Am dritten Morgen waren Job und ich wieder einigermaßen hergestellt. Da es auch Leo wesentlich besser ging, erfüllte ich Billalis immer wieder vorgebrachte Bitte und erklärte mich bereit, sogleich die Reise nach Kor, wie der Wohnort der geheimnisvollen >Sie< hieß, anzutreten, obwohl ich nachteilige Folgen für Leo fürchtete, dessen kaum verheilte Wunde durch die Bewegung wieder aufbrechen konnte. Hätte Billali nicht so ängstlich gedrängt, diesen Platz zu verlassen, und uns dadurch mit der Befürchtung erfüllt, es könnten uns, wenn wir noch länger blieben, neue Gefahren drohen, so hätte ich nicht eingewilligt.
10
Betrachtungen
Eine Stunde nachdem wir uns zum Aufbruch entschlossen hatten, wurden fünf Sänften, jede mit vier Trägern und zwei Ersatzmännern, zum Eingang der Höhle gebracht. Eine Schar von fünfzig bewaffneten Amahaggern bildete die Eskorte und trug das Gepäck. Drei der Sänften waren für uns, eine für Billali bestimmt, der uns, wie ich zu meiner Erleichterung erfuhr, begleiten wollte. Die fünfte war anscheinend für Ustane.
»Kommt die Dame mit uns, mein Vater?« fragte ich Billali, der die Vorbereitungen beaufsichtigte. Achselzuckend erwiderte er:
»Wenn sie will. In unserem Lande tun die Frauen, was ihnen beliebt. Wir verehren sie und lassen ihnen ihren Willen, denn ohne sie könnte die Welt nicht bestehen; sie sind der Quell des Lebens.«
»Ah«, sagte ich, denn bisher war mir die Sache noch nie in diesem Licht erschienen.
»Ja, wir verehren sie«, fuhr er fort, »daß heißt, bis zu einem gewissen Punkt - bis sie unerträglich werden. Das«, fügte er hinzu, »ist bei jeder zweiten Generation der Fall.«
»Und was tut ihr dann?« fragte ich neugierig.
»Dann«, erwiderte er mit leisem Lächeln, »raffen wir uns auf und töten die alten, um die jungen zu warnen und um ihnen zu zeigen, daß wir die Stärkeren sind. Auf diese Weise wurde vor drei Jahren meine arme Frau getötet. Es war sehr traurig, aber ehrlich gesagt, mein Sohn, mein Leben ist seither viel schöner, denn vor den jungen schützt mich ja mein Alter.«
»Kurz gesagt«, antwortete ich, einen Politiker zitierend, dessen Weisheit das Dunkel der Amahagger noch nicht erhellt hat, »du hast mehr Freiheit und weniger Verantwortung.«
Er schien über diesen Ausspruch zuerst ein wenig erstaunt, doch schließlich pflichtete er mir bei.
»Ganz recht, mein Pavian«, sagte er. »Ich verstehe, was du meinst. Die >Verantwortungen< werden bei uns getötet, und deshalb gibt es bei uns so wenig alte Weiber. Nun ja - sie haben es sich selbst zuzuschreiben. Was ich von Ustane halten soll«, fuhr er in ernsterem Ton fort, »weiß ich nicht recht. Sie ist ein tapferes Mädchen, und sie liebt deinen Freund, den Löwen; du hast ja gesehen, wie sie sich an ihn klammerte und ihm das Leben rettete. Nach unserer Sitte ist sie seine Frau und hat das Recht, überallhin zu gehen, wo er hingeht, es sei denn«, fügte er behutsam hinzu, »>Sie< verbietet es, denn ihr Wort ist stärker als das Recht.«
»Und wenn >Sie< ihr befiehlt, ihn zu verlassen, und das Mädchen sich weigert? Was dann?«
»Was geschieht«, sagte er achselzuckend, »wenn der Sturm dem Baum befiehlt, sich zu beugen, und er will nicht?«
Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte er sich ab und ging zu seiner Sänfte, und zehn Minuten später waren wir unterwegs.
