Als ich mich angekleidet und meinen schwarzen Bart gekämmt und gestutzt hatte, dessen ungepflegter Zustand Billali nicht ganz zu Unrecht veranlaßt hatte, mich >Pavian< zu nennen, verspürte ich einen wahren Heißhunger. Ich war deshalb nicht böse, als ohne jedes vorherige Geräusch der Vorhang vor dem Eingang meiner Kammer zurückgeschlagen wurde und lautlos ein junges Mädchen eintrat, das mir durch eine nicht mißzuverstehende Gebärde - sie öffnete den Mund und deutete mit dem Finger darauf -, kundtat, daß etwas zum Essen bereit sei. Ich folgte ihr in die nächste Kammer, die ich noch nicht betreten hatte, und fand dort Job vor, welcher ebenfalls - zu seiner großen Verlegenheit - von einer schönen Stummen dorthin geführt worden war. Job hatte die Gunstbeweise der anderen Amahaggerdame nicht vergessen und verdächtigte nun jedes Mädchen, das ihm nahe kam, ähnlicher Absichten.
»Einfach unverschämt, wie diese Weiber einen anglotzen«, sagte er zu seiner Entschuldigung.
Diese Kammer war etwa zweimal so groß wie unsere Schlafräume, und ich erkannte auf den ersten Blick, daß sie früher einmal als Speisezimmer und vermutlich auch als Einbalsamierungsraum für die Totenpriester gedient hatte. Ich möchte gleich hier erwähnen, daß diese in den Fels geschlagenen Höhlen nichts anderes als riesige Katakomben darstellten, in denen man viele Jahrhunderte lang die sterblichen Überreste der Angehörigen jenes großen ausgestorbenen Volkes, dessen Denkmäler uns umgaben, mit unvorstellbarer Kunstfertigkeit konserviert und sodann für alle Zeiten beigesetzt hatte. Auf jeder Seite dieser Felsenkammer stand ein langer, etwa drei Fuß breiter und sechs Fuß hoher Tisch, der aus dem Fels herausgemeißelt und am Boden noch mit ihm verbunden war. Diese Tische waren leicht ausgehöhlt oder nach innen gebogen und boten so Platz für die Knie der Personen, welche auf zwei Fuß davon entfernten, sich die Höhlenwand entlangziehenden Bank saßen. Außerdem befand sich über jedem Tisch ein Schacht, durch den Licht und Luft eindrangen. Als ich die Tische näher untersuchte, bemerkte ich jedoch einen Unterschied zwischen ihnen, der mir zuerst entgangen war: der links vom Eingang stehende hatte offenbar nicht zum Essen, sondern zum Einbalsamieren gedient. Man sah dies ganz deutlich an den fünf flachen Vertiefungen in seiner Oberfläche, die wie menschliche Körper geformt waren, sowie an den kleinen runden Vertiefungen jeweils an ihrem einen Ende, die zweifellos für den Kopf bestimmt gewesen waren. Die Vertiefungen waren von verschiedener Größe, von der eines Erwachsenen bis zu der eines Kindes, und sie hatten in Abständen kleine Löcher, durch welche Flüssigkeiten ablaufen konnten. Zur Bestätigung meiner Vermutung genügte übrigens ein Blick auf die Wand der Höhle. Sie war mit überaus gut erhaltenen Skulpturen bedeckt, die den Tod, die Einbalsamierung und die Bestattung eines alten langbärtigen Mannes darstellten, wahrscheinlich eines einstigen Königs oder anderen Großen dieses Landes.
Das erste Bild zeigte den Sterbenden. Er ruhte auf einem Lager, dessen vier kurze, geschwungene, in einen Knauf auslaufende Füße Musiknoten ähnelten, und hauchte offenbar soeben seinen Geist aus. Um das Lager waren weinende Frauen und Kinder versammelt; ersteren fiel das Haar lose auf den Rücken. Auf dem nächsten Bild war die Einbalsamierung des Toten dargestellt, der nackt auf einem Tisch lag, welcher die gleichen Vertiefungen hatte wie jener vor uns; vielleicht war es sogar die Abbildung dieses Tisches. Drei Männer waren an der Arbeit - einer beaufsichtigte die Prozedur, ein zweiter hielt eine Art Trichter in der Hand, dessen Spitze in einem Einschnitt in der Brust - wahrscheinlich in der großen Brustschlagader - steckte, und der dritte, welcher mit gespreizten Beinen über der Leiche stand, goß aus einem großen Krug eine dampfende Flüssigkeit in den Trichter. Das Seltsamste an dieser Skulptur war, daß der Mann mit dem Trichter und der Mann mit dem Krug sich die Nasen zuhielten - vermutlich, um nicht den von der Leiche ausströmenden Gestank oder die aromatischen Dämpfe der heißen Flüssigkeit, die sie in die Adern des Toten füllten, einzuatmen. Ein weiterer Umstand, für den ich keine Erklärung weiß, war, daß alle drei Männer ihr Gesicht mit einem Leinentuch verhüllt hatten, in dem sich Öffnungen für die Augen befanden.
