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»Die Perser sind schon seit fast zweitausend Jahren aus Ägypten verschwunden, und nach ihnen haben die Ptolemäer, die Römer und viele andere das Land am Nil beherrscht und sind gestürzt, wenn ihre Zeit reif war«, sagte ich zutiefst erstaunt. »Wie kannst du von dem Perser Artaxerxes wissen?«

Sie lachte, ohne mir zu antworten, und wieder überlief mich ein Schauder. »Und Griechenland?« fragte sie. »Gibt es noch ein Griechenland? Ach, die Griechen habe ich geliebt. Sie waren schön wie der Tag und klug, doch dabei tief im Innern wild und launenhaft.«

»Ja«, sagte ich, »ein Griechenland gibt es, und die Griechen sind auch wieder ein Volk. Doch die Grie-

chen von heute sind nicht mehr die gleichen wie einst, und auch Griechenland ist nur ein Schatten dessen, was es gewesen ist.«

»So! Und die Hebräer? Sind sie noch in Jerusalem? Und steht der Tempel noch, den ihr weiser König baute, und wenn ja, welchen Gott beten sie heute darin an? Ist ihr Messias gekommen, dessen Ankunft sie so laut verkündeten, und regiert er die Welt?«

»Die Juden sind zerfallen und untergegangen, die Reste ihres Volkes über die ganze Welt verstreut, und Jerusalem ist nicht mehr. Der Tempel, den Herodes baute ... «

»Herodes?« sagte sie. »Ich kenne keinen Herodes. Doch sprich weiter.«

»Die Römer brannten ihn nieder, und die römischen Adler flatterten über seiner Ruine, und Judäa ist heute eine Wüste.«

»So, so! Sie waren ein großes Volk, diese Römer, und sie gingen unbeirrt auf ihr Ziel zu - ja sie stürzten sich darauf wie ihre Adler auf die Beute - und nach ihnen kam der Frieden.«

»Solitudinem faciunt, pacem appellant«, warf ich ein.

»Oh, Lateinisch sprichst du auch!« sagte sie. »Es klingt seltsam in meinen Ohren nach all der Zeit, und ich glaube, du sprichst es anders aus als die Römer. Von wem stammt dieser Satz? Ich kenne ihn nicht, doch er paßt ausgezeichnet zu diesem großen Volk. Mir scheint, du bist ein Gelehrter - einer von denen, die das Wasser des Wissens in den Händen halten. Sprichst du auch Griechisch?«

»Ja, o Königin, und auch ein wenig Hebräisch, doch nicht gut. Das alles sind heute tote Sprachen.«

Sie klatschte voll kindlicher Freude in die Hände.

»Wahrhaftig, ein so häßlicher Baum du bist - auf dir wachsen die Früchte der Weisheit, o Holly«, sagte sie. »Doch erzähle mir noch von den Juden, welche ich haßte, denn sie nannten mich eine >Heidin<, als ich sie meine Philosophie lehren wollte. Ist ihr Messias gekommen und regiert er die Welt?«

»Ihr Messias kam«, erwiderte ich ehrfürchtig, »doch er kam arm und niedrig, und sie wollten nichts von ihm wissen. Sie geißelten ihn und schlugen ihn ans Kreuz, doch seine Worte und Werke leben fort, denn er war Gottes Sohn, und heute regiert er die halbe Welt, obwohl sein Reich nicht von dieser Welt ist.«

»Oh, diese bösen Wölfe«, sagte sie. »Anbeter der Sinnenlust und vieler Götter - gierig nach Gewinn und zerrissen von Zwietracht. Ich sehe ihre dunklen Gesichter noch vor mir. Gekreuzigt haben sie also ihren Messias? Das sieht ihnen ähnlich. Daß er ein Sohn des Lebendigen Geistes war, bedeutete ihnen nichts -falls er es wirklich war, doch darüber wollen wir später reden. Aus einem Gott, der nicht mit Macht und Prunk zu ihnen kommt, machen sie sich nichts. Als auserwähltes Volk Jehovas betrachten sie sich und beten zu Baal, zu Astarte, zu den Göttern der Ägypter - ein hochmütiges Volk, gierig nach allem, was ihnen Macht und Reichtum brachte. So haben sie also ihren Messias gekreuzigt, weil er in schlichter Gestalt kam - und heute sind sie verstreut über die ganze Welt? Soviel ich mich entsinne, hat dies bereits einer unserer Propheten vorhergesagt. Doch sprechen wir nicht mehr von ihnen - sie haben mein Herz gebrochen, diese Juden, sie sind schuld, daß ich mit bösen Augen diese Welt betrachte. Sie trieben mich in diese Wildnis, in diesen Schlupfwinkel eines Volkes, das vor ihnen war. Als ich sie in Jerusalem Weisheit lehren wollte, steinigten sie mich vor dem Tor des Tempels - ja, diese weißbärtigen Heuchler und Rabbis hetzten das Volk auf, mich zu steinigen! Siehe, dieses Mal trage ich noch heute!« Und sie streifte mit einer plötzlichen Bewegung das dünne Gewand von ihrem rechten Arm und deutete auf eine kleine Narbe, welche sich rot von dem makellosen Weiß abhob.

