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»Schlimmstenfalls könnten wir dort ein Schiff finden.«

»Wenn die Franzosen nicht vor Ihnen ankommen. Was halten Sie von Vigo?«

»Die Wahrscheinlichkeit, dass die Franzosen schon dort sind, ist größer als bei Lissabon.«

»Stimmt.« Die leichte Division war auf einer südlicher gelegenen Straße nach Vigo entsandt worden. Nur ein Teil der Truppe, darunter auch die Schützen, war zurückgeblieben, um Sir John Moores Rückzug abzusichern. »Vielleicht ist Lissabon doch am geeignetsten.« Murray blickte an Sharpe vorbei und sah, wie die Männer ihre Gewehrschlösser säuberten und ölten. Er seufzte. »Gehen Sie nicht zu hart mit ihnen um.«

»Tu ich nicht.« Sofort ging Sharpe in die Defensive.

Ein Lächeln huschte über Murrays Gesicht. »Haben Sie jemals unter dem Kommando eines Offiziers gestanden, der aus den Mannschaftsdienstgraden hervorgegangen war?«

Sharpe vermutete darin eine Kritik an seiner Person und war einen Moment lang beleidigt. Dann erkannte er jedoch, dass Murray ihm nur helfen wollte. »Nein, Sir, nie.«

»Die Männer sträuben sich dagegen. Eigentlich dumm von ihnen. Sie meinen, man würde nicht zum Offizier ernannt, sondern als Offizier geboren.« Murray hielt inne, um Atem zu schöpfen, und zitterte vor Schmerzen. Er merkte, dass Sharpe ihn zum Schweigen auffordern wollte, und schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht mehr viel Zeit. Also muss ich die verbleibende gut nutzen. Sie halten mich hoffentlich nicht für unverschämt?«

»Nein, Sir.«

Murray unterbrach sich, um einen Schluck Tee zu nehmen. »Es sind gute Männer.«

»Ja.«

»Aber sie haben seltsame Vorstellungen davon, was gut und richtig ist. Wissen Sie, sie erwarten von Offizieren, dass sie anders sind. Ihrer Meinung nach haben sie privilegiert zu sein. Offiziere sind Männer, die aus freien Stücken in den Kampf ziehen, nicht weil die Armut sie dazu zwingt. Begreifen Sie das?«

»Ja.«

»Sie halten Sie im Grunde für einen der ihren, für einen der Verdammten. Sie wollen, dass ihre Offiziere anders dastehen.« Murray schüttelte traurig den Kopf. »Kein besonders guter Rat, stimmt's?«

»Doch, sehr gut«, log Sharpe.

Der Wind seufzte um die Ecken der steinernen Scheune und ließ die Flammen des kleinen Feuers flackern. Murray lächelte traurig. »Ich will mir einen Rat ausdenken, der Ihnen praktische Unterstützung bietet. Einen, der Sie nach Lissabon bringt.« Er runzelte kurz die Stirn, dann richtete er die rot geränderten Augen auf Sharpe. »Machen Sie sich Patrick Harper zum Freund.«

Sharpe warf einen Seitenblick auf die Männer, die am anderen Ende der Scheune zusammensaßen. Der hünenhafte Ire schien zu spüren, dass von ihm die Rede war, denn er bedachte Sharpe mit einem feindseligen Blick.

»Er ist ein Unruhestifter, aber die Männer hören auf ihn. Ich habe einmal versucht, ihn zum Auserwählten zu machen.« Murray benutzte instinktiv den alten Ausdruck der Schützen für einen Corporal. »Aber er wollte nichts davon hören. Er würde einen guten Sergeant abgeben. Ach was! Sogar einen guten Offizier, wenn er nur lesen könnte. Doch er will von alledem nichts wissen. Andererseits hören die Männer auf ihn. Er hat Sergeant Williams in der Tasche.«

»Mit Harper werde ich schon fertig.« Sharpe sprach die Worte mit einer aufgesetzten Selbstsicherheit. In seiner Zeit bei den 95th Rifles war ihm der Ire schon des Öfteren aufgefallen, und er hatte sich aus eigener Anschauung überzeugen können, dass Captain Murrays Behauptung zutraf. Harper war der geborene Anführer. Um Harpers Lagerfeuer drängten sich die Männer, sei es, um sich an seinen Geschichten zu erfreuen, oder weil sie seine Anerkennung suchten. Offiziere, die er mochte, genossen die humorvolle Gefolgschaft des Iren, während jene, die er ablehnte, nichts als Verachtung ernteten. Hinzu kam, dass Schütze Harper etwas Einschüchterndes an sich hatte, das nicht nur auf seine Körpergröße zurückzuführen war, sondern auch auf seine Aura weiser Selbstgenügsamkeit.

