Sharpe entfernte die rasiermesserscharfen Sporen, zog die Stiefel über die Waden hoch und stampfte dann zufrieden auf den Grasboden. Er knöpfte seine grüne Jacke auf und gürtete sich wieder mit dem eigenen Degen. Er lächelte. Ein altes Banner, neu gemacht, hatte einen wundersamen Sieg bewirkt, eine rote Pelisse lag im Schlamm, und Sharpe hatte für sich Stiefel und Hosen gefunden.
Das alte Gonfalon, erzählte Louisa dem Lieutenant, sei in das neue eingenäht worden. Sie hatte die Arbeit heimlich ausgeführt, droben in der hohen Festung, ehe sie nach Santiago de Compostela aufgebrochen war. Die Idee stammte von Major Vivar, und diese Arbeit hatte den Spanier und das englische Mädchen einander nahegebracht.
»Die Sergeantwinkel«, sagte sie, »sind aus demselben Seidenstoff.«
Sharpe sah zu Harper hinüber, der mit den Rifles vorausging. »Verraten Sie ihm das nicht, um Himmels willen, sonst hält er sich für einen Wundertäter.«
»Sie sind einer wie der andere Wundertäter«, sagte Louisa herzlich.
»Wir sind nichts als Schützen.«
Louisa lachte über die Bescheidenheit, die einen ungeheuren Stolz verriet. »Aber das Gonfalon hat tatsächlich ein Wunder vollbracht«, sagte sie tadelnd. »Und das war kein Unsinn, nicht wahr?«
»Unsinn war es nicht«, gestand Sharpe ein. Er ging neben ihrem Pferd her, vor Major Vivar und seinen Spaniern. »Was passiert nun mit dem Gonfalon?«
»Es wird nach Sevilla oder Cadiz geschafft, dorthin, wo es am sichersten ist. Und eines Tages wird es zu einem spanischen König nach Madrid zurückkehren.«
In den kleinen Dörfern und Ortschaften, durch die die Schützen marschierten, erzählte man sich bereits die Geschichte vom Gonfalon. Die Nachricht breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Sie handelte von einer französischen Niederlage und einem spanischen Sieg - und von einem Heiligen, der das uralte Versprechen eingelöst hatte, sein Volk zu verteidigen.
»Und wohin werden Sie jetzt gehen?«, fragte der Lieutenant Louisa.
»Ich gehe hin, wo Don Blas hingeht, also dorthin, wo es Franzosen zu töten gibt.«
»Nicht nach Godalming?«
Sie lachte. »Ich hoffe nicht.«
»Und Sie werden eine Gräfin sein«, sagte Sharpe ergriffen.
»Ich finde, das ist besser, als Mrs Bufford zu sein, obwohl es ungemein hässlich von mir ist, so etwas zu sagen. Und meine Tante wird mir nie verzeihen, dass ich Katholikin geworden bin. Sie sehen also, es ist bei alledem doch etwas Gutes herausgekommen.«
Sharpe lächelte. Sie waren gen Süden marschiert, und nun mussten sie sich trennen. Die Franzosen hatten sie hinter sich gelassen, der Schnee war geschmolzen, und sie hatten ein flaches Tal erreicht, durch das der kalte Februarwind blies. Am Rand des Tals machten sie halt. Der gegenüberliegende Grat gehörte schon zu Portugal, und an diesem fremden Horizont erblickte Sharpe eine Gruppe blau uniformierter Männer. Diese Männer beobachteten die Fremden, die aus dem spanischen Bergland gekommen waren.
Blas Vivar, nun der Graf von Mouromorto, stieg vom Pferd. Er bedankte sich persönlich bei jedem einzelnen Schützen, bis er zu Sharpe kam und ihn zu dessen entsetzlicher Verlegenheit umarmte. »Sind Sie sicher, dass Sie nicht bleiben wollen, Lieutenant?«
»Die Versuchung ist groß, Sir aber ...« Sharpe zuckte mit den Schultern.
»Sie wollen vor dem britischen Heer mit Ihrer neuen Hose und den Stiefeln prahlen. Hoffentlich dürfen Sie sie behalten.«
»Nicht, wenn ich nach Britannien zurückgeschickt werde.«
»Was ich befürchte«, sagte Vivar, »während wir zurückbleiben, um die Franzosen zu bekämpfen. Aber eines Tages, Lieutenant, wenn der letzte Franzose tot ist, werden Sie nach Spanien zurückkehren und mit dem Grafen und der Gräfin von Mouromorto feiern.«
»Das werde ich, Sir.«
»Und ich bezweifle, dass Sie dann immer noch Lieutenant sein werden.«
»Damit rechne ich wohl, Sir.« Sharpe blickte zu Louisa auf und sah das Glück, das sie erfüllte und das er ihr nicht verdenken konnte. Er lächelte und legte die Hand an seine Gurttasche. »Ich habe Ihren Brief dabei.« Sie hatte an ihre Tante und ihren Onkel geschrieben und ihnen mitgeteilt, dass sie ihre Nichte an die Kirche Roms und einen spanischen Soldaten verloren hatten.
Sharpe wandte sich noch einmal Vivar zu. »Danke, Sir.«
Vivar lächelte. »Sie sind ein aufsässiger Halunke, ein Heide und ein Engländer. Aber außerdem sind Sie mein Freund. Vergessen Sie das nicht.«
»Jawohl, Sir.«
Dann gab es nichts mehr zu sagen. Die Rifles marschierten hintereinander den Hügel hinab, dem Wasserlauf entgegen, der die Grenze zu Portugal bildete. Blas Vivar sah zu, wie die Grünjacken durch das Wasser wateten und sich am gegenüberliegenden Hang an den Aufstieg machten.
Einer der Männer, die auf dem portugiesischen Grat warteten, konnte es nicht abwarten herauszufinden, wer die Fremden waren. Er eilte die Steigung herab auf die Rifles zu.
Sharpe sah, dass der Mann ein britischer Offizier war, ein Captain mittleren Alters, der den blauen Rock der Royal Engineers trug. Sharpes gute Laune verflüchtigte sich augenblicklich. Er kehrte in die strikte Hierarchie eines Heeres zurück, das nicht daran glaubte, dass zu Offizieren ernannte ehemalige Sergeants eine Kampfeinheit führen könnten. Er war versucht kehrtzumachen, sich über den Wasserlauf zu retten und bei Blas Vivar seine Freiheit zu genießen, aber dann rief ihnen der britische Captain eine Frage zu, und die alten Fesseln der Disziplin waren stark genug, um Sharpe zu einer Antwort zu bewegen.
»Sharpe, Sir. Rifles.«
»Hogan, Royal Engineers. Aus der Lissaboner Garnison.« Hogan hastete die letzten paar Yards heran. »Wo kommen Sie denn her?«
»Wir wurden von Moores Einheit getrennt, Sir.«
»Sie haben gut daran getan, den Rückzug zu bewältigen!« Hogans Bewunderung wirkte echt. Er sprach mit irischem Akzent. »Sind Franzosen hinter Ihnen her?«
»Wir haben seit einer Woche keine mehr gesehen, Sir. Das spanische Volk machte ihnen schwer zu schaffen.«
»Gut! Hervorragend! Dann kommen Sie, Mann! Wir haben einen Krieg zu führen!«
Sharpe rührte sich nicht. »Heißt das, wir suchen also nicht das Weite, Sir?«
»Das Weite suchen?« Hogan erschien empört ob dieser Frage. »Natürlich suchen wir nicht das Weite. Es geht doch darum, dafür zu sorgen, dass die Franzosen das Weite suchen. Man will Wellesley hierher zurückschicken. Er ist ein großspuriger Halunke, aber er weiß, wie man kämpft. Wir stehlen uns nicht einfach davon!«
»Wir bleiben hier?«
»Natürlich bleiben wir hier! Was glauben Sie denn, was ich hier mache? Eine Gegend kartografieren, die wir aufzugeben gedenken? Guter Gott, Mann, wir werden bleiben und kämpfen!« Hogan besaß eine überschäumende Energie, die Sharpe an Blas Vivar erinnerte. »Wenn die verfluchten Politiker in London nicht die Nerven verlieren, werden wir die verdammten Franzosen bis nach Paris zurückjagen!«
Sharpe drehte sich um und spähte zu Louisa hinüber. Einen Moment lang war er versucht, ihr die gute Nachricht zuzurufen, doch dann verzichtete er achselzuckend darauf. Sie würde es bald erfahren und ändern würde sich dadurch nichts. Er lachte.
Hogan führte die Rifles den Hang hinauf. »Ich nehme an, Ihr Bataillon ist nach England zurückgekehrt?«
»Ich weiß es nicht, Sir.«
»Wenn es nach La Coruña oder Vigo gezogen ist, wird es sich eingeschifft haben. Aber ich denke doch, dass Sie sich ihm nicht mehr anschließen werden.«
»Nicht, Sir?«
»Wir brauchen jeden Schützen, den wir kriegen können. Wenn ich Wellesley richtig einschätze, wird er wollen, dass Sie dableiben. Das wird offiziell natürlich nicht gehen, aber ich denke, wir werden eine Nische finden, in der wir Sie verstecken können. Würde Ihnen das etwas ausmachen?«