Das Feuer in der Höhle war an diesem Abend ungewöhnlich groß, und wir sahen, daß darum in einem großen Kreis etwa fünfunddreißig Männer und zwei Frauen versammelt waren, daß heißt, Ustane und jene Frau, der zu entgehen Job den keuschen Joseph gespielt hatte. Die Männer bewahrten, wie üblich, tiefes Schweigen, und jeder hatte hinter sich in einem eigens dafür in den Fels geschlagenen Spalt seinen Speer stecken. Nur einer oder zwei von ihnen trugen das bereits erwähnte gelbliche Leinengewand, die übrigen nichts als das um die Hüften geschwungene Leopardenfell.
»Was mögen sie wohl vorhaben?« fragte Job ängstlich, »Herr, steh mir bei, da ist ja wieder dieses Weib! Nachdem ich sie so habe abblitzen lassen, wird sie mich nun wohl hoffentlich in Ruhe lassen. Ich kann mir nicht helfen, mich gruselt vor diesen Leuten! Doch schauen Sie, man hat Mahomed auch eingeladen. Sehen Sie nur, wie nett und höflich meine Herzensdame auf ihn einredet. Mein Gott, bin ich froh, daß ich nicht an seiner Stelle bin!«
Ich blickte hin und sah, daß die Frau tatsächlich zu Mahomed getreten war und den armen Mahomed aus der Ecke, in der er sich, zitternd vor Angst und laut Allah anrufend, niedergelassen hatte, zum Feuer führte. Er folgte ihr nur äußerst widerstrebend, vielleicht, weil er bisher stets sein Essen allein eingenommen hatte und ihm diese ungewohnte Ehre nichts Gutes zu verheißen schien. Jedenfalls merkte ich, daß ihn tiefste Angst erfüllte, denn seine zitternden Knie wollten kaum seinen großen kräftigen Körper tragen, und ich glaube, daß ihn weniger die freundlichen Worte der Frau veranlaßten zu gehor-chen, als der riesige Speer eines hünenhaften Ama-haggers, der ihm auf dem Fuße folgte.
»Mir kommt das Ganze nicht recht geheuer vor«, sagte ich zu den anderen, »doch wir müssen zusehen, daß wir es so gut wir möglich überstehen. Habt ihr eure Revolver bei euch? Und sind sie geladen?«
»Ich habe meinen«, sagte Job und klopfte auf seinen Colt. »Mr. Leo jedoch hat nur sein Jagdmesser bei sich, aber das wird wohl auch genügen.«
Da wir es nicht für ratsam hielten zu warten, bis Leo seine Waffe geholt hatte, traten wir keck an das Feuer und setzten uns, den Rücken zur Wand, nebeneinander hin.
Sobald wir Platz genommen hatten, wurde ein Krug mit einem gegorenen Getränk herumgereicht, das gar nicht unangenehm schmeckte, doch leicht berauschte. Man stellte es aus einer Getreideart her, deren Körner, ähnlich wie beim südafrikanischen Kafir-korn, am Halm in Trauben wachsen. Das Gefäß, das die Flüssigkeit enthielt, war von sehr merkwürdiger Form, und da es mehr oder weniger den vielen hundert anderen glich, die bei den Amahaggern in Gebrauch sind, möchte ich es ein wenig näher beschreiben. Diese Gefäße, die es in allen Größen gibt, müssen schon in uralten Zeiten angefertigt worden sein, vor Hunderten oder gar Tausenden von Jahren, denn sie finden sich in den Felsengräbern, welche ich später noch schildern werde. Ich persönlich glaube, daß sie wie bei den Ägyptern, mit denen die früheren Bewohner dieses Landes möglicherweise in Verbindung standen, zur Aufnahme der Eingeweide der Toten dienten. Leo hingegen ist der Ansicht, man habe sie, wie die etruskischen Amphoren, zum Gebrauch für die Geister der Verstorbenen in die Gräber gestellt. Sie haben meist zwei Henkel, und es gibt sie in den verschiedensten Größen, von wenigen Zoll bis zu drei Fuß. Ihre Form ist sehr schön und geschmackvoll, und sie bestehen aus einem sehr feinen schwarzen, nicht glänzenden, sondern ziemlich rauhen Material. Auf ihrer Außenseite sind Figuren eingelegt, die an Naturtreue und Anmut alles übertreffen, was ich je auf antiken Vasen gesehen habe. Manche dieser eingelegten Bilder stellen Liebesszenen von einer kindlichen Einfalt und Unbefangenheit dar, wie sie heute undenkbar wäre. Andere wiederum zeigen tanzende Mädchen oder Jagdszenen. Der Krug, aus dem wir tranken, zum Beispiel, zeigte auf der einen Seite eine höchst begabte Darstellung von Männern, offenbar weißer Hautfarbe, die mit Speeren einen Elefanten angriffen, während sich auf der anderen Seite das nicht ganz so gute Bild eines Jägers befand, der einen Pfeil auf eine flüchtende Antilope abschoß.
