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Billali, dem übrigens sein unfreiwilliges Bad am Tag zuvor nicht geschadet hatte, nickte weise und erwiderte:

»Ganz recht, mein Sohn. Es ist ein Kanal, den die früheren Bewohner dieses Landes gegraben haben, um Wasser abzuleiten. Innerhalb des kreisrunden Berges, der unser Ziel ist, befand sich einst ein großer See. Die Menschen, die hier lebten, trieben mittels wunderbarer Künste, von denen ich nichts weiß, einen Abfluß durch die Felswand hindurch bis auf den Grund des Sees. Doch zuvor gruben sie diesen Kanal, den du dort siehst, durch die Ebene. Als dann das Wasser heraussprang, strömte es durch den Kanal bis zu dem flachen Land hinter dem Hügel, und auf diese Weise entstand wahrscheinlich der Sumpf, welchen wir durchquert haben. Als der See trockengelegt war, bauten sie auf seinem Grund eine mächtige Stadt, von der heute nur noch Ruinen und der Name Kor übrig sind, und nach und nach, im Laufe vieler Menschenalter, schlugen sie aus dem Felsen jene Höhlen und Gänge heraus, die du sehen wirst.«

»Mag sein«, erwiderte ich, »doch wenn es stimmt, wie kommt es dann, daß Regen und das Wasser der Quellen den See nicht wieder gefüllt haben?«

»Diese Leute waren klug, mein Sohn. Sie bauten, um ihn trockenzuhalten, einen Abfluß. Siehst du dort rechts den Fluß?« Er deutete auf einen recht ansehnlichen Strom, der sich in einigen Meilen Entfernung durch die Ebene wand. »Das ist der Abfluß; er kommt aus der gleichen Stelle der Bergwand, in die der Kanal mündet. Vielleicht floß zuerst das Wasser durch den Kanal ab, doch als es später durch den Graben floß, machten sie aus dem Kanal eine Landstraße.«

»Und es gibt keine andere Stelle, an der man in den Berg hinein kann?« fragte ich.

»Doch, eine gibt es noch, die Vieh und Menschen benützen können, doch sie ist sehr beschwerlich und wird geheimgehalten. Du würdest sie nicht finden, und wenn du ein Jahr danach suchtest. Sie wird nur einmal im Jahr benützt, wenn die Viehherden, die auf den Hängen des Berges und auf dieser Ebene gegrast haben, hineingetrieben werden.«

»Und >Sie< lebt immer dort drinnen?« fragte ich. »Oder verläßt sie zuweilen den Berg?«

»Nein, mein Sohn, wo sie ist, dort bleibt sie.« Inzwischen hatten wir die große Ebene erreicht, und ich betrachtete entzückt die Schönheit der mannigfachen halbtropischen Blumen und Bäume, von denen die letzteren meist einzeln oder höchstens zu dritt oder zu viert beisammenstanden. Die meisten waren sehr groß und stellten anscheinend eine Abart der immergrünen Eiche dar. Auch viele Palmen gab es, einige davon mehr als hundert Fuß hoch, sowie die größten und schönsten Baumfarne, die ich je gesehen habe, umschwärmt von buntschillernden Honigsaugern und großen Schmetterlingen. Zwischen den Bäumen im hohen Gras tummelte sich allerlei Wild. Ich sah ein Rhinozeros, eine große Büffelherde, Elenantilopen, Zebras, eine Rappenantilope sowie eine Unmenge Kleinwild und drei Strauße, die bei unserer Annäherung blitzschnell davonliefen. So zahlreich war das Wild, daß ich nicht länger widerstehen konnte. Da mein Expreßgewehr zu schwer war, hatte ich eine Martinibüchse bei mir in der Sänfte, und als ich eine schöne Elenantilope sah, die ihr Geweih an einem der eichenähnlichen Bäume wetzte, sprang ich heraus und schlich mich so nah wie möglich an sie heran. Als ich etwa achtzig Meter entfernt war, wandte sie den Kopf und starrte mich erschrocken an. Ich hob die Büchse, zielte, da sie mir ihre Seite zuwandte, auf ihre Schulter und feuerte. Während meiner ganzen bisherigen, freilich nicht sehr bedeutenden Jägerlaufbahn hatte ich noch nie einen so guten Schuß getan, denn die Antilope sprang hoch in die Luft und fiel tot zu Boden. Die Träger, die stehengeblieben waren, um mir zuzusehen, ließen ein erstauntes Murmeln hören - ein ungewöhnliches Kompliment von diesen mürrischen Leuten, die nie etwas zu überraschen schien -, und einige Männer rannten sofort los, die Antilope auszuweiden. Obwohl ich mir das Tier gern angese-hen hätte, schlenderte ich gleichgültig, als hätte ich in meinem Leben nie etwas anderes getan als Elenantilopen erlegt, zu meiner Sänfte zurück. Ich merkte, daß die Achtung der Amahagger für mich um einige Grad gestiegen war, denn sie betrachteten das Ganze als einen Beweis dafür, daß ich über mächtige Zauberkraft verfügte. In Wirklichkeit hatte ich noch niemals eine Elenantilope in freier Natur gesehen. Billali empfing mich voll Begeisterung.

