Выбрать главу

»An wen denken Sie da?«

»Ach, ich werde verzichten, dies auszusprechen. Sie würden mich für überheblich halten.«

»Ich kenne Sie, Holmes. Sie meinen natürlich Jesus und die Evangelisten.«

»Aber Watson. Nie und nimmer würde ich …«, meinte Holmes, hinterhältig schmunzelnd. »Und der Tag wird kommen«, setzte der Detektiv ernst fort, »da jemand behaupten wird, dass es gar keinen Holmes und keinen Watson gab, sondern dass es sich um einen Romanschriftsteller handelte, der all das erfand.«

»Wie auch immer. Ich werde den Fluch der Titanic nicht zu Papier bringen«, sagte Watson.

»Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic, wie Sie selbst sagten, Watson. Nun, das wird auch nicht möglich sein. Mycroft wird es uns nicht gestatten, mit der Lösung an die Öffentlichkeit zu gehen. Zu tief sind die Verstrickungen wichtiger Proponenten und Institutionen unserer Gesellschaft in die Verbrechen. Ich selbst protokolliere diesen Fall und werde die Aufzeichnungen in meinen Tresor einschließen, bis eines fernen Tages … Aber was rede ich. Es ist Zeit, meine Kabine aufzusuchen und etwas Ruhe zu finden, auch wenn Sie in selbstloser Weise darauf verzichten wollen.«

Watson, der am Schreibtisch Platz genommen hatte, war zwar nicht ganz wach, er schlief aber auch nicht, als er das Geräusch einer Handsirene vernahm, dem laute Rufe von Männern folgten, die an Holmes' Kabine vorbeieilten. Ein Blick auf seine Uhr zeigte dem Doktor an, dass es halb vier Uhr war. Auch Holmes war aufgewacht. Er bat Watson, Mr. Ismay, der, betäubt durch sein übliches Schlafmittel, fest schlummerte, zu bewachen, während er nachsehen wollte, was den Tumult auf den Korridoren verursacht hatte.

»Feuer. Es brennt in einer der Kabinen«, erfuhr Holmes kurz darauf von einem Steward.

Als er sich der Kabine von Watson näherte, wurde er bereits von Kapitän Hayes empfangen. »Mr. Holmes. In der Kabine Ihres Freundes brannte es. So weit wir feststellen konnten, war Dr. Watson zum Glück nicht anwesend. Sie können uns zu seinem Verbleib hoffentlich Näheres mitteilen.«

»Der Doktor zog es vor, die Nacht in meiner Suite zu verbringen, um mich zu bewachen.«

»Das beruhigt. Nun, das Feuer ist gelöscht, aber das Hab und Gut von Dr. Watson ist schwerst in Mitleidenschaft gezogen.«

»Ich danke in meinem Namen und in dem meines Freundes für das rasche Eingreifen Ihrer Mannschaft. Ich bedaure, dass die Reise einen derart unruhigen Verlauf nimmt, denke aber, dass diese Prozesse nötig sind, um zu einer endgültigen Klärung zu kommen.«

»Wir hatten bereits Funkkontakt zur Harbour Police in New York. Die Herren werden uns in einem Patrouillenschiff gegen Mittag des morgigen Tages erwarten und mit den Ermittlungen im Falle des ermordeten Mr. Conolly und der verschwundenen Mrs. Oldman-Smythe beginnen, so dass für unsere Passagiere keine Verzögerung bei der Ankunft am Morgen des 17. Aprils eintritt. Ich will der Arbeit der New Yorker Cops nicht vorgreifen, wäre aber sehr froh, wenn Sie, Mr. Holmes, den Herren Ihre Beobachtungen und Überlegungen mitteilen könnten.«

»Ich stehe selbstverständlich zur Verfügung.«

Als Holmes in seine Suite zurückkam, entschuldigte er sich bei Dr. Watson. »Es ist klar, dass mein Text über den Fluch der Titanic die Ursache des Brandanschlages ist. Was für ein Glück, dass Sie sich bei mir aufhielten. Ich werde für den materiellen Schaden aufkommen.«

»Danke. Das lässt sich alles verschmerzen. Ich werde mich in New York neu einkleiden.«

»Sie werden bei der Damenwelt Furore machen – als amerikanischer Gentleman.«

»Das tröstet ungemein.«

»Ismay jedenfalls scheidet als Täter aus. Sie wachten persönlich über ihn, während man Ihre Kabine in Brand setzte.«

»Ich habe meine Zweifel. Er könnte Komplizen haben, die für ihn tätig wurden. Finden Sie nicht auch, dass sein tiefer Schlaf verdächtig ist? Der Mann verschläft ganz einfach den Tumult.«

»Auch das lässt sich erklären. Er kann seit dem Untergang der Titanic nur mehr mit Hilfe von Opium Schlaf finden. Der Mann ist schwer betäubt«, erklärte Sherlock Holmes. »Aber nun ist es Zeit für Sie, Watson, etwas zu ruhen. Legen Sie sich nieder. Ich werde über Sie wachen.«

*

Eine bewährte Taktik von Samma, dem Davidskrieger, war es, an einem Ort Feuer zu legen, an einem anderen Ort weiteres Unheil anzustiften und an einem dritten Ort in aller Ruhe mit den Kameraden das Weite zu suchen. Auf diese Weise hatten sie in Südafrika Chaos in die Siedlungen der Buren gebracht und waren jeweils unversehrt entkommen. Dieselbe Methode wandte Samma nun an Bord der Olympic an. Während die Mannschaft der Olympic damit beschäftigt war, das Feuer in der Kabine des ältlichen Arztes zu löschen, der, wenn er nicht schlau genug war, darin umkommen würde, konnte er sich Aufgabe Nummer zwei widmen, um dann das Schiff in einem der Rettungsboote zu verlassen. In der Dunkelheit. Ungestört. Weil alle mit der Aufklärung der mysteriösen Ereignisse der Nacht beschäftigt waren.

Die Mannschaft der Loch Lomond, bereits per Funk verständigt, würde ihn nach einigen Meilen Ruderns sicher an Bord nehmen. Es würde nicht leicht sein, das allein zu schaffen, aber sie hatten es vor dem Antritt seiner Reise trainiert. Ein Mann im erfolgreichen Kampf gegen hunderte. Ein Davidskrieger zu Wasser, zu Land und in der Luft. Gegen die Goliathe dieser Welt. Das war Leben, das war Abenteuer!

Die Eltern der Kleinen schliefen, als Private Samma in der Verkleidung eines Stewards die Kabine der Reynolds betrat. Sie hatten nicht widerstehen können, von dem Imbiss zu kosten, den er ihnen am Abend in die Kabine gebracht hatte. Das Opium hatte seine Wirkung getan. Die Kleine war federleicht. Ein winziger Vogel, der sanft atmete, die Augen fest geschlossen. Ob sie träumte? Und wenn, was träumte sie?

Nein, Private Samma würde sie nicht über Bord werfen. Das kam nicht in Frage. Frauen und Kinder blieben verschont. Er würde sie in eine der leeren Kabinen bringen, dort konnte sie friedlich die Nacht verbringen und irgendwann am Vormittag erwachen.

Der kleine Engel.

Samma legte sie auf das Bett der unbenutzten Kabine und deckte sie zu. Mit seiner Hand streichelte er ihr dunkelbraunes Haar.

KIDNAPPING

Es mochte in dieser vorletzten Nacht der Jubiläumsreise der Olympic seit dem Feuer kaum eine Stunde vergangen sein, als an die Tür von Holmes' Suite geklopft wurde. Der Detektiv, der mit der Pistole im Anschlag vorsichtig öffnete, fand den Korridor leer. Ein Zettel, der sich aus dem Türspalt gelöst hatte, fiel zu Boden.

Die Kleine befindet sich in unseren Händen. Es wird ihr nichts geschehen, wenn Sie schweigen.

Der Detektiv dachte sofort an Alice und Christine und war alarmiert. Dennoch, beschloss er, würde er nicht das Nächstliegende tun und die Kabinen der beiden Mädchen aufsuchen. Damit rechnete der Gegner und plante womöglich in der Zwischenzeit einen Anschlag auf Holmes' Räumlichkeiten.

Der Detektiv bedauerte es sehr. Aber er musste den armen Doktor wecken. »Kontrollieren Sie bitte die Kabinen von Mr. und Mrs. Harrison und von Miss Reynolds.«

»Aber es ist mitten in der Nacht. Die Leute schlafen.«

Als Holmes dem Doktor den Zettel mit der Warnung zeigte, eilte dieser ohne Aufschub auf den spärlich beleuchteten Gang.

»Und kommen Sie wieder, auch wenn alles in Ordnung ist.«

Holmes verschloss die Kabinentür und dachte über das weitere Vorgehen nach.

Nach etwa zwanzig Minuten kehrte Watson mit dem Kapitän zurück. »Es handelt sich um Alice. Um Alice Harrison. Ihre Eltern sind nicht wach zu kriegen. Vermutlich ein starkes Schlafmittel im Abendimbiss. Und das Mädchen fehlt. Ihr Bett ist leer.«

»Wir dürfen keine Zeit verlieren, Kapitän«, sagte Holmes. »Das Schiff muss durchsucht werden, von oben bis unten, bis in den letzten Winkel. Ich muss Sie dringend ersuchen, jeden Mann Ihrer Mannschaft dafür zur Verfügung zu stellen. Nur so können wir das Mädchen eventuell retten.«