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Holmes, der die gesamte Filmvorführung unter der schlechten technischen und schauspielerischen Qualität des Streifens Qualen litt, hatte bereits nach der ersten Szene die Augen geschlossen und sich auf die Musik Bachs konzentriert.

Wenn er eine Vorhersage mit Sicherheit machen konnte, dachte der Detektiv, so war es diejenige, dass wohl dieser Kuriosität, die sich Film nannte, keine nennenswerte Zukunft beschieden sein würde. Eine Zumutung der Sonderklasse, so etwas!

Als sich am Ende der Vorstellung Mrs. Reynolds vor den Zuschauern verbeugte, verzichtete er auf Applaus, den er dem begleitenden Musiker umso begeisterter spendete. Schließlich ging er auf den jungen Violinspieler zu und stellte sich vor.

»Ich habe eine ungewöhnliche Bitte an Sie, Monsieur«, sagte der Detektiv. »Ich selbst bin leidenschaftlicher Geigenspieler. Wäre es möglich, mir heute Abend, gegen eine entsprechende Entschädigung, Ihr Musikinstrument leihweise zu überlassen?«

»Kein Problem. Das lässt sich machen.«

Holmes drückte dem anfangs widerstrebenden Mann eine Fünf-Pfund-Note in die Hand und ging, um mit seinem Spiel niemanden in der Nachtruhe zu stören, die Treppen hoch auf das offene Deck der Olympic. Er stellte sich an die Reling und blickte in die Dunkelheit des späten Abends, während er auf dem Musikinstrument improvisierte. Allmählich fand er die Ruhe, die er schon die ganze Zeit, da er sich an Bord dieses Schiffes befand, fast schmerzhaft herbeigesehnt hatte. Seine Gedanken ordneten sich, er hörte auf zu spielen und blickte nur mehr in die undurchdringlich dunkle Nacht. Kein Laut, nicht der Hauch eines Lautes, war zu vernehmen. Holmes trank die Stille wie kostbaren Wein.

Bei der Rückkehr in seine Suite bemerkte der Detektiv noch Licht im Nebenzimmer, das Robert M. Conolly bewohnte. Holmes klopfte an die Tür und vernahm eine ächzende Antwort. »Es geht mir nicht gut.«

»Die Seekrankheit?«

»Es ist mehr als das«, sagte der Journalist schwach.

»Was fehlt Ihnen, Conolly?«

»Ich fühle mich elend, schwach, zittrig, dem Tod nahe. Ich blute aus Mund und Nase …«

»Sie geben mir alle Tabletten, die Sie bei sich haben und legen sich sofort hin. Ich werde das Zeug untersuchen.«

»Sie meinen …«

»Ich vermute, dass man Sie wie Morgan Robertson und Ihren Kollegen Evans beseitigen will. Und ich habe eine leise Ahnung, auf welche Weise.«

Holmes nahm zwei Pillenschachteln entgegen.

»Ich habe die Tabletten von Miriam, meiner Freundin. Die sind in Ordnung«, sagte der Journalist. »Ich brauche dringend ein Mittel gegen die Seekrankheit, sonst …«

»Es ist gut, wenn Sie sich übergeben. Das Gift muss Ihren Körper verlassen.«

Conolly verschloss seinen Mund mit der rechten Hand und eilte in den Waschraum.

Holmes kehrte in sein Zimmer zurück, ließ aber die Tür zum Nebenraum offen, um den Zustand des Journalisten zu überwachen. Er entnahm einem seiner Koffer die Ausrüstung für ein provisorisches Laboratorium und platzierte die Tiegel, Gläser und den Brenner auf dem Tisch. Die Analyse des Inhalts der ersten Schachtel ergab einen leichten, ungefährlichen Anteil von Quecksilbersalz, wie es in vielen Mitteln, besonders solchen, die der Stärkung der Patienten dienten, durchaus üblich war. Die Pillen der zweiten Schachtel enthielten neben Stärke und Zucker eine wesentlich kräftigere Dosis, die aber noch keine gefährlichen Ausmaße annahm.

Quecksilber, überlegte Holmes, hat die Eigenschaft, sich im Körper zu speichern, anzureichern, so dass, wenn man diese Medikamente über einen längeren Zeitraum einnimmt, eines Tages die gefährliche Konzentration erreicht, die zu Blutungen führen kann. Eine sehr geschickte Methode, jemanden umzubringen. Niemand würde Verdacht schöpfen, weil die Werte der Medikamente normal waren.

»Die Gefahr liegt in der Regelmäßigkeit der Einnahme dieser Tabletten«, sagte Holmes zu Conolly, der sich in sein Bett gelegt hatte. »Wie geht es Ihnen jetzt?«

»Etwas besser. Ich fühle mich allerdings immer noch sehr schwach.«

»Ich werde einen Arzt kommen lassen, einen verlässlichen Mann, der alles Nötige veranlassen wird.« Bei diesen Worten setzte der Detektiv ein beinahe diabolisches Lächeln auf.