Ich zuckte bestürzt zurück.

»Verzeih, o Königin«, sagte ich, »ich bin verwirrt. An die zweitausend Jahre sind vergangen, seit der jüdische Messias an seinem Kreuz zu Golgatha hing. Wie kannst du die Juden, bevor er kam, deine Philosophie gelehrt haben? Du bist doch eine Frau und kein Geist. Wie kann eine Frau zweitausend Jahre leben? Ich glaube fast, du hältst mich zum Narren, o Königin.«

Sie lehnte sich auf dem Ruhebett zurück, und ich spürte wieder, wie ihre verhüllten Augen mich musterten und mein Herz erforschten.

»O Mann«, sagte sie schließlich langsam und nachdenklich, »mir scheint, es gibt noch Dinge auf Erden, von denen du nichts weißt. Glaubst du etwa immer noch, daß alles sterblich ist - wie es die Juden glaubten? Ich sage dir, nichts stirbt. Es gibt keinen Tod, sondern nur Wandlung. Siehe« - sie deutete auf einige Skulpturen an der Felswand -, »dreimal zweitausend Jahre sind vergangen, seit die letzten des großen Volkes, das diese Bilder schuf, dem giftigen Hauch der Pest erlagen, die sie zerstörte, doch tot sind sie nicht. Sie leben heute noch, und vielleicht sind ihre Geister in dieser Stunde bei uns.« Sie blickte um sich.

»Manchmal scheint es mir, als könnten meine Augen sie sehen.«

»Ja, aber für die Welt sind sie tot.«

»Gewiß, für eine Weile; doch auch für die Welt werden sie immer wieder neugeboren. Ich, ja, ich, Ayesha - denn so, Fremdling, heiße ich - sage dir: ich warte hier auf die Wiedergeburt eines Mannes, den ich einst liebte, ich harre hier aus, bis er mich findet, denn ich weiß ganz sicher, hierher wird er kommen, hier und nur hier wird er mich begrüßen. Warum, glaubst du, daß ich, die ich allmächtig bin, die ich schöner bin als die vielbesungene griechische Helena, deren Wissen größer, ja weit größer und tiefer ist als das Wissen des weisen Salomon - ich, die ich die Rätsel der Erde und alle ihre Schätze kenne und Macht über alle Dinge habe -, ich, die ich sogar für eine Weile die Wandlung, die ihr Tod nennt, überwunden habe - warum, o Fremdling, glaubst du, daß ich hier unter Barbaren hause, welche tiefer stehen als wilde Tiere?«

»Ich weiß es nicht«, sagte ich demütig.

»Weil ich auf den warte, den ich liebe. Mag sein, daß ich ein sündhaftes Leben geführt habe - ich weiß es nicht, denn wer vermag zu sagen, was gut ist und was böse? Deshalb fürchte ich mich zu sterben, wenn ich sterben könnte - doch ich kann es nicht, bevor meine Stunde kommt, zu gehen und ihn zu suchen; denn zwischen uns, so fürchte ich, könnte sich ein Wall erheben, den zu übersteigen mir nicht möglich wäre. Auch könnte ich leicht den Weg verlieren, wenn ich ihn in jenen ungeheuren Sphären suchte, in denen ewig die Planeten ihre Bahn ziehen. Doch der Tag wird kommen, vielleicht erst, wenn fünftausend weitere Jahre dahingegangen sind, vielleicht schon morgen - der Tag, an dem er, mein Geliebter, wiedergeboren wird, und dann wird er mich, einem Gesetze folgend, das stärker ist als jeder menschliche Plan, hier finden, wo er einst mich kannte, und ich bin sicher, er wird mir, obgleich ich gegen ihn gesündigt, sein Herz wieder schenken; ja selbst wenn er mich nicht mehr kennen sollte, wird er mich lieben, und sei es nur um meiner Schönheit willen.«

Ich war zutiefst verwirrt und wußte keine Antwort. Das Ganze ging über meinen Verstand.

»Selbst wenn es so ist, o Königin«, sagte ich schließlich, »selbst wenn wir Menschen immer wieder neugeboren werden, so trifft es doch nicht auf dich zu, wenn du die Wahrheit sprichst.« Sie blickte plötzlich auf, und wieder traf mich der Blitz ihrer verhüllten Augen. »Du bist«, fügte ich rasch hinzu, »nie gestorben, wie du sagst?«