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Om ist Bogen, der Pfeil ist Seele,

Das Brahman ist des Pfeiles Ziel,

Das soll man unentwegt treffen.

Als die gewohnte Zeit der VersenkungsXbung hingegangen war, erhob sich Govinda. Der Abend war gekommen, Zeit war es, die Waschung der Abendstunde vorzunehmen. Er rief Siddharthas Namen. Siddhartha gab nicht Antwort. Siddhartha saX versunken, seine Augen standen starr auf ein sehr fernes Ziel gerichtet, seine Zungenspitze stand ein wenig zwischen den ZXhnen hervor, er schien nicht zu atmen. So saX er, in Versenkung gehXllt, Om denkend, seine Seele als Pfeil nach dem Brahman ausgesandt.

Einst waren Samanas durch Siddharthas Stadt gezogen, pilgernde Asketen, drei dXrre, erloschene MXnner, nicht alt noch jung, mit staubigen und blutigen Schultern, nahezu nackt von der Sonne versengt, von Einsamkeit umgeben, fremd und feind der Welt, Fremdlinge und hagere Schakale im Reich der Menschen. Hinter ihnen her wehte heiX ein Duft von stiller Leidenschaft, von zerstXrendem Dienst, von mitleidloser Entselbstung.

Am Abend, nach der Stunde der Betrachtung, sprach Siddhartha zu Govinda: "Morgen in der FrXhe, mein Freund, wird Siddhartha zu den Samanas gehen. Er wird ein Samana werden."

Govinda erbleichte, da er die Worte hXrte und im unbewegten Gesicht seines Freundes den Entschluss las, unablenkbar wie der vom Bogen losgeschnellte Pfeil. Alsbald und beim ersten Blick erkannte Govinda: Nun beginnt es, nun geht Siddhartha seinen Weg, nun beginnt sein Schicksal zu sprossen, und mit seinem das meine. Und er wurde bleich wie eine trockene Bananenschale.

"O Siddhartha," rief er, "wird das dein Vater dir erlauben?"

Siddhartha blickte herXber wie ein Erwachender. Pfeilschnell las er in Govindas, Seele, las die Angst, las die Ergebung.

"O Govinda," sprach er leise, "wir wollen nicht Worte verschwenden. Morgen mit Tagesanbruch werde ich das Leben der Samanas beginnen. Rede nicht mehr davon."

Siddhartha trat in die Kammer, wo sein Vater auf einer Matte aus Bast saX, und trat hinter seinen Vater und blieb da stehen, bis sein Vater fXhlte, dass einer hinter ihm stehe. Sprach der Brahmane: "Bist du es, Siddhartha? So sage, was zu sagen du gekommen bist."

Sprach Siddhartha: "Mit deiner Erlaubnis, mein Vater. Ich bin gekommen, dir zu sagen, dass mich verlangt, morgen dein Haus zu verlassen und zu den Asketen zu gehen. Ein Samana zu werden ist mein Verlangen. MXge mein Vater dem nicht entgegen sein."

Der Brahmane schwieg, und schwieg so lange, dass im kleinen Fenster die Sterne wanderten und ihre Figur verXnderten, ehe das Schweigen in der Kammer ein Ende fand. Stumm und regungslos stand mit gekreuzten Armen der Sohn, stumm und regungslos saX auf der Matte der Vater, und die Sterne zogen am Himmel. Da sprach der Vater: "Nicht ziemt es dem Brahmanen, heftige und zornige Worte zu reden. Aber Unwille bewegt mein Herz. Nicht mXchte ich diese Bitte zum zweiten Male aus deinem Munde hXren."

Langsam erhob sich der Brahmane, Siddhartha stand stumm mit gekreuzten Armen.

"Worauf wartest du?" fragte der Vater.

Sprach Siddhartha: "Du weiXt es."

Unwillig ging der Vater aus der Kammer, unwillig suchte er sein Lager auf und legte sich nieder.

Nach einer Stunde, da kein Schlaf in seine Augen kam, stand der Brahmane auf, tat Schritte hin und her, trat aus dem Hause. Durch das kleine Fenster der Kammer blickte er hinein, da sah er Siddhartha stehen, mit gekreuzten Armen, unverrXckt. Bleich schimmerte sein helles Obergewand. Unruhe im Herzen, kehrte der Vater zu seinem Lager zurXck.

Nach einer Stunde, da kein Schlaf in seine Augen kam, stand der Brahmane von neuem auf, tat Schritte hin und her, trat vor das Haus, sah den Mond aufgegangen. Durch das Fenster der Kammer blickte er hinein, da stand Siddhartha, unverrXckt, mit gekreuzten Armen, an seinen bloXen Schienbeinen spiegelte das Mondlicht. Besorgnis im Herzen, suchte der Vater sein Lager auf.

Und er kam wieder nach einer Stunde, und kam wieder nach zweien Stunden, blickte durchs kleine Fenster, sah Siddhartha stehen, im Mond, im Sternenschein, in der Finsternis. Und kam wieder von Stunde zu Stunde, schweigend, blickte in die Kammer, sah den unverrXckt Stehenden, fXllte sein Herz mit Zorn, fXllte sein Herz mit Unruhe, fXllte sein Herz mit Zagen, fXllte es mit Leid.

Und in der letzten Nachtstunde, ehe der Tag begann, kehrte er wieder, trat in die Kammer, sah den JXngling stehen, der ihm groX und wie fremd erschien.

"Siddhartha," sprach er, "worauf wartest du?"

"Du weiXt es."

"Wirst du immer so stehen und warten, bis es Tag wird, Mittag wird, Abend wird?"

"Ich werde stehen und warten."

"Du wirst mXde werden, Siddhartha."

"Ich werde mXde werden."

"Du wirst einschlafen, Siddhartha."

"Ich werde nicht einschlafen."

"Du wirst sterben, Siddhartha."

"Ich werde sterben."

"Und willst lieber sterben, als deinem Vater gehorchen?"

"Siddhartha hat immer seinem Vater gehorcht."

"So willst du dein Vorhaben aufgeben?"

"Siddhartha wird tun, was sein Vater ihm sagen wird."

Der erste Schein des Tages fiel in die Kammer. Der Brahmane sah, dass Siddhartha in den Knien leise zitterte. In Siddharthas Gesicht sah er kein Zittern, fernhin blickten die Augen. Da erkannte der Vater, dass Siddhartha schon jetzt nicht mehr bei ihm und in der Heimat weile, dass er ihn schon jetzt verlassen habe.

Der Vater berXhrte Siddharthas Schulter.

"Du wirst," sprach er, "in den Wald gehen und ein Samana sein. Hast du Seligkeit gefunden im Walde, so komm und lehre mich Seligkeit. Findest du EnttXuschung, dann kehre wieder und lass uns wieder gemeinsam den GXttern opfern. Nun gehe und kXsse deine Mutter, sage ihr, wohin du gehst. FXr mich aber ist es Zeit, an den Fluss zu gehen und die erste Waschung vorzunehmen."

Er nahm die Hand von der Schulter seines Sohnes und ging hinaus. Siddhartha schwankte zur Seite, als er zu gehen versuchte. Er bezwang seine Glieder, verneigte sich vor seinem Vater und ging zur Mutter, um zu tun, wie der Vater gesagt hatte.

Als er im ersten Tageslicht langsam auf erstarrten Beinen die noch stille Stadt verlieX, erhob sich bei der letzten HXtte ein Schatten, der dort gekauert war, und schloss sich an den Pilgernden an X Govinda.

"Du bist gekommen", sagte Siddhartha und lXchelte.

"Ich bin gekommen," sagte Govinda.

BEI DEN SAMANAS

Am Abend dieses Tages holten sie die Asketen ein, die dXrren Samanas, und boten ihnen Begleitschaft und Gehorsam an. Sie wurden angenommen.

Siddhartha schenkte sein Gewand einem armen Brahmanen auf der StraXe. Er trug nur noch die Schambinde und den erdfarbenen ungenXhten Xberwurf. Er aX nur einmal am Tage, und niemals Gekochtes. Er fastete fXnfzehn Tage. Er fastete acht und zwanzig Tage. Das Fleisch schwand ihm von Schenkeln und Wangen. HeiXe TrXume flackerten aus seinen vergrXerten Augen, an seinen dorrenden Fingern wuchsen lang die NXgel und am Kinn der trockne, struppige Bart. Eisig wurde sein Blick, wenn er Weibern begegnete; sein Mund zuckte Verachtung, wenn er durch eine Stadt mit schXn gekleideten Menschen ging. Er sah HXndler handeln, FXrsten zur Jagd gehen, Leidtragende ihre Toten beweinen, Huren sich anbieten, Xrzte sich um Kranke mXhen, Priester den Tag fXr die Aussaat bestimmen, Liebende lieben, MXtter ihre Kinder stillen X und alles war nicht den Blick seines Auges wert, alles log, alles stank, alles stank nach LXge, alles tXuschte Sinn und GlXck und SchXnheit vor, und alles war uneingestandene Verwesung. Bitter schmeckte die Welt. Qual war das Leben.

Ein Ziel stand vor Siddhartha, ein einziges: leer werden, leer von Durst, leer von Wunsch, leer von Traum, leer von Freude und Leid. Von sich selbst wegsterben, nicht mehr Ich sein, entleerten Herzens Ruhe zu finden, im entselbsteten Denken dem Wunder offen zu stehen, das war sein Ziel. Wenn alles Ich Xberwunden und gestorben war, wenn jede Sucht und jeder Trieb im Herzen schwieg, dann musste das Letzte erwachen, das Innerste im Wesen, das nicht mehr Ich ist, das groXe Geheimnis.

Schweigend stand Siddhartha im senkrechten Sonnenbrand, glXhend vor Schmerz, glXhend vor Durst, und stand, bis er nicht Schmerz noch Durst mehr fXhlte. Schweigend stand er in der Regenzeit, aus seinem Haare troff das Wasser Xber frierende Schultern, Xber frierende HXften und Beine, und der BXer stand, bis Schultern und Beine nicht mehr froren, bis sie schwiegen, bis sie still waren. Schweigend kauerte er im Dorngerank, aus der brennenden Haut tropfte das Blut, aus SchwXren der Eiter, und Siddhartha verweilte starr, verweilte regungslos, bis kein Blut mehr floss, bis nichts mehr stach, bis nichts mehr brannte.