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»Einen Speer!« rief eine Stimme. »Holt einen Speer, den Hals ihm zu durchbohren, und ein Gefäß, sein Blut aufzufangen!«

Ich schloß die Augen, als ich sah, wie einer der Männer mit einem Speer herbeieilte. Ich konnte Leo nicht zu Hilfe kommen, denn meine Kräfte schwanden, und die beiden Männer auf mir waren immer noch nicht tot. Eine entsetzliche Schwäche befiel mich.

Da erhob sich plötzlich ein Lärm, und ich öffnete unwillkürlich die Augen und blickte zu der Stelle, wo, wie ich glaubte, Leo den Todesstoß empfing. Das Mädchen Ustane hatte sich auf ihn geworfen und deckte, die Arme um seinen Hals geschlungen, seinen Körper mit ihrem Körper. Die Männer versuchten, sie von ihm loszureißen, doch sie wand ihre Beine um die seinen und klammerte sich an ihn wie ein Schlinggewächs. Da versuchten sie, ihn, ohne Ustane zu verletzen, in die Seite zu stechen, doch auch dort schützte sie ihn, und so gelang es ihnen lediglich, ihn zu verwunden.

Endlich verloren sie die Geduld.

»Durchbohrt den Mann und das Mädchen zusammen«, sagte eine Stimme, dieselbe, die bei dem un-heimlichen Fest die Fragen gestellt hatte, »so werden sie wahrhaftig miteinander verbunden sein.«

Ich sah, wie der Mann mit dem Speer sich aufrichtete und ausholte, wie der kalte Stahl glitzerte. Wieder schloß ich die Augen.

Im gleichen Augenblick ertönte eine Donnerstimme, deren Echo von den Felswänden widerhallte:

»Haltet ein!«

Dann schwanden mir die Sinne, und mir war, als umhülle mich das Dunkel des Todes.

9

Ein kleiner Fuß

Als ich die Augen wieder aufschlug, lag ich auf einem Fell neben dem Feuer, um das wir uns zu jenem schrecklichen Fest versammelt hatten. An meiner Seite lag Leo, anscheinend immer noch bewußtlos, und über ihn beugte sich die schlanke Gestalt Usta-nes, welche eine tiefe Speerwunde in seiner Seite mit kaltem Wasser auswusch und dann mit Leinen verband. Hinter ihr an der Wand der Höhle lehnte Job, unverletzt, wie es schien, doch zitternd und voller Schrammen. Auf der anderen Seite des Feuers kreuz und quer, als hätten sie sich zutiefst erschöpft hingeworfen, um zu schlafen, die von uns in dem schrecklichen Kampf Getöteten. Ich zählte sie - es waren zwölf außer der Frau und dem armen, von mir getöteten Mahomed, der neben dem rußgeschwärzten Topf am Ende der Reihe lag. Links davon stand eine Gruppe von Männern, die den am Leben gebliebenen Kannibalen die Arme auf den Rücken banden und sie zu zweien aneinanderfesselten. Die Schurken ließen dies mit düsteren, gleichgültigen Mienen, die jedoch schlecht zu der in ihren Augen glühenden Wut paßten, über sich ergehen. Vor ihnen stand, Anweisungen erteilend, kein anderer als unser Freund Billali. Er sah ein wenig müde aus, wirkte jedoch mit seinem langen wallenden Bart wie ein echter Patriarch und schien so ruhig und unbeteiligt, als überwache er das Schlachten eines Ochsen.

Plötzlich drehte er sich um, und als er sah, daß ich mich aufgerichtet hatte, kam er zu mir und fragte mich mit äußerster Höflichkeit, ob es mir besser gehe. Ich erwiderte, daß ich das Gefühl hätte, am ganzen Körper zerschlagen zu sein.

Daraufhin beugte er sich zu Leo nieder und untersuchte seine Wunde.

»Ein böser Stich«, sagte er, »doch die Eingeweide hat der Speer nicht verletzt. Er wird es überstehen.«

»Dank deines Eingreifens, mein Vater«, erwiderte ich. »Noch eine Minute, dann hätten diese Teufel uns ebenso getötet wie unseren Diener.« Ich deutete auf Mahomed.

Der Alte biß die Zähne zusammen, und ich sah, wie seine Augen böse aufblitzten.

»Keine Sorge, mein Sohn«, sagte er. »Schauerliche Rache wird sie treffen. Man wird sie vor >Sie< bringen, und ihre Rache wird ihrer Größe würdig sein. Dieser Mann«, er deutete auf Mahomed, »dieser Mann ist eines gnadenvollen Todes gestorben im Vergleich zu dem, den diese menschlichen Hyänen sterben werden. Doch nun erzähle mir, wie es zu alldem kam.«

In wenigen Worten berichtete ich, was geschehen war. »Dacht' ich mir's doch«, antwortete er. »Du mußt wissen, mein Sohn, es ist hier Sitte, daß Fremde, die ins Land kommen, mit dem Topf getötet und verzehrt werden.«

»Das ist ja eine merkwürdige Gastfreundschaft«, erwiderte ich. »Bei uns ist es gerade umgekehrt. In unserem Land bewirtet man Fremde und gibt ihnen zu essen. Hier werden sie gegessen.«

»Es ist eben so Sitte«, sagte er achselzuckend. »Ich halte es auch für eine schlechte Sitte, und außerdem«, fügte er nach kurzem Nachdenken hinzu, »schmek-ken mir Fremde nicht, besonders wenn sie durch die Sümpfe gewandert sind und sich von wilden Vögeln ernährt haben. Als >Sie< uns den Befehl sandte, euer Leben zu schonen, sagte ich nichts von dem schwarzen Mann, und deshalb gelüstete es die Hyänen nach seinem Fleisch, und jene Frau, die du mit Recht getötet hast, stachelte sie dazu auf, sich über ihn herzumachen. Nun, sie werden dafür büßen. Es wäre besser für sie gewesen, nie das Licht der Welt erblickt zu haben, als vor die Herrscherin in ihrem furchtbaren Zorn hinzutreten. Jene, die von eurer Hand starben, sind glücklich zu preisen dagegen. Wahrlich, ihr habt euch tapfer geschlagen. Weißt du, du langarmiger alter Pavian, daß du den beiden dort drüben die Rippen zerbrochen hast, als wären es Eierschalen? Und der Junge, dieser Löwe, hat sich ganz prächtig gehalten. Drei hat er erschlagen, und der dort« - er deutete auf einen Körper, der sich noch ein wenig rührte -»wird auch bald tot sein, denn sein Schädel ist mittendurch gespalten, und noch viele andere von den Gefesselten sind verwundet. Es war ein wackerer Kampf, so ganz nach meinem Herzen, und ihr habt mich damit zum Freund gewonnen. Doch sage mir, du Pavian - ja, jetzt erst sehe ich, daß auch dein Gesicht voller Haare ist und ganz dem eines Pavians gleicht -, wie habt ihr jene getötet, die ein Loch im Körper haben? - Wie man mir erzählt hat, machtet ihr einen lauten Krach, und sie fielen tot um. Hat dieser Krach sie zu Boden gestreckt?«

Ich erklärte ihm, so gut ich konnte, doch in aller Kürze - denn ich war schrecklich müde -, die Eigenschaften des Schießpulvers, und er bat mich sofort, sie durch ein praktisches Experiment an einem der Gefangenen zu illustrieren. Er meinte, auf einen mehr oder weniger käme es nicht an und es würde nicht nur ihn sehr interessieren, sondern mir auch Gelegenheit geben, mich zu rächen. Als ich ihm sagte, daß es bei uns nicht Sitte sei, sich auf so grausame Weise zu rächen, und daß wir die Rache den Hütern des Gesetzes und einer höheren Macht, von der er nichts wüßte, überließen, war er zutiefst erstaunt. Ich fügte jedoch hinzu, daß ich ihn, wenn ich wieder gesund sei, gern zu einer Jagd mitnehmen würde und daß er dann selbst ein Tier töten könne, und darüber freute er sich wie ein Kind, dem man ein neues Spielzeug verspricht.

In diesem Augenblick öffnete Leo, belebt von einem Schluck Kognak, den Job ihm eingeflößt hatte, die Augen, und so brachen wir unsere Unterhaltung ab.

Wir trugen Leo, der immer noch sehr schwach und halb bewußtlos war, auf ein weiches Lager, wobei uns Job und die tapfere Ustane halfen, die ich am liebsten mit einem Kuß dafür belohnt hätte, daß sie meinen Leo unter Einsatz ihres eigenen Lebens gerettet hatte, doch ich fürchtete, sie könnte es mir übelnehmen. Sodann zog ich mich, am ganzen Körper voller Beulen und Schrammen, doch erfüllt von einem Gefühl der Sicherheit, das ich seit vielen Tagen nicht empfunden hatte, in meine kleine Grabkammer zurück, versäumte jedoch nicht, bevor ich mich niederlegte, der Vorsehung von ganzem Herzen dafür zu danken, daß sie mir nicht tatsächlich zur letzten Ruhestätte geworden war, wie es ohne eine glückliche Fügung, die ich nur ihr zuschreiben kann, an je-nem Abend leicht der Fall hätte sein können. Wohl nur wenige Menschen sind je dem Tode so nahe gewesen und ihm dennoch entronnen wie wir an jenem schrecklichen Tag.