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»Was meinst du damit?«

»Du weißt schon.«

»Mit mir hattest du auch noch nichts im eigentlichen Sinn.«

»Es ist schwer, Linda.«

»Was ist schwer?«

»Darüber zu reden. Ich … ich hatte Angst vor dir.

Und ich meinte, die ältere, erfahrene Frau könnte mir den Weg ebnen.«

»Den Weg in mein Bett?«

Graham Hornby schwieg.

»Was ist so Furcht erregend an mir, Graham?«

»Ich weiß nicht. Ich habe bisher alles getan, was meine Eltern von mir wollten. Ich arbeite in der Firma, ich habe dich geheiratet. Ja, ich gebe zu, dass ich damit nur den Wunsch meiner Eltern erfüllt habe. Aber dann stand ich dir gegenüber, einer Frau aus Fleisch und Blut, einem seltsamen, rätselhaften Wesen, wie es mir bisher noch nicht untergekommen war. Einer Frau, die Interesse an mir zeigte.«

»Die dir keine Befehle gab und dir nicht sagte, wo es lang ging, sondern auf Vorschläge von dir wartete. Die darauf wartete, dass du zu ihr kommst.«

»Ja, ungefähr so. Ich bin ratlos und nun habe ich alles verdorben. Gib mir Zeit. Ich muss …«

»Du musst ein Mann werden, bevor du wie ein Mann handeln kannst.«

»Ja, so ist es. Ich bemühe mich, aber es ist nicht leicht. Gib mir bitte Zeit!«

»Heißt das, dass du bei mir bleiben willst?«

»Ja, unbedingt.«

»Gut. Auch ich will bei dir bleiben. Wie viel Zeit brauchst du?«

»Ein Jahr.«

»Was willst du in diesem Jahr machen?«

»Ich möchte ganz normal mit dir leben, ohne …«

»Ohne mit mir ins Bett zu gehen.«

»Ich weiß nicht. Nein, das ist es nicht. Ich …«

»Also, worauf soll ich in diesem Jahr verzichten?«

»Gib mir die Freiheit, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Ich werde mich sehr bemühen. Wenn ich es nicht schaffe, gehe ich.«

»Du wirst es schaffen. Ich werde dich unterstützen.«

»Danke. Ich liebe dich, Linda.«

Donnerstag, der 15. April, begann ruhig. Holmes schlief lange und ließ das Frühstück in seine Kabine bringen.

Zum Mittagsmahl, das er mit Bruce Ismay in der Suite einnahm, hatte er Watson und die Bibliothekarin eingeladen, unter dem Vorwand, Details für die Lesung am Abend besprechen zu wollen.

»Länger als eine Stunde dürfen Sie nicht lesen, Watson«, riet der Detektiv. »Das hält kein Publikum aus.«

»Ich habe nicht vor, die Ohren der Passagiere zu quälen«, sagte der Doktor etwas gekränkt. »Und ich will auch die Zeit nicht beschneiden, in der Sie selbst über Ihre Arbeit als der Welt größter Detektiv berichten.«

»Entnehme ich Ihrer Stimme so etwas wie bitteren Sarkasmus, Watson? Wenn das so ist, ersuche ich Sie dringend, etwas direkter zu werden.«

»Gern. Aber nicht im Beisein einer Dame und von Mr. Ismay.«

»Nach dem Mahl und der Besprechung des Abendprogramms stehe ich für ein Vieraugengespräch zur Verfügung. Im Augenblick jedoch nicht«, wehrte Holmes ab.

»Ich werde Sitzplätze für etwa 50 Passagiere bereitstellen lassen«, schlug Irene Adler-Wolfe, alias Joyce Alexandra Ronstead, vor. »Sie, Mr. Holmes und Sie, Doktor Watson, werden gemeinsam mit mir an einem Lesetisch Platz nehmen. Ich werde Sie den Gästen vorstellen, dann wird Doktor Watson aus seinen Büchern lesen. Wir haben alle wesentlichen Bände in der Bibliothek. Auch ich glaube, dass eine Stunde Vortrag ein ideales Maß ist, um die Zuhörer nicht zu überfordern. Dann soll Sherlock Holmes berichten, was immer er dem Publikum erzählen will. Eine Frage noch, meine Herren. Soll den Besuchern die Möglichkeit gegeben werden, an Sie beide Fragen zu stellen?«

Watson sah Holmes Hilfe suchend an, dieser sagte: »Von meiner Seite besteht kein Einwand dagegen. Ja, ich würde die Kommunikation mit den Zuhörern sogar begrüßen.«

»Sie führen etwas Besonderes im Schilde, Mr. Holmes?«, fragte die Bibliothekarin interessiert.

