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Die Nacht verlief völlig ruhig, abgesehen davon, daß ich einen furchtbaren Alptraum hatte und mir einbildete, lebendig begraben zu sein, woran zweifellos die grabesähnliche Umgebung schuld war. Am Morgen weckte uns ein lautes Trompetensignal, welches, wie wir später herausfanden, von einem jungen Amahagger auf einem ausgehöhlten Elefantenzahn geblasen worden war.

Wir errieten sogleich die Bedeutung des Signals, erhoben uns und gingen zu dem Bach, um uns zu waschen. Danach wurde das Frühstück aufgetragen. Während wir es einnahmen, trat plötzlich eine nicht mehr ganz junge Frau zu Job und küßte ihn öffentlich. Es war, von der Unschicklichkeit einmal abgese-hen, die erheiterndste Szene, die ich je gesehen habe. Nie werde ich des ehrbaren Job Widerwillen und Entsetzen vergessen. Er ist, gleich mir, ein ausgesprochener Weiberfeind - wahrscheinlich weil er zusammen mit einer Schar von Schwestern aufgewachsen ist -, und die Gefühle, welche sich auf seinem Gesicht abzeichneten, als ihm bewußt wurde, daß diese Frau ihn nicht nur öffentlich und ohne sein Einverständnis, sondern noch dazu in Gegenwart seiner Herren umarmte, entziehen sich jeder Beschreibung. Er sprang auf und stieß die Frau, eine dralle Person von etwa dreißig Jahren, empört von sich.

»Nein, so etwas!« schrie er, worauf die Frau offenbar in der Annahme, er sei nur schüchtern, ihn wiederum umarmte.

»Scher dich weg! Fort mit dir, freches Frauenzimmer!« schimpfte er, mit seinem hölzernen Löffel vor ihrem Gesicht hin und her fuchtelnd. »Ich bitte vielmals um Verzeihung, meine Herren, doch Sie sind Zeuge, daß ich sie in keiner Weise ermutigt habe! Mein Gott, da kommt sie schon wieder! Halten Sie sie fest, Mr. Holly, bitte, halten Sie sie fest! Ich ertrage es nicht - nein, wirklich nicht! So etwas ist mir noch nie passiert, meine Herren, das schwöre ich. Es ist mir zutiefst zuwider!« Damit rannte er, so schnell er konnte, hinaus, und zum erstenmal sah ich die Ama-hagger lachen. Wer jedoch nicht lachte, war die Frau. Im Gegenteil, sie schäumte vor Wut, und die spöttischen Mienen der anderen Frauen reizten sie noch mehr. Buchstäblich schnaubend und bebend vor Empörung stand sie da, und ich wünschte Job und seine Skrupel zum Teufel, denn ich ahnte, daß er durch sein Benehmen die Gefahr, in der wir ohnedies bereits schwebten, noch vergrößert hatte. Und wie sich bald herausstellte, täuschte ich mich darin nicht.

Nachdem die Frau verschwunden war, kam Job in höchster Erregung zurück und betrachtete mißtrauisch jede Frau, die in seine Nähe kam. Ich benützte die nächste Gelegenheit, unseren Gastgebern zu erklären, daß Job verheiratet sei und in seiner Ehe sehr schlechte Erfahrungen gemacht habe; dies sei der Grund, weshalb er sich uns angeschlossen habe, und daher rühre seine tiefe Abneigung gegenüber Frauen. Doch meine Erklärungen stießen auf eisiges Schweigen, und mir wurde klar, daß man das Benehmen unseres Dieners als Beleidigung für den ganzen >Haus-halt< empfand, wenn auch die Frauen, dem Beispiel einiger ihrer zivilisierteren Schwestern folgend, sich über die Zurückweisung ihrer Gefährtin belustigten.

Nach dem Frühstück unternahmen wir einen Spaziergang und sahen uns die Viehherden der Ama-hagger und die von ihnen bepflanzten Felder an. Sie haben zwei Arten von Rindvieh; die eine ist groß und mager und ohne Hörner, gibt jedoch vorzügliche Milch, die andere, klein und fett, liefert ausgezeichnetes Fleisch, aber fast keine Milch. Die Ziegen sind langhaarig und werden nur ihres Fleisches wegen gezüchtet; jedenfalls sah ich nie, daß sie gemolken wurden.

Die Landbestellung der Amahagger ist äußerst primitiv, und das einzige Gerät, dessen sie sich dazu bedienen, ist ein eiserner Spaten, denn dieses Volk versteht Eisen zu schmelzen und zu bearbeiten. Dieser Spaten ist ähnlich geformt wie eine große Speerspitze und besitzt keine Fußstütze. Infolgedessen ist das Graben äußerst mühsam und wird ausschließlich von Männern besorgt, während die Frauen, im Gegensatz zu den Bräuchen anderer wilder Völker, von jeder körperlichen Arbeit befreit sind. Doch ich erwähnte ja bereits, daß das schwache Geschlecht bei den Amahaggern eine besondere Vorzugsstellung genießt.

