»Wie du willst, Ayesha«, sagte ich. »Ich fürchte deine Schönheit nicht. Eitle Frauenschönheit, die vergeht wie eine Blume, kann mich nicht verwirren.«
»Du irrst«, sagte sie, »sie vergeht nicht. Meine Schönheit bleibt, solange ich bin. Doch du sollst deinen Willen haben, vorwitziger Mann. Tadle mich aber nicht, wenn Leidenschaft deine Vernunft besiegt. Ein Mann, der meine Schönheit einmal nur gesehen, kann sie nie vergessen; deshalb verhülle ich mich sogar vor diesen Wilden, damit sie mich verschonen und ich sie nicht töten muß. Nun sag, willst du mich sehen?«
»Ich will«, erwiderte ich, von Neugier überwältigt. Da hob sie ihre weißen runden Arme - noch nie hatte ich solche Arme gesehen - und löste langsam, ganz langsam ein Band unter ihrem Haar. Dann fiel plötzlich der lange leichentuchähnliche Schleier zu Boden, und mein Blick wanderte an ihr empor, die jetzt nur noch ein weißes enganliegendes Gewand trug, das ihre makellose königliche Gestalt noch mehr hervorhob, eine Gestalt, beseelt von einem Leben, das mehr als Leben war, und erfüllt von einer schlangenhaften Anmut, die mehr als menschlich war. An ihren kleinen Füßen trug sie Sandalen, befestigt mit goldenen Knöpfen. Dann kamen ihre Knöchel, vollkommener, als sie je ein Bildhauer erträumte. Um die Taille war ihr Kleid von einer doppelköpfigen Schlange aus purem Gold umgürtet, und darüber schwoll ihre Gestalt in Linien an, die ebenso rein wie lieblich waren, bis das Kleid auf dem schneeigen Silber ihrer Brust endete, über der sie ihre Arme verschränkte. Mein Blick wanderte nun empor zu ihrem Gesicht, und ich zuckte - ich übertreibe nicht - wie geblendet zurück. Ich hatte von der Schönheit himmlischer Wesen gehört - nun sah ich sie; doch diese Schönheit war trotz all ihrer unsagbaren Lieblichkeit und Reinheit dämonisch - zumindest erschien sie mir in jenem Augenblick so. Wie soll ich sie schildern? Ich kann es nicht -kann es ganz einfach nicht! Den Mann, der das, was ich sah, auch nur annähernd beschreiben könnte, gibt es nicht. Ich könnte reden von den großen schillernden tiefschwarzen Augen, von ihrer zarten Haut, von ihrer breiten, edlen Stirn, von ihren holden, ebenmäßigen Zügen. Doch so schön, so ungemein schön dies alles war, ihre Schönheit lag nicht darin. Sie lag in einer erhabenen Majestät, einer königlichen Anmut, in einem göttlichen Ausdruck der Macht, der dieses strahlende Antlitz wie ein Glorienschein umgab. Ich hatte nie auch nur geahnt, wie erhaben Schönheit sein kann - und dennoch war es eine düstere Erhabