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»Selbstverständlich, Mr. Holmes. Ich werde das Nötige veranlassen. Sie verstehen aber, dass ich jede Panik vermeiden werde. Alles muss so ruhig wie möglich ablaufen.«

»Das ist in meinem Sinn. Wie lange, rechnen Sie, wird die Durchsuchung des Schiffes dauern?«

»Eine Stunde. Nicht mehr als eine Stunde. Nicht alle Kabinen sind besetzt. Das lässt sich bewerkstelligen, wenn wir alle verfügbaren Kräfte einsetzen.«

Holmes, der sich an der Suche beteiligte, bestand darauf, dass der Doktor in der Kabine bei Joseph Bruce Ismay blieb, der noch immer tief und fest schlief.

Die Gänge waren hell erleuchtet. Männer der Schiffsmannschaft eilten von Tür zu Tür und erklärten den Passagieren, dass man jede Kabine durchsuchen müsse. Die Passagiere, die aus dem Schlaf gerissen wurden, zeigten zumeist Verständnis und gewährten dem Personal Zutritt.

Als sich ein Mann beharrlich weigerte, die Stewards in seine Räume zu lassen, wurde er festgenommen. In seinem Bett lag eine fremde Frau, die mit lautem Gekreische in spärlich bekleidetem Zustand auf den Gang flüchtete.

»Wir werden Ihren Mann erst wecken, wenn Sie in Ihre Kabine zurückgekehrt sind, Mrs. Summer«, versprach der Steward.

»Meine Leute haben etwas entdeckt«, sagte der Kapitän, als er auf Sherlock Holmes zueilte. »In Kabine 15-B.«

»In Mr. Hatters Räumlichkeiten«, spezifizierte der Detektiv.

»Ja. Kommen Sie bitte.«

John Hatter lag in einer Blutlache auf dem Teppich, das Gesicht dem Boden zugekehrt. Jemand hatte ihm von hinten in den Kopf geschossen. Das Blut war frisch, die Projektile steckten im Holzboden darunter. Holmes untersuchte die Geschosse, obwohl ihm bewusst war, dass der Täter seine Waffe vermutlich ins Meer geworfen hatte.

Es handelte sich um ein anderes Kaliber als bei der Waffe, mit welcher der Journalist getötet worden war. Bemerkenswert fand der Detektiv, der nun den Körper des Toten untersuchte, vor allem den Anhänger, den Mr. Hatter an einer Metallkette um den Hals trug, unter dem Hemd verborgen. Es handelte sich um die Nachbildung eines Bronzemedaillons, das die Queen verdienten Männern verlieh.

Auf dem Schreibtisch des Versicherungsmannes lag das Collier von Mrs. Oldman-Smythe mit dem wertvollen schwarzen Diamanten, dem Black Tear, als Anhänger. Holmes bat den Kapitän, das Schmuckstück bis zur Ankunft der New Yorker Polizei im Safe zu verwahren. Hinter dem Collier stand ein modernes Funkgerät, dem der Detektiv seine spezielle Aufmerksamkeit widmete.

Was für eine Reise! Ein weiterer Toter, nach dem Verschwinden von Mrs. Oldman-Smythe und der Ermordung von Robert M. Conolly. Ein Diebstahl, ein Brandanschlag und die Entführung eines kleinen Mädchens, das besonders dadurch gefährdet war, dass es wieder sprechen konnte.

Wo war Alice? War sie unversehrt oder ebenfalls tot?

Holmes machte sich Vorwürfe. Erwachsene Menschen waren für ihre Sicherheit selbst verantwortlich. Aber Kinder benötigten Schutz und Hilfe. Und die hatte er der kleinen Alice nicht gegeben.

Der Gegner drohte ihm in dem Schreiben an seiner Kabinentür mit der Ermordung des Mädchens, wenn er nicht schweige. Diese Nachricht musste mit der Lesung in der Bibliothek am Vorabend in Zusammenhang stehen. Ein wunder Punkt war getroffen, der in die Enge getriebene Feind war zu allem bereit.

Wo würde er ein kleines, entführtes Mädchen verbergen? Zunächst, überlegte Holmes, wäre es wichtig, das Kind ruhig zu stellen. Das Mädchen war vermutlich betäubt worden, so wie seine Eltern. Durch mit Opium versetzte Speisen. Und es lag … vermutlich in einer der nicht besetzten Kabinen. Also waren auch diese zu durchsuchen. Und zwar so rasch wie möglich.

Nach einer weiteren Stunde trug einer der Stewards ein Bündel zu Holmes' Suite. Den reglosen Körper von Alice Harrison. Doktor Watson fühlte den Puls des Mädchens und kontrollierte mit seiner flachen Hand die Atmung. Seine medizinischen Geräte hatte er beim Brand seiner Kabine verloren.