UNERWARTETES WIEDERSEHEN

Holmes bewegte sich den Gang entlang und dann ein Stockwerk tiefer zu Kabine 37-B. Als er klopfte, rief eine vertraute Stimme: »Moment, ich bin schon im Schlafrock.«

Es dauerte einige Minuten, bis geöffnet wurde. Vor Holmes stand ein Mann mit sehr starker Brille und einem grauen Vollbart.

»Kommen Sie, Watson! Conolly geht es nicht gut. Er hat Anzeichen einer Quecksilbervergiftung und benötigt ärztliche Hilfe.«

»Sie irren, mein Herr. Wen immer Sie suchen, ich bin es nicht«, sagte eine tiefe Stimme.

»Schluss mit der Maskerade. Ich erkenne Ihre Art zu gehen unter Tausenden.«

»Also gut. Ihnen bleibt auch nichts verborgen. Ich wollte sehen, von welchem Abenteuer Sie mich fernhalten wollten. Und meine Frau meinte, etwas Abwechslung könne mir nicht schaden. Da benutzte ich meinen detektivischen Verstand und ...«

»Ihr detektivischer Verstand heißt Londoner Presse, mit Verlaub. Ich muss aber gestehen«, und bei diesen Worten drückte Holmes seinem Freund die Hand, »dass ich nicht unglücklich darüber bin, Sie an Bord der Olympic zu wissen.«

»Wie erkannten Sie mich? Wir trafen seit der Abfahrt in Southampton nicht aufeinander.«

»Ich sah Sie aus der Ferne und erkannte, wie gesagt, Ihren Gang. Die kleinen, schnellen Schritte, immer in Eile, immer voll Bedeutung und Wichtigkeit. Aber jetzt kommen Sie, Watson! Kümmern Sie sich um meinen erkrankten Reisebegleiter!«

Gegen acht Uhr am Morgen alarmierte Sherlock Holmes einen der Stewards mit der dringenden Bitte, den Schiffsarzt unverzüglich zu ihm zu schicken. Gemeinsam mit Joseph Bruce Ismay und Watson erwartete er Dr. Samuel Wren in seiner Suite.

Beim Frühstück teilte Holmes den Mitreisenden mit, dass sein Reisebegleiter, der Journalist Robert Maurice Conolly, in den frühen Morgenstunden verstorben sei. Er habe einen Blutsturz erlitten.

Zwei Plätze am Speisetisch blieben an diesem Morgen leer. Der von Mr. Conolly und der von Mrs. Oldman-Smythe. Watson hatte auf dem Stuhl des Journalisten Platz genommen. Linda Hornby, die nicht hatte schlafen können, hatte Mrs. Oldman-Smythe schon früh am Morgen auf dem Promenadendeck gesehen, mit einer Feldstaffelei, die nun etwas stärker bewegte See malend.

»Ich ahnte es! Welch ein Unglück! Eine Katastrophe!«, rief die aufgeregte Malerin, als sie verspätet zum Frühstück erschien. Da alle annahmen, sie meine den Tod des Journalisten, fragte sie niemand, was geschehen sei.

»Mein Diamant. Meine Kette. Ich hatte sie auf dem Nachttisch neben meinem Bett abgelegt. Und heute früh war sie verschwunden. Ich beauftrage Sie hiermit, Mr. Holmes, mir dieses kostbare Stück wieder herbeizuschaffen.«

»Wenden Sie sich bitte an den Kapitän. Ich beschäftige mich derzeit mit Wichtigerem«, entgegnete dieser kühl.

»Arroganter alter Mhmm ...«, verschluckte die Frau das letzte Wort und enteilte.

Die Olympic steuerte am zweiten Tag ihrer Fahrt, am Sonntag, dem 11. April, gegen Mittag den im Süden Irlands gelegenen Hafen Queenstown an, in dem hauptsächlich Passagiere der dritten Klasse zustiegen. Auswanderer, die ihr wirtschaftliches Glück in Amerika suchten.

»Die Emigranten haben sich als die verlässlichste Einnahmequelle für unsere Gesellschaft erwiesen«, erklärte Joseph Bruce Ismay beim Dinner mit dem Kapitän, an dem auch Holmes und Watson teilnahmen. Die Herren speisten im Café de Paris und sahen durch eines der Fenster Vera Oldman-Smythe beim Malen auf dem Promenadendeck. Die Künstlerin trug einen grauen Seidenschal anstelle ihres wertvollen Colliers. Ein ausladender cremefarbener Hut schützte sie gegen die Strahlen der Sonne, die für Mitte April relativ kräftig schien.