»Zweifellos meint Harper, er würde mit Ihnen schon fertig. Er ist ein harter Mann ...«, Murray hielt inne, dann lächelte er, »... aber er ist durch und durch sentimental.«

»Also hat er eine Schwäche«, sagte Sharpe barsch.

»Ist das eine Schwäche?« Murray zuckte mit den Schultern. »Ich glaube nicht. Aber nun werden Sie mich für schwach halten. Wenn ich tot bin ...« Wieder musste er den Kopf schütteln, um Sharpe am Widerspruch zu hindern. »Wenn ich tot bin«, wiederholte er, »möchte ich, dass Sie meinen Degen an sich nehmen. Ich sage Williams Bescheid, dass Sie ihn haben sollen.«

Sharpe betrachtete den schweren Kavalleriedegen, der in seiner metallenen Scheide an die Wand gelehnt stand. Er sah plump und schwerfällig aus, aber Sharpe konnte in diesem Moment keine Einwände gegen ein solches Geschenk vorbringen. »Danke.« Das klang unbeholfen. Er war es nicht gewohnt, persönliche Gefälligkeiten zu erhalten, noch hatte er gelernt, wie man sie geziemend entgegennimmt.

»Er ist nichts Besonderes«, sagte Murray, »aber er kann den Degen ersetzen, den Sie verloren haben. Und wenn die Männer ihn in Ihrer Hand sehen ...« Er konnte den Satz nicht beenden.

»Werden sie mich für einen richtigen Offizier halten?« Sharpes Stimme klang bedrückt.

»Werden sie glauben, dass ich Sie gern hatte«, sagte Murray in milder Zurechtweisung, »und das wird Ihnen zugute kommen.«

Sharpe spürte den Tadel im Tonfall des sterbenden Mannes und murmelte noch einmal seinen Dank.

Murray atmete flach. »Ich habe Sie gestern beobachtet. Sie sind ein guter Kämpfer, stimmt's?«

»Für einen Quartiermeister?«

Murray ignorierte das Selbstmitleid. »Sie haben schon viele Schlachten geschlagen?«

»Ja.«

»Es war nicht sehr klug von Ihnen, jemanden das wissen oder auch nur spüren zu lassen.« Murray lächelte. »Von Lieutenants aus dem Mannschaftsstand wird nicht erwartet, dass sie erfahrener sind als ihre Vorgesetzten.« Der Captain blickte zum löchrigen Dach hinauf. »Ein verdammt unpassender Ort zum Sterben, wie?«

»Ich werde Sie am Leben halten.«

»Ich traue Ihnen alles Mögliche zu, Lieutenant Sharpe, aber Wunder können auch Sie nicht vollbringen.«

Daraufhin schlief Murray ein.

Alle Schützen ruhten sich den Tag über aus. Der Regen ließ nicht nach, und am Nachmittag verwandelte er sich in schweren, nassen Schnee, der bis zum Abend die nächstgelegenen Hügelkuppen bedeckte.

Hagman hatte mithilfe von Fallen zwei Hasen gefangen, schmale Kost, doch konnte man damit den wenigen Bohnen und Brotkrusten, die die Männer in ihren Tornistern gehortet hatten, etwas Geschmack verleihen. Einen großen Topf gab es nicht, aber die Männer verwendeten ihre Blechnäpfe als Kochgeschirr.

Sharpe verließ in der Dämmerung die Scheune und begab sich in die kalte Ruine des Wohngebäudes.

Das Haus war wenig eindrucksvoll, nichts als vier verfallene Steinmauern, die einmal ein Dach aus Holzbalken und Torfsoden gestützt hatten. Eine der Türen wies nach Osten, die andere nach Westen, und durch den östlichen Eingang konnte Sharpe tief drunten ein Tal erkennen, in dem nun der Schnee umherwirbelte. Einmal, als der Schnee vom Wind auseinandergetrieben wurde, glaubte er am Ende des Tals eine graue Rauchfahne aufsteigen zu sehen. Möglicherweise befand sich dort ein kleines Dorf, in dem sie Unterschlupf suchen konnten. Doch schon zog sich der weiße Vorhang wieder zu.

Sharpe fröstelte, und es kam ihm unglaublich vor, dass dies Spanien sein sollte.

Als er Schritte hörte, drehte er sich um. Schütze Harper trat geduckt durch die westliche Tür des kleinen Hauses, erkannte Sharpe und hielt inne. Er deutete auf einige herabgefallene Dachbalken zwischen Steintrümmern.

»Holz, Sir«, erklärte er seine Absicht, »fürs Feuer.«

»Nur zu.« Sharpe beobachtete, wie der Ire die verrotteten Balken ergriff und aus dem Schutt zog. Es schien Harper zu stören, dass man ihm dabei zusah, denn er richtete sich auf und starrte den Lieutenant an. »Und was tun wir als Nächstes, Sir?«