Anfangs waren wir uns über Ursprung und Verfassung dieses merkwürdigen Stammes gänzlich im unklaren, da seine Angehörigen über diese Dinge striktes Stillschweigen bewahrten. Im Laufe der nächsten vier Tage, die ohne besondere Vorkommnisse verliefen, erfuhren wir jedoch einiges von Leos Freundin Ustane, die übrigens dem jungen Mann kaum von der Seite wich. Was ihren Ursprung betraf, so schien ihr nichts darüber bekannt zu sein. Es gab jedoch, wie sie uns berichtete, in der Nähe des Ortes, wo >Sie< wohnte, einen Platz namens Kor, an dem viele alte Mauern und Säulen standen. Dort hatten, wie die Weisen ihres Volkes sagten, einst Menschen gelebt, von denen sie wahrscheinlich abstammten. Niemand wage es, sich diesen Ruinen zu nähern, da sie von bösen Geistern bewohnt seien. Ähnliche Ruinen gebe es, so habe sie gehört, auch in anderen Teilen des Landes - überall dort, wo sich ein Berg über die Sümpfe erhebe. Auch die Höhlen, in denen sie hausten, seien von Menschen aus den Felsen herausgehauen worden, wahrscheinlich von den gleichen, welche die Städte errichtet hatten. Ihr Volk habe kein geschriebenes Gesetz, nur bestimmte Bräuche, die jedoch ebenso bindend seien. Wer gegen diese Bräuche verstoße, werde auf Befehl des Vaters des betreffenden >Haushaltes< hingerichtet. Als ich sie nach der Todesart fragte, lächelte sie nur und meinte, ich würde vielleicht bald Zeuge einer solchen Hinrichtung werden.

Sie hätten jedoch auch eine Königin. >Sie< sei ihre Königin, die sich aber nur sehr selten zeige, vielleicht alle zwei oder drei Jahre, wenn sie über irgendwelche Missetäter zu Gericht sitze. Sie sei in einen großen Mantel gehüllt, so daß niemand ihr Gesicht sehen könne. Ihre Bediensteten seien taub und stumm und könnten deshalb nichts verraten, doch sei sie angeblich schön wie kein anderes Weib auf Erden. Es heiße auch, daß sie unsterblich sei und Macht über alle Dinge habe, doch sie, Ustane, wisse nichts Näheres darüber. Sie glaube, daß die Königin sich von Zeit zu Zeit einen Gatten wähle, den sie, sobald sie ein weibliches Kind zur Welt gebracht habe, töten lasse. Wenn dieses Kind erwachsen sei, so trete es nach dem Tod der Mutter an deren Stelle. Doch über all dies wisse man nichts Genaues. Nur eines sei sicher: >Sie< herrsche über das ganze Land, und jedem, der sich gegen sie auflehne, sei der Tod sicher. Sie halte sich eine Leibgarde, doch gebe es kein stehendes Heer.

Ich fragte, wie groß das Land sei und wie viele Menschen darin lebten. Sie erwiderte, es gebe zehn >Haushalte<, einschließlich des großen, dem die Königin angehöre, und alle >Haushalte< lebten in Höhlen, die sich gleich dieser auf hochgelegenen Landstrichen befänden, welche von riesigen, nur auf geheimen Pfaden zu durchquerenden Sümpfen umgeben seien. Häufig bekriegten die >Haushalte< einander, bis >Sie< befehle, Frieden zu schließen, was dann jeweils unverzüglich geschehe. Diese Kriege sowie das Fieber, das man sich beim Durchschreiten der Sümpfe leicht zuziehe, verhinderten, daß die Bevölkerung allzu stark zunahm. Sie stünden mit keinem anderen Volk in Verbindung, und es lebe auch keines in der Nähe oder könne das ungeheure Sumpfgebiet durchqueren. Einmal habe eine Armee versucht, sie aus Richtung des großen Flusses (vermutlich des Sambesi) anzugreifen, doch sie habe sich in den Sümpfen verirrt, und da sie bei Nacht die Irrlichter fälschlich für feindliche Lagerfeuer gehalten hätte und darauf zumarschiert sei, wäre die Hälfte der gegnerischen Krieger ertrunken. Der Rest sei bald am Fieber gestorben oder verhungert, ohne daß man einen Schlag gegen sie hätte führen müssen. Die Sümpfe seien, wenn man nicht die geheimen Pfade kenne, völlig unpassierbar, und auch wir, erklärte sie, wären niemals ohne fremde Hilfe hierhergelangt.