Die dritte Skulptur zeigte die Bestattung. Der Tote lag steif und kalt, in ein leinenes Gewand gekleidet, auf einer Steinplatte, die jener ähnelte, auf der ich während unseres ersten Aufenthalts geschlafen hatte.
Zu seinem Haupt und seinen Füßen brannten Lampen, und neben ihm standen mehrere der von mir bereits erwähnten schön bemalten Krüge, die vielleicht Speisen und Getränke enthielten. In der kleinen Kammer drängten sich Leidtragende und Musiker, die auf einem lyraartigen Instrument spiel-ten, und zu Füßen des Toten stand ein Mann, der sich soeben anschickte, ein Tuch über die Leiche zu breiten.
Diese Skulpturen waren, allein als Kunstwerk betrachtet, so bemerkenswert, daß ich eine derart ausführliche Beschreibung durchaus berechtigt finde. Doch davon abgesehen erschienen sie mir auch deshalb überaus interessant, weil sie anscheinend mit größter Genauigkeit die Totengebräuche eines gänzlich verschollenen Volkes darstellten, und ich konnte selbst in diesem Augenblick nicht umhin, daran zu denken, wie neidisch einige mir befreundete Altertumsforscher in Cambridge auf mich sein würden, wenn es mir beschieden sein sollte, ihnen von diesen wunderbaren Funden zu berichten.
Doch zurück zu unserer Geschichte. Nachdem ich diese Skulpturen, die übrigens, wie ich wohl noch nicht erwähnt habe, in Relief ausgeführt waren, eilends betrachtet hatte, setzten wir uns zu einem ausgezeichneten, aus gekochtem Ziegenfleisch, frischer Milch und Mehlkuchen bestehenden Mahl nieder, welches uns auf sauberen Holztellern serviert wurde.
Nachdem wir gegessen hatten, begaben wir uns zu Leo, um nach seinem Befinden zu sehen, während Billali sagte, er müsse jetzt der Herrscherin >Sie< seine Aufwartung machen und ihre Befehle entgegennehmen. Leo ging es sehr schlecht. Er war aus seiner Betäubung erwacht, phantasierte von einem Bootsrennen auf dem Cam und schlug wild um sich. Als wir in seine Kammer traten, beugte sich Ustane eben über ihn, um ihn festzuhalten. Ich sprach auf ihn ein, und meine Stimme schien ihn zu besänftigen; jedenfalls wurde er ruhiger und ließ sich dazu überreden, eine Dosis Chinin zu nehmen.
Ich mag etwa eine Stunde bei ihm gesessen haben -es wurde inzwischen so dunkel, daß ich auf dem aus einem Sack und einer Decke improvisierten Kissen kaum noch seinen Kopf und seine goldenen Locken erkennen konnte -, als plötzlich mit feierlicher Miene Billali eintrat und mir mitteilte, daß >Sie< den Wunsch auszusprechen geruht habe, mich kennenzulernen -eine Ehre, die, so fügte er hinzu, nur wenigen zuteil werde.
Er schien ziemlich bestürzt über die Gelassenheit, mit der ich diese Ehre hinnahm, doch ich fand es nicht im mindesten verlockend, Bekanntschaft mit einer wilden, dunkelhäutigen Königin zu schließen, so mächtig und geheimnisvoll sie auch sein mochte, zumal ich mir große Sorgen um den lieben Leo machte. Als ich trotzdem aufstand, um ihm zu folgen, fiel mein Blick auf etwas Glänzendes, das am Boden lag, und ich hob es auf. Der Leser wird sich vielleicht entsinnen, daß in dem Kästchen außer der Tonscherbe auch ein Skarabäus lag, der mit sonderbaren Hieroglyphen bedeckt war, und daß diese Zeichen >Suten se Ra< oder >Königlicher Sohn der Sonne< bedeuteten.
Diesen Skarabäus, der sehr klein war, hatte sich Leo in London in einen goldenen Siegelring fassen lassen; und dieser Ring war es, den ich jetzt vom Boden aufhob. Leo hatte ihn sich vermutlich in einem Fieberanfall vom Finger gerissen und fortgeworfen. Damit er nicht verlorenging, steckte ich ihn an meinen kleinen Finger und folgte dann Billali, während Job und Ustane bei Leo blieben.