»Ich denke, Alice ist so weit in Ordnung. Sie wird, wie ihre Eltern, am späteren Morgen aufwachen und von den nächtlichen Umtrieben nichts wissen. Dennoch schlage ich vor, der Schiffsarzt kümmert sich um die Familie. Gerade ein kleiner Körper wie der von Alice könnte auf die Droge mit Atembeschwerden reagieren«, schlug der Doktor vor.

»Was war heute Nacht los?«, fragte Joseph Bruce Ismay. »Mir war, als ob sich das ganze Schiff in Aufruhr befinde. Ich fühle mich wie gerädert.«

»Watson wird Sie auf dem Laufenden halten. Ich empfehle Ihnen, das Frühstück mit ihm einzunehmen.«

»Und Sie, Mr. Holmes? Wollen Sie sich uns nicht anschließen?«

»Das ist leider nicht möglich. Ich muss noch vor dem Eintreffen der Hafenpolizei einen Bericht an meinen Bruder in London durchgeben, damit er die Kollegen in New York ersucht, sich bei den Ermittlungen etwas zurückzuhalten. Der Fall ist an sich geklärt. Mit den Ergebnissen muss allerdings vorsichtig umgegangen werden.«

»Aber …«

»Ich weiß, Mr. Ismay, dass Sie mein Auftraggeber sind. Und ich werde Sie nicht enttäuschen, wenn Sie Geduld haben, bis zum Ende dieses Jahres zu warten. Sollten Sie dazu nicht bereit sein, werde ich natürlich die Vorauszahlung, die Sie geleistet haben, retournieren.«

»Aber nein, Mr. Holmes. Ich habe volles Vertrauen zu Ihnen und Ihren Arbeitsmethoden. Ich bin mir sicher, dass alles gut werden wird. Für mich persönlich und meine Firma.«

»Watson wird Ihnen mitteilen, was in der Nacht geschah. Ich begebe mich in den Funkraum.«

Dort gab Holmes einen knappen Bericht an seinen Bruder Mycroft durch. Eine geheime, verschlüsselte Botschaft, von deren Wortlaut nicht einmal der damit befasste Funker wusste. Holmes selbst tippte den Bericht in den Fernschreiber.

Eine Stunde später kam die Antwort.

Gratulation. Kontakt mit amerikanischem Außenminister. Keine Komplikationen. Gruß, Mycroft.

Demgemäß problemlos verlief das Gespräch zwischen Holmes und dem amerikanischen Sonderermittler, Captain Roscoe, der den Einsatz der Hafenpolizei leitete. John Roscoe war nach der Untersuchung der beiden Toten einverstanden, diese in einem Kühlraum des Schiffes zurück nach England transportieren zu lassen, um ein Begräbnis in der Heimat zu ermöglichen.

Roscoe und Holmes einigten sich auch auf eine gemeinsame Stellungnahme gegenüber der New Yorker Presse am Morgen des folgenden Tages, bei der von großen Fortschritten bei der Lösung des Rätsels um die Titanic die Rede sein sollte. Um wichtige weitere Ermittlungsschritte nicht zu gefährden, werde man sich erst in einiger Zeit mit einem detaillierten Bericht an die Weltöffentlichkeit wenden können. Der Londoner Detektiv Sherlock Holmes, der für die Schifffahrtslinie White Star tätig sei, sowie die New Yorker Hafenpolizei, ersuchten dafür um Verständnis.

Doktor Watson wiederum war die Aufgabe zugefallen, per Fernschreiber einen Bericht an die Pall Mall Gazette durchzugeben. Die Redaktionskollegen von Conolly hatten sich in mehreren Funksprüchen besorgt gezeigt, als sie keine Nachrichten mehr von ihm erhalten hatten.

Watson übermittelte folgende Nachricht an die Londoner Zeitung.

DER FLUCH DER TITANIC!

Der Fluch der Titanic traf einen weiteren Mitarbeiter der Pall Mall Gazette. Nach dem Journalisten William Stead, der beim Untergang der Titanic ums Leben gekommen war, dem amerikanischen Schriftsteller Morgan Robertson, der den Untergang der Titanic so eindrucksvoll vorausgesehen hatte und der im heurigen Jahr verstarb, und nach der Ermordung des Journalisten Stanley R. Evans beklagt die Pall Mall Gazette nun ein weiteres Opfer des Fluchs der Titanic: Robert Maurice Conolly fiel auf der Gedächtnisreise nach New York an Bord der RMS Olympic einem Mordanschlag zum Opfer.