Dies und manches andere erfuhren wir während der viertägigen Pause, die unseren weiteren Abenteuern vorausging, von Ustane, und man kann sich sicher vorstellen, daß es uns genügend Anlaß zum Nachdenken gab. Das Ganze war äußerst merkwürdig, ja fast unglaublich, und das seltsamste daran schien, daß es mehr oder weniger mit der alten Inschrift auf der Scherbe übereinstimmte. Da gab es also eine geheimnisvolle Königin, umwoben von Legenden, die ihr allerlei schreckliche und wunderbare Eigenschaften zuschrieben; eine Königin mit dem unpersönlichen, mir jedoch reichlich unheimlichen Titel >Sie<. Mir war das alles unbegreiflich, und Leo ebenfalls, obgleich dieser natürlich immer wieder triumphierend darauf hinwies, daß es seine Meinung bestätige. Was Job betrifft, so hatte er es längst aufgegeben, nach einer vernunftgemäßen Erklärung für diese phantastischen Geschehnisse zu suchen; er nahm alles gelassen hin, wie es kam. Mahomed, der Araber, den übrigens die Amahagger höflich, doch mit kühler Verachtung behandelten, schien sich sehr zu ängstigen, doch bekam ich nicht aus ihm heraus, wovor. Er saß den ganzen Tag zusammengekauert in einer Ecke der Höhle und beschwor Allah und die Propheten, ihn zu beschützen. Als ich in ihn drang, sagte er mir schließlich, er fürchte sich, weil diese Leute gar keine Männer und Frauen, sondern Teufel seien und weil wir uns in einem verwünschten Land befänden; und, offen gesagt, ein- oder zweimal in den folgenden Tagen war ich nahe daran, ihm beizupflichten. So verging die Zeit, und endlich kam der Abend des vierten Tages seit Billalis Abreise.
Wir drei und Ustane saßen vor dem Schlafengehen um ein Feuer in der Höhle, als sie, die schweigend vor sich hingestarrt hatte, plötzlich aufstand, ihre Hand auf Leos goldene Locken legte und ihn ansprach. Noch heute sehe ich, wenn ich die Augen schließe, ihre stolze, schöne Gestalt vor mir, wie sie, abwechselnd in dunklen Schatten und den flackernd roten Widerschein des Feuers gehüllt, dastand und ihren düsteren Gedanken und Vorahnungen in einem Lied Ausdruck verlieh, das etwa wie folgt lautete:
»Du mein Erwählter - du bist's, auf den ich wartete von Anbeginn!
Wie schön bist du. Kein anderer hat so goldenes Haar, so weiße Haut.
Keiner kommt dir an Stärke gleich, ist so sehr Mann wie du!
Der Himmel deine Augen sind, das Licht darin die Sterne.
Wie edel bist du und wie heiter dein Antlitz -Als ich dich erblickte, flog sogleich mein Herz dir zu, und ich begehrte dich.
Ich nahm dich zu mir, mein Geliebter,
Und hielt dich fest, daß dir kein Leid geschehe.
Ich deckte mit meinem Haar dein Haupt, um vor der Sonne Glut es zu beschützen,
Und war ganz dein, so wie du mein ganz bist gewesen.
So war es, bis ein böser Tag heranbrach;
Und was geschah an diesem Tag? Ach, mein Geliebter, ich weiß es nicht!
Ich weiß nur, daß du mir entschwandest, daß Dunkel mich umhüllte Und daß dich jene mir entriß, die stärker ist und schöner als Ustane.
Du wandtest dich um und riefst meinen Namen, und deine Augen mühten sich, das Dunkel zu durchdringen. Doch ihre Schönheit siegte, und sie führte dich hinab Pfade des Schreckens, und dann, ach! dann, mein Geliebter -«
Hier brach dieses seltsame Weib seinen uns gänzlich unverständlichen Singsang plötzlich ab und blickte mit funkelnden Augen in das tiefe Dunkel vor sich. Dann nahm ihr Gesicht einen starren, entsetzten Ausdruck an, als sehe sie ein grauenhaftes Bild vor sich. Sie nahm ihre Hand von Leos Kopf und deutete ins Dunkel. Wir alle blickten in die Richtung, in die ihre Hand wies, konnten jedoch nichts sehen. Sie hingegen schien etwas zu sehen, das sie zutiefst erschütterte, denn sie sank ohne einen Laut vor uns zu Boden.
