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Danach zogen wir weiter, und schon bald erkannte ich am Echo der Schritte und am lauter werdenden Rauschen des Wassers, daß wir uns tief im Innern des Berges befanden. Es war ein unheimliches Gefühl, mitten in das Herz dieses unbekannten Felsens hineingetragen zu werden, doch Unheimliches waren wir indessen schon gewohnt und deshalb auf so ziemlich alles gefaßt. Ich lag also still, lauschte dem Trappeln der Träger und dem Rauschen des Wassers und versuchte mir einzubilden, daß das Ganze recht lustig sei. Plötzlich stimmten die Männer wieder jenen melancholischen Gesang an, den ich schon in der ersten Nacht, als sie uns in unserem Walboot gefangennahmen, gehört hatte, doch diesmal klangen ihre Stimmen ganz merkwürdig. Nach einer Weile wurde die Luft so dick, daß mich ein Gefühl befiel, als müßte ich ersticken, und schließlich wurde die Sänfte um eine Biegung herumgetragen und dann um eine zweite und dritte, und das Rauschen des Wassers verstummte. Nun war die Luft wieder frischer, doch es kamen immer neue Biegungen, die mich mit meinen verbundenen Augen sehr verwirrten. Ich versuchte sie mir für den Fall, daß wir einen Fluchtversuch unternahmen, zu merken, doch gelang mir dies natürlich nicht. Nach etwa einer halben Stunde merkte ich, daß wir uns wieder im Freien befanden. Durch meine Augenbinde fiel Licht, und ich spürte einen kühlen Lufthauch auf meinem Gesicht. Nach wenigen Minuten machte die Karawane halt, und ich hörte, wie Billali Ustane befahl, ihre Binde und sodann die unseren abzunehmen. Ich wartete jedoch nicht auf sie, sondern nahm sie selbst ab und sah mich um.

Wie ich vermutet hatte, waren wir mitten durch den Felsen marschiert und befanden uns jetzt auf seiner anderen Seite. Sofort bemerkte ich, daß er hier etwa fünfhundert Fuß niedriger war - das hieß, daß der Grund des Sees oder besser des alten vulkanischen Kraters, in dem wir standen, hoch über der umgebenden Ebene lag. Wir befanden uns in einem riesigen, von Felsen umsäumten Becher, ähnlich dem Plateau, auf dem Billalis Siedlung lag, nur zehnmal größer. Die düsteren Umrisse der gegenüberliegenden Felsen waren kaum zu erkennen. Ein großer Teil der auf diese natürliche Weise umhegten Ebene war bebaut und von Steinmauern umgeben, damit die zahlreichen Rinder- und Ziegenherden nicht in die Gärten eindringen konnten. Da und dort erhoben sich große grasbewachsenen Hügel, und in einigen Meilen Entfernung zur Mitte hin glaubte ich die Umrisse riesiger Ruinen zu erkennen. Mir blieb im Moment jedoch keine Zeit, weitere Beobachtungen anzustellen, da uns sogleich Scharen von Amahaggern umringten, die sich, ebenso schweigsam wie die uns bereits bekannten, dicht an uns herandrängten, um einen Blick in unsere Sänften zu werfen. Dann lief plötzlich eine große Abteilung bewaffneter Männer auf uns zu, angeführt von Offizieren mit Elfenbeinstäben in den Händen. Sie strömten wie Ameisen aus einer Felsenhöhle hervor und trugen außer den üblichen Leopardenfellen Gewänder. Mir war sofort klar, daß dies die Leibwache der Herrscherin >Sie< sein mußte.

