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Ich konnte jedoch gar nichts für ihn tun, denn wir alle hatten bereits eine starke Dosis Chinin eingenommen, und andere vorbeugende Mittel führten wir nicht mit uns. So lag ich denn da und sah, wie Tausende von Sternen auffunkelten, bis der ganze ungeheure Himmelsbogen mit glitzernden Punkten übersät war - und jeder war eine Welt! Es war ein herrlicher Anblick, der einem bewußt machte, wie unbedeutend doch der Mensch ist! Doch bald gab ich es auf, darüber nachzudenken, denn der Verstand ermüdet leicht, wenn er die Unendlichkeit zu durchdringen und den Fußspuren des Allmächtigen auf seinem Weg von Sphäre zu Sphäre zu folgen oder seinen Willen in seinen Werken zu erkennen sucht. Diese Dinge entziehen sich unserer Erkenntnis. Zuviel Wissen würde uns vielleicht blenden, zuviel Stärke uns trunken machen und unseren schwachen Verstand überwältigen, bis wir ihn verlören und in den Tiefen unserer Nichtigkeit versänken. Denn wozu verwendet der Mensch vor allem sein vermehrtes Wissen, das er seinem hartnäckigen und dabei so kurzsichtigen Forschen im Buche der Natur verdankt? Bezweifelt er nicht gar zu häufig die Existenz seines Schöpfers und jegliche höhere Vernunft, welche über seine eigene hinausgeht? Die Wahrheit ist verschleiert, weil wir ihren Anblick ebensowenig ertragen könnten wie den der Sonne. Sie würde uns zerstören. Die ganze Wahrheit ist für den Menschen nicht faßbar, denn sein Geist, von dessen Größe er so viel hält, ist nur sehr klein. Das Gefäß seines Geistes ist bald gefüllt, und schon ein winziger Tropfen von der Kraft und Weisheit, die jene unendlichen Sphären erfüllt und bewegt, würde ihn zersprengen. Vielleicht wird es an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit anders sein - wer weiß? Hier auf Erden ist es das Los des Menschen, Mühsal und Plage zu erdulden, nach den Seifenblasen des Schicksals, die er Freuden nennt, zu haschen und dankbar zu sein, wenn er eine, bevor sie platzt, einen Augenblick in der Hand zu halten vermag; und ist das Trauerspiel zu Ende und seine letzte Stunde da, muß er demütig von hinnen gehen, in ein Land, das er nicht kennt.

Diesen und vielen anderen Gedanken hing ich nach in jener Nacht. Wie oft quälen sie doch den Menschen! Ja, quälen sage ich, denn das Denken macht uns die Hilflosigkeit des menschlichen Verstandes erst recht bewußt. Was ist schon unsere schwache Stimme in der unendlichen stummen Weite des Weltenraums? Kann unsere schwache Intelligenz die Geheimnisse jenes sternenübersäten Himmels enträtseln? Wird uns je eine Antwort zuteil werden? Nie und nimmer - nichts als ein Echo und phantastische Visionen! Und dennoch glauben wir, daß es eine Antwort gibt und daß dereinst eine rosige Dämmerung die Nacht, durch welche wir uns tasten, beenden wird. Wir glauben es, denn von jenseits des Grabes leuchtet der Widerschein ihrer Schönheit schon jetzt in unser Herz, und wir nennen sie Hoffnung. Ohne Hoffnung würden wir den moralischen Tod erleiden, mit Hilfe der Hoffnung aber können wir vielleicht doch zum Himmel aufsteigen oder im schlimmsten Fall, wenn auch sie nur freundliches Blendwerk sein sollte, das vor Verzweiflung uns bewahren soll, sanft hinabsinken in die Abgründe ewigen Schlafes.

Sodann dachte ich über das Unternehmen nach, auf das wir uns eingelassen hatten. Wie phantastisch war es doch, und dennoch schien alles so seltsam mit der jahrhundertealten Inschrift auf der Scherbe übereinzustimmen! Wer war jenes mystische Weib, das inmitten der Reste einer längst versunkenen Kultur als Königin ein ebenso sonderbares Volk beherrschte? Und was bedeutete diese Geschichte von dem Feuer, das ewiges Leben spendete? War es möglich, daß es irgendeine Flüssigkeit oder Essenz gab, welche die Mauern des Fleisches so verstärkte, daß die Beschüsse des Verfalls ihnen nichts anhaben konnten? Es war möglich, doch nicht wahrscheinlich. Die unendliche Verlängerung des Lebens war sicher nicht, wie der arme Vincey meinte, etwas so Wunderbares wie die Erzeugung des Lebens und seine zeitlich begrenzte Dauer. Doch wenn es stimmte - was dann? Wer es fand, konnte zweifellos die Welt beherrschen. Er konnte sich alle Schätze der Welt und alle Macht und alles Wissen, das Macht bedeutet, aneignen. Er konnte dem Studium jeder Kunst und jeder Wissenschaft ein Lebensalter widmen. Wenn dies wirklich stimmte und diese >Sie< tatsächlich unsterblich war, was ich nicht einen Moment lang glaubte - warum hauste sie dann, obwohl sie über solche Macht verfügte, in einer Höhle unter Kannibalen? Nein, es gab keinen Zweifeclass="underline" diese ganze Geschichte war Unsinn, nichts als ein Ausfluß der abergläubischen Zeit, in der sie niedergeschrieben worden war. Auf jeden Fall würde ich nicht versuchen, Unsterblichkeit zu erlangen. In den etwa vierzig Jahren, die ich auf Erden wandelte, hatte ich schon zu viele Enttäuschungen und Bitternisse erfahren, um mir eine endlose Verlängerung dieses Zustandes zu wünschen. Und dennoch glaube ich, daß mein Leben verhältnismäßig glücklich gewesen ist.