Leo, den eine wirkliche Zuneigung zu dieser merkwürdigen jungen Frau erfüllte, war überaus erschrocken und besorgt, und mich befiel, wie ich ehrlich gestehen muß, eine abergläubische Furcht, denn das Ganze war zutiefst unheimlich.
Nach einer Weile kam Ustane wieder zu sich und richtete sich krampfhaft erschaudernd auf.
»Was sollte das bedeuten, Ustane?« fragte Leo, der dank seiner langjährigen Studien recht gut Arabisch sprach.
»Nichts, mein Geliebter«, erwiderte sie mit einem leisen, gezwungenen Lachen. »Ich habe dir nur, wie es bei uns Brauch ist, ein kleines Lied vorgesungen. Es hatte wirklich nichts zu bedeuten. Wie könnte ich auch von Dingen sprechen, die noch nicht sind?«
»Und was hast du gesehen, Ustane?« fragte ich und sah sie scharf an.
»Nichts«, antwortete sie wiederum. »Gar nichts. Fragt mich nicht danach. Warum soll ich euch erschrecken?« Und dann wandte sie sich mit einem Blick tiefster Zärtlichkeit, wie ich ihn nie noch bei einer Frau, ob zivilisiert oder wild, gesehen hatte, Leo zu, nahm seinen Kopf in ihre Hände und küßte ihn wie eine Mutter auf die Stirn.
»Wenn ich dich verlassen habe, mein Geliebter«, sagte sie, »und wenn du nachts die Hand ausstrecken und mich nicht finden wirst, dann denke daran, wie sehr ich dich geliebt habe, obwohl ich es nicht wert bin, dir die Füße zu waschen. Jetzt aber wollen wir uns lieben und glücklich und zufrieden sein mit dem, was unser ist; denn im Grab gibt es keine Liebe und keine Wärme und keine Küsse - nur bittere Reue über das Versäumte. Diese Nacht ist unser; wer weiß, wem die nächste Nacht gehören wird?«
8
Das Fest und was danach geschah
Am Tage nach diesem seltsamen Geschehnis - welches uns alle tief beeindruckte und mit unheilvollen Ahnungen erfüllte - teilte man uns mit, daß uns zu Ehren am Abend ein Fest stattfinden werde. Ich versuchte dies zu verhindern und sagte, wir seien bescheidene Leute und ließen uns nicht gerne feiern, doch da meine Äußerungen mit mißfälligem Schweigen aufgenommen wurden, hielt ich es für das beste, den Mund zu halten.
So meldete man uns denn kurz vor Sonnenuntergang, daß alle Vorbereitungen getroffen seien, und ich begab mich mit Job in die Höhle, wo wir Leo und Ustane trafen. Die beiden waren soeben von einem Spaziergang zurückgekehrt und wußten nichts von dem geplanten Fest. Als ich sie davon unterrichtete, huschte ein Ausdruck des Entsetzens über Ustanes schöne Züge. Sie packte einen Mann, der eben an uns vorbeiging, am Arm und richtete in herrischem Ton eine Frage an ihn. Seine Antwort schien sie ein wenig zu beruhigen, denn sie blickte erleichtert drein, wenn auch nicht ganz befriedigt. Es schien, als ob sie darauf dem Mann gegenüber, der eine höhere Stellung bekleidete, irgendwelche Einwendungen erhob, doch er antwortete ihr barsch und schüttelte sie ab. Dann besann er sich offenbar eines anderen, nahm sie am Arm, führte sie zum Feuer und zwang sie, sich zwischen ihn und einen anderen Mann hinzusetzen. Aus irgendeinem Grund schien es ihr ratsam, sich zu fügen.