Ihr Anführer trat zu Billali, salutierte, indem er seinen Elfenbeinstab quer über die Stirne legte, und stellte ihm einige Fragen, die ich nicht verstehen konnte. Nachdem Billali sie beantwortet hatte, machte das ganze Regiment kehrt und marschierte, von unserer Karawane gefolgt, die Felswand entlang. Nach etwa einer halben Meile machten wir vor dem Eingang einer riesigen, etwa sechzig Fuß hohen und zwanzig Fuß breiten Höhle halt. Billali stieg aus und forderte Job und mich auf, das gleiche zu tun. Leo war natürlich zu krank, um seine Sänfte zu verlassen. Ich folgte Billali, und wir traten in die große Höhle, die ein Stück weit noch vom Schein der untergehenden Sonne und dahinter von einer endlos scheinenden Reihe Lampen erhellt wurde. Als erstes bemerkte ich, daß die Wände mit Skulpturen in Basrelief be-deckt waren, welche zum größten Teil jenen ähnelten, die ich bereits auf den Vasen gesehen hatte: Liebess-zenen, Jagdstücke, Darstellungen von Hinrichtungen und der Folterung von Verbrechern, denen man glühende Töpfe über den Kopf stülpte. Daher stammte also dieser schöne Brauch unserer Gastgeber! Schlachtenbilder gab es nur wenige, dafür zahlreiche Darstellungen von Zweikämpfen und laufenden und ringenden Männern, woraus ich schloß, daß dieses Volk - sei es wegen der isolierten Lage seines Landes oder wegen seiner Stärke - nicht oft von äußeren Feinden angegriffen worden war. Zwischen den Bildern befanden sich lange Inschriften in mir gänzlich unbekannten Zeichen; sie waren auf keinen Fall griechisch oder ägyptisch, hebräisch oder assyrisch, sondern sahen noch am ehesten wie chinesische Schriftzeichen aus. In der Nähe des Eingangs waren sowohl Bilder wie Inschriften schon stark verwittert und undeutlich, tiefer im Inneren der Höhle jedoch so frisch und klar wie an dem Tag, da sie geschaffen worden waren.

Die Garde begleitete uns nur bis zum Eingang der Höhle. Dort stellte sie sich in Reih und Glied auf und ließ uns hindurch. Als wir eintraten, kam uns ein weißgekleideter Mann entgegen, der sich demütig verneigte, jedoch kein Wort sprach, was aber nicht verwunderlich war, denn er war, wie sich später herausstellte, taubstumm.

Nach etwa zwanzig Fuß zweigten im rechten Winkel von der großen Höhle zwei breite, in den Fels gehauene Gänge ab. Vor dem linken standen Wächter, woraus ich schloß, daß er zu den Gemächern der Königin führte. Der rechte Gang war unbewacht, und der Stumme bedeutete uns, in ihn hineinzugehen. Nach einigen Schritten stießen wir auf eine Kammer, vor deren Eingang eine aus Gras geflochtene Matte hing. Der Stumme schlug sie mit einer neuerlichen tiefen Verbeugung zurück und führte uns in ein ziemlich großes Gemach, das gleichfalls aus dem Felsen herausgeschlagen war und zu meiner großen Freude durch einen in die Decke gebohrten Schacht Licht erhielt. Ausgestattet war der Raum mit einer steinernen Bettstatt, mehreren Krügen mit Wasser zum Waschen und einigen schön gefärbten Leopardenfellen zum Zudecken.

Hier ließen wir den immer noch tief schlafenden Leo zurück, und Ustane blieb bei ihm. Ich bemerkte, daß der Stumme sie mit einem scharfen Blick ansah, als wollte er sagen: »Wer bist du, und wer hat dir befohlen, hierherzukommen?« Sodann führte er uns in einen anderen, ähnlichen Raum, den Job nahm, und darauf zu zwei weiteren, in denen Billali und ich uns niederließen.

12

>Sie<

Nachdem wir Leo versorgt hatten, war es Jobs und meine erste Sorge, uns zu waschen und unsere Kleider zu wechseln, denn seit dem Untergang der Dhau hatten wir keine Gelegenheit gehabt, uns umzuziehen. Zum Glück war, wie ich wohl erwähnte, der größte Teile unserer persönlichen Sachen in dem Walboot verstaut und deshalb gerettet und von den Trägern hierhergebracht worden, während sämtliche als Tauschobjekte und Geschenke für die Eingeborenen vorgesehenen Dinge verlorengegangen waren. Fast unsere ganze Kleidung bestand aus sehr festem grauen Flanell, der sich für Reisen in jenen Gegenden ausgezeichnet eignete. Obwohl nämlich Jackett, Hemd und Hose aus diesem Stoff nur etwa vier Pfund wogen - in tropischen Ländern, wo man jede zusätzliche Unze spürt, ein sehr wesentlicher Umstand -, schützte er sehr gut vor den Sonnenstrahlen, doch auch vor der Kälte, die bei plötzlichen Temperaturwechseln eintreten kann.

Nie werde ich das angenehme Gefühl vergessen, das mich erfüllte, nachdem ich mich gewaschen und die reinen Flanellkleider angezogen hatte. Das einzige, was zu meiner vollen Zufriedenheit fehlte, war ein Stück Seife, das wir leider nicht besaßen.

Später fand ich heraus, daß die Amahagger, zu deren vielen unsympathischen Eigenschaften wenigstens nicht Unreinlichkeit gehört, zum Waschen eine Art gebrannter Erde benützten, die anfangs zwar ziemlich unangenehm für die Haut ist, doch einen recht guten Seifenersatz darstellt.