Als ich mir dann noch sagte, daß im Augenblick eine plötzliche Beendigung unserer Erdenlaufbahn viel wahrscheinlicher war als eine unendliche Verlängerung, schlief ich endlich ein - wofür jeder, der diesen Bericht liest, falls dies überhaupt jemand tut, sicherlich überaus dankbar sein wird.

Als ich erwachte, dämmerte es gerade, und die Wächter und Träger, die sich zum Aufbruch rüsteten, huschten wie Geister in dem dichten morgendlichen Nebel hin und her. Das Feuer war niedergebrannt, und als ich mich erhob und streckte, ließ mich die feuchte Morgenkühle am ganzen Leib erzittern. Dann sah ich mich nach Leo um. Er saß aufrecht und stützte den Kopf in die Hände. Sein Gesicht war glutrot, seine Augen glänzten, und ihr Weiß war gelb verfärbt. »Nun, Leo«, sagte ich, »wie fühlst du dich?«

»Sterbenselend«, erwiderte er heiser. »Mein Kopf fühlt sich an, als wolle er zerspringen, und ich zittere am ganzen Körper.«

Ich pfiff durch die Zähne - Leo hatte hohes Fieber. Als ich zu Job ging, um Chinin zu holen, wovon wir zum Glück immer noch einen ziemlichen Vorrat hatten, mußte ich feststellen, daß es mit ihm nicht viel besser stand. Er klagte über Rückenschmerzen und Schwindel und konnte sich kaum rühren. Ich tat das einzige, was unter diesen Umständen möglich war: ich gab beiden eine ordentliche Portion Chinin und nahm ebenfalls zur Vorsicht eine etwas kleinere Dosis. Dann ging ich zu Billali, berichtete ihm von dem Zustand der beiden und fragte ihn nach seinem Rat. Er sah sich Leo und Job an, welchen er übrigens seines Wanstes, seines runden Gesichtes und seiner kleinen Augen wegen >Schwein< nannte.

»Ja«, sagte er, als wir außer Hörweite waren, »Fieber! Dachte ich's mir doch. Den Löwen hat es schwer gepackt, doch er ist jung und wird es überstehen. Beim Schwein ist es nicht so schlimm. Es hat nur das >leichte Fieber<; es beginnt immer mit Rückenschmerzen. Bei seinem Fett wird es ihm wohl nicht viel anhaben.«

»Können sie Weiterreisen, mein Vater?« fragte ich. »Sie müssen, mein Sohn. Wenn sie hierbleiben, werden sie bestimmt sterben; außerdem liegen sie in den Sänften besser als auf dem Boden. Wenn alles gut geht, werden wir heute abend den Sumpf hinter uns haben, und dann wird die Luft besser. Komm, legen wir sie in die Sänften und brechen wir auf, denn es ist sehr gefährlich, in diesem Morgennebel herumzustehen. Wir können unterwegs frühstücken.«

Schweren Herzens willigte ich ein, und wir setzten die Reise fort. Die ersten drei Stunden verlief alles gut, doch dann ereignete sich ein Unfall, durch den wir fast unseren ehrwürdigen Freund Billali verloren hätten, dessen Sänfte sich an der Spitze der Karawane befand. Wir passierten gerade einen besonders gefährlichen Teil des Sumpfes, wo die Träger bis zu den Knien in den Schlamm einsanken, und es war mir in der Tat ein Rätsel, wie sie es fertigbrachten, die Sänften über solch morastigen Boden zu tragen, obgleich die beiden Ersatzträger zusammen mit den anderen vier Trägern ihre Schultern unter die Tragestangen stemmten. Plötzlich, während wir so dahinschwankten, ertönte ein schriller Schrei, dem entsetzte Rufe folgten, und gleich darauf hörte man ein lautes Planschen. Die Karawane machte halt.