»Prächtig, mein Pavian!« rief er. »Ganz prächtig! Trotz deiner Häßlichkeit bist du ein großer Mann. Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, so würde ich es nicht glauben. Und du willst mich wirklich die Kunst, auf diese Weise zu töten, lehren?«

»Gewiß«, prahlte ich, »das ist kinderleicht.«

Insgeheim nahm ich mir jedoch fest vor, mich, wenn >mein Vater< Billali zum erstenmal schoß, zu Boden zu werfen oder hinter einem Baum Schutz zu suchen.

Nach diesem kleinen Zwischenfall geschah nichts Besonderes, bis wir etwa eineinhalb Stunden vor Sonnenuntergang den Schatten des gewaltigen vulkanischen Berges erreichten. Es ist mir ganz unmöglich zu schildern, wie tief mich seine grimmige Erhabenheit beeindruckte, während meine unermüdlichen Träger durch den alten Kanal der Stelle zustrebten, wo die dunkelbraunen Felsen von Gipfel zu Gipfel immer höher emporragten, bis sie sich hoch oben in den Wolken verloren. Ich kann nur sagen, daß ihre einsame und erhabene Größe mich beinahe mit Ehrfurcht erfüllte. Immer höher stiegen wir den sonnigen Abhang hinauf, bis schließlich die von oben hereinbrechenden Schatten seinen Glanz verhüllten, und plötzlich bogen wir in einen in den Fels gehauenen Weg ein. Tiefer und tiefer führte dieses wunderbare Bauwerk, an dem Tausende von Menschen viele Jahre lang gearbeitet haben müssen. Wie es ohne die Hilfe von Sprengpulver und Dynamit überhaupt geschaffen werden konnte, ist mir bis zum heutigen Tage ein Rätsel. Es wird wohl immer eines der Rätsel dieses wilden Landes bleiben. Ich kann nur vermuten, daß diese Gänge und riesigen Höhlen, die aus den Felsen herausgeschlagen wurden, staatliche Unternehmungen jenes uralten Volkes von Kor gewesen sind, das in dunkler Vorzeit hier lebte, und daß sie -wie die ägyptischen Baudenkmäler - im Laufe vieler Jahrhunderte durch den Frondienst vieler Tausender Gefangener und Sklaven geschaffen wurden. Doch was für ein Volk war dies?

Endlich erreichten wir den Felsen selbst und standen vor dem Eingang eines finsteren Tunnels, der mich stark an die Eisenbahntunnel erinnerte, die unsere Ingenieure im neunzehnten Jahrhundert bauten. Diesem Tunnel entfloß ein ansehnlicher Wasserstrom. Es war derselbe, der sich schließlich zu dem von mir bereits geschilderten Fluß entwickelte, und wir waren ihm schon von der Stelle an gefolgt, wo der Einschnitt in den Felsen begann. Die eine Hälfte dieses Einschnitts bildete nämlich einen Kanal für den Strom, und die andere, welche ungefähr acht Fuß höher lag, diente als Straße. Vor dem Eingang der Höhle hielt unsere Karawane an, und die Träger entzündeten einige irdene Lampen, die sie mit sich führten. Billali stieg aus seiner Sänfte und teilte mir höflich, doch bestimmt mit, daß >Sie< befohlen habe, uns nun die Augen zu verbinden, damit wir nicht die geheimen, durch das Innere des Berges führenden Wege kennenlernten. Ich fügte mich bereitwillig, doch Job, der sich inzwischen trotz der strapaziösen Reise recht gut erholt hatte, war gar nicht damit einverstanden; offenbar fürchtete er, man wolle ihn wieder bei lebendigem Leibe braten. Er beruhigte sich jedoch ein wenig, als ich ihm sagte, daß es hier weder Töpfe noch Feuer, auf denen man sie erhitzen konnte, gäbe. Der arme Leo war, nachdem er sich stundenlang ruhelos herumgewälzt hatte, Gott sei Dank endlich in Schlaf oder in eine Art Betäubung versunken, und so brauchte man ihm nicht die Augen zu verbinden. Bei uns tat man dies, indem man uns ein Stück von dem gelblichen Leinen, aus dem die Gewänder der Ama-hagger, soweit sie welche trugen, bestanden, um die Augen legte. Ich stellte später fest, daß sie dieses Leinen nicht selbst herstellten, sondern den Gräbern entnahmen. Das Tuch wurde am Hinterkopf zusammengeknotet und dann, damit es nicht verrutschte, unter dem Kinn verschlungen. Auch Ustane verband man die Augen - wahrscheinlich weil man fürchtete, sie könnte uns die geheimen Wege verraten.