nur die grünen Beinkleider, die ihm passten, als seien sie auf ihn zugeschnitten, hatte er sich sehnlichst gewünscht. Und zu der Hose kam das Wertvollste, was ein Infanterist besitzen konnte: gute Stiefel. Hohe Stiefel aus gutem Leder, in denen er über Land marschieren konnte, gute Stiefel, die Sharpe passten, als habe der Schuhmacher gewusst, dass dieser Schütze eines Tages einen solchen Luxusartikel brauchen würde.