Doch zurück zu dem Fest. Fast eine ganze Stunde lang geschah nichts, außer daß immer wieder der Krug herumgereicht und hin und wieder Holz in das Feuer geworfen wurde. Niemand sprach ein Wort. In tiefem Schweigen saßen wir da und starrten in das große flackernde Feuer und auf die tanzenden Schatten, welche die irdenen Lampen an die Wände warfen. Zwischen uns und dem Feuer lag ein großes Holzbrett mit vier Griffen, das einem Fleischertrog ähnelte, nur daß es nicht ausgehöhlt war. Daneben lag eine lange eiserne Zange, und auf der anderen Seite des Feuers eine zweite. Irgendwie erfüllte mich der Anblick des Brettes und der beiden Zangen mit Unbehagen. Ich saß da, starrte sie und die schweig-samen Männer mit ihren finsteren Gesichtern an und mußte daran denken, daß wir uns völlig in der Gewalt dieser Leute befanden, welche, zumindest mir, um so unheimlicher waren, als wir von ihrem wahren Wesen noch immer so gut wie nichts wußten. Vielleicht waren sie besser, als ich dachte, vielleicht aber auch viel schlimmer. Ich fürchtete das letztere, und ich sollte mich nicht täuschen. Es war ein eigenartiges Fest, denn es gab nicht das geringste zu essen.
Schließlich, als ich mir schon fast wie hypnotisiert vorkam, geschah endlich etwas. Ganz plötzlich rief ein Mann auf der anderen Seite des Kreises mit lauter Stimme: »Wo ist das Fleisch, das wir essen werden?«
Daraufhin streckten alle den rechten Arm aus, deuteten auf das Feuer und antworteten einstimmig in tiefem, feierlichem Ton:
»Das Fleisch wird kommen.«
»Ist es eine Ziege?« fragte der Mann.
»Es ist eine Ziege ohne Hörner, und mehr als eine Ziege, und wir werden sie töten«, antworteten sie im Chor, und zugleich wandten sie sich halb um, umklammerten mit der rechten Hand die Griffe ihrer Speere und ließen sie wieder los.
»Ist es ein Ochse?« fragte der Mann.
»Es ist ein Ochse ohne Hörner, und mehr als ein Ochse, und wir werden ihn töten«, lautete die Antwort, und wieder umklammerten sie ihre Speere und ließen sie wieder los.
Nun folgte eine Pause, und ich sah voll Entsetzen, daß die Frau, die neben Mahomed saß, ihn zu liebkosen begann; sie streichelte seine Wange und gab ihm allerlei Kosenamen, wobei sie seine zitternde Gestalt mit funkelnden Augen von oben bis unten musterte.
Ich weiß nicht, warum uns dieser Anblick so erschreckte, doch wir waren alle zutiefst entsetzt, besonders Leo. Die Bewegungen, mit denen die Frau Mahomed liebkoste, glichen denen einer Schlange und waren offenbar Teil einer unheimlichen feststehenden Zeremonie.[9]
Ich sah, wie Mahomed unter seiner braunen Haut erbleichte und vor Angst kreideweiß wurde.
»Ist das Fleisch zum Kochen bereit?« fragte wieder die Stimme, doch diesmal viel schneller.
»Es ist bereit, es ist bereit.«
»Ist der Topf heiß?« kreischte schrill die Stimme, und das Echo hallte schrecklich von den hohen Wänden der Höhle zurück.
»Er ist heiß, er ist heiß.«
»Großer Gott«, rief Leo. »Denk an die Inschrift auf der Scherbe: >Das Volk, das Fremden Töpfe auf die Köpfe setzt<!«
Noch während er es sagte und bevor wir irgend etwas tun konnten, sprangen zwei hünenhafte Kerle auf, packten die langen Zangen und stießen sie mitten ins Feuer, und das Weib, welches Mahomed liebkost hatte, zog plötzlich unter ihrem Gürtel eine aus Fasern geflochtene Schlinge hervor, warf sie ihm über die Schultern und zog sie zu, während die beiden neben ihm sitzenden Männer seine Beine umklammerten. Die beiden Kerle mit den Zangen schürten das Feuer auf, so daß die glühenden Holzscheite nach allen Richtungen davonflogen, und hoben einen großen irdenen, bis zur Weißglut erhitzten Topf daraus hervor. Im nächsten Augenblick waren sie, fast mit einem Satz, bei Mahomed, der sich verzweifelt wehrte. Er schlug laut brüllend um sich, und trotz der Schlinge und der Anstrengungen der beiden Männer, welche seine Beine festhielten, waren die zwei Kerle im Augenblick außerstande, ihr Vorhaben auszuführen, welches, so grauenhaft und unglaublich es scheinen mag, darin bestand, ihm den glühenden Topf über den Kopf zu stülpen.
9
Wie wir später erfuhren, dienten sie dazu, das Opfer in den Glauben zu versetzen, es sei der Gegenstand von Liebe und Bewunderung, und es zu besänftigen, damit es glücklich und zufrieden in den Tod ging. -