»Nichts von Bedeutung, Miss Ronstead. Das Außergewöhnliche an diesem Abend beschränkt sich auf die literarischen Werke meines Freundes Watson.«

»Beschränkt«, murrte dieser. »Sie können es nicht lassen, Holmes.«

»Ich bedaure die unglückliche Formulierung«, verbesserte sich dieser. »Der wahre Höhepunkt unserer gesamten Reise auf der Olympic wird heute Abend erreicht. Durch Doktor Watson und seinen literarischen Vortrag. Gut so, Watson?«

»Wenn Sie fertig sind mit Ihren Seitenhieben auf mich, vergessen Sie nicht das Gespräch, um das ich Sie gebeten habe«, antwortete dieser.

»Was wollen Sie mir unbedingt mitteilen, Doktor?«, fragte der Detektiv bei einem Glas Whisky seinen Begleiter in dessen Kabine.

»Was gedenken Sie mit Mr. Ismay zu tun? Werden Sie ihn der New Yorker Polizei übergeben oder bringen Sie ihn zurück nach London, um ihn an Scotland Yard auszuliefern?«

»Mr. Ismay? Was haben Sie gegen diesen Gentleman, Watson?«

»Es ist wohl klar, was ich meine. Ismay hat mit Conolly seinen letzten Widersacher ausgeschaltet, er steckt wohl auch hinter der Ermordung von Mrs. Oldman-Smythe. Und Sie selbst, Holmes, haben angekündigt, dass dies nicht der letzte Mord auf der Erinnerungsreise war.«

»Wer, glauben Sie, Watson, wird als Nächster daran glauben müssen, wenn wir, bescheiden, wie wir sind, anderen zunächst den Vortritt lassen?«

Der Doktor dachte nach, dann meinte er: »Daran habe ich noch nicht gedacht. Aber ich fühle mich durchaus nicht wohl in meiner Haut. Ismay ahnt, dass ich ihn verdächtige. Und dass er keine Skrupel kennt, wissen wir ja. Es wäre also zu empfehlen, ihn zu verhaften und ihn sicher zu verwahren.«

»Er ist sicher in meiner Kabine verwahrt, Watson. Im Übrigen teile ich Ihren Verdacht, dass Ismay in das mörderische Geschehen verwickelt ist, keineswegs.«

»Aber wer dann? Wer soll dahinter stecken? Die Brüder von Kapitän Smith etwa?«

»Das wäre nicht ganz auszuschließen. Ich denke mir, dass es einen Hintergrund der Geschehnisse gibt, der, ähnlich einem Eisberg, tief und gefährlich bisher im Verborgenen blieb. Etwas, das in die Vergangenheit reicht und mit dem schwarzen Diamanten von Mrs. Oldman-Smythe zu tun hat.«

»Den Sie ins Meer warfen.«

»Den ich symbolisch ins Meer warf, der sich jedoch noch auf diesem Schiff befindet und der Person, die ihn bei sich hat, kein Glück bringen wird.«

»Was haben der Untergang der Titanic und die Morde mit dem schwarzen Diamanten zu tun?«

»Der Stein ist südafrikanischer Herkunft. Black Tear wurde in den Wirren des Burenkrieges Ohm Krugers Frau gestohlen.«

»Kapitän Smith hatte mit dem Burenkrieg zu tun«, sagte Watson.

»Richtig. Er transportierte Truppen nach Südafrika, darunter vermutlich jene Männer, die für die Verbrechen verantwortlich sind, die wir nun klären wollen.«

»Seine Brüder?«

»Sie haben recht, Watson. Wir müssen allem und jedem Misstrauen entgegenbringen, brauchen aber hieb- und stichfeste Beweise, um den Gegner nachhaltig überführen und besiegen zu können.«

»Sagen Sie doch, was Sie alles wissen, Holmes!«

»Es ist wichtig, das Hauptziel, die vollständige Aufdeckung der Verbrechen, im Auge zu behalten und dabei auf kleine Triumphe zu verzichten. Ein langer Atem, ein sehr langer Atem, ist vonnöten. Ein langer Atem, zu dem es auch gehört, schweigen zu können.«

Nach einem Mittagsschläfchen besuchte der Detektiv Irene Adler in der Bibliothek, in der sich um zwei Uhr noch keine Besucher befanden. Die Passagiere schienen am vorletzten Tag ihrer Reise besonders ruhebedürftig.

»Ich freue mich auf den heutigen Abend«, sagte Irene Adler. »Was ich über Sie und Ihre Arbeit weiß, verdanke ich den Texten von Dr. Watson.«

»Watson hat die Bücher in seiner liebenswürdigen Art geschrieben und mich so dargestellt, wie er mich gerne sieht. Als kalten Analytiker, ohne menschliche Regungen, eine Art Detektivmaschine, die einen großen Teil ihrer Zeit damit verbringt, sich selbst bei der Lösung von meist belanglos-skurrilen Fällen darzustellen.«