Wir brauchten über eine Stunde, um die becherförmige vulkanische Ebene zu durchqueren, und eine weitere halbe Stunde, um die Felswand auf der anderen Seite zu erklimmen. Oben angelangt, bot sich uns eine prachtvolle Aussicht. Vor uns lag ein langer, grasbewachsener Abhang, da und dort von Bäumen mit stacheligen Ästen bestanden. Am Fuß dieses sanftgeneigten Abhangs, etwa neun oder zehn Meilen entfernt, sahen wir einen weiten Sumpf, über dem üble Dünste hingen wie Rauch über einer Stadt. Bergab hatten es die Träger leicht, und gegen Mittag erreichten wir den Rand des gräßlichen Sumpfes. Wir machten halt, um zu Mittag zu essen, und zogen dann auf einem gewundenen Pfad durch den Sumpf. Plötzlich wurde der Pfad, zumindest für unsere ungewohnten Augen, so undeutlich, daß er von den Fährten der Wassertiere und Vögel kaum noch zu unterscheiden war, und es ist mir bis zum heutigen Tag ein Rätsel, wie unsere Träger den Weg fanden. An der Spitze des Zuges marschierten zwei Männer mit zwei langen Stangen, die sie hin und wieder in den Boden vor sich stießen - eine Maßnahme, die deshalb notwendig war, weil sich aus Gründen, die mir nicht bekannt sind, die Beschaffenheit des Bodens häufig änderte und Stellen, die sich in diesem Monat gefahrlos überschreiten ließen, im nächsten den Wanderer verschlingen konnten. Nie sah ich eine ödere und trostlosere Landschaft. Meilenweit nichts als Morast, unterbrochen nur dann und wann von Streifen hellgrünen festeren Bodens und von tiefen, düsteren Tümpeln, umsäumt von Binsen, in denen Rohrdommeln lärmten und unaufhörlich Frösche quakten - Meile um Meile ohne jede Abwechslung, es sei denn, man bezeichnet die Fieberdünste als solche. Gänse, Kraniche, Enten, Krickenten, Bläßhühner, Schnepfen und Kiebitze umschwärmten uns, darunter viele Arten, die wir noch nie gesehen hatten, und alle so zahm, daß man sie fast mit einem Stock hätte erschlagen können. Unter diesen Vögeln fiel mir besonders eine wunderschöne bunte Schnepfenart auf; sie hatte etwa die Größe einer Waldschnepfe, ihr Flug jedoch ähnelte mehr dem einer englischen Schnepfe. In den Tümpeln hausten auch Tiere, die wie kleine Alligatoren oder wie riesengroße Leguane aussahen und sich, wie Billali mir erzählte, von Wasservögeln nährten, sowie große Mengen scheußlicher Wasserschlangen, deren Biß sehr gefährlich, doch nicht, wie man mir sagte, so tödlich wie der einer Kobra oder Viper ist. Auch viele riesige Ochsenfrösche gab es, deren Stimme ihrer Größe entsprach, und die Moskitos - Job nannte sie >Musketiere< - waren womöglich noch schlimmer als am Fluß und peinigten uns schrecklich. Das Allerschlimmste an dem Sumpf jedoch waren der gräßliche Gestank verfaulender Pflanzen, der darüber hing und manchmal geradezu unerträglich war, und die Malariadünste, die einzuatmen sich natürlich nicht vermeiden ließ.
Durch all dies zogen wir dahin, bis schließlich in düsterer Pracht die Sonne unterging. Wir erreichten zu dieser Zeit gerade eine etwa zwei Morgen große Erhebung mit etwas festerem Boden, die wie eine trockene Oase inmitten dieser schlammigen Wildnis lag. Billali beschloß, hier zu kampieren, was einfach hieß, daß wir aus trockenen Binsen und etwas Holz ein dürftiges Feuer machten und uns rundherum auf den Boden setzten. Wir fanden uns jedoch damit ab und rauchten und aßen mit so viel Appetit, wie ihn die schwüle, drückende Hitze aufkommen ließ, denn auf diesem Stück Land war es sehr heiß und merkwürdigerweise zuweilen auch unangenehm kühl.
Doch trotz der Hitze waren wir sehr froh über das Feuer, denn sein Rauch hielt die Moskitos fern. Bald wickelten wir uns in unsere Decken und versuchten zu schlafen, was mir jedoch die Ochsenfrösche und der schreckliche Lärm Hunderter in die Luft flatternder Schnepfen sowie all die anderen Unbequemlichkeiten ganz unmöglich machten. Ich drehte mich um und sah Leo an, der neben mir lag; er schlummerte, doch sein Gesicht war auf eine seltsame Weise, die mir gar nicht gefiel, gerötet, und im flackernden Schein des Feuers bemerkte ich, wie Ustane, die auf seiner anderen Seite lag, sich von Zeit zu Zeit auf ihren Ellbogen stützte und ihn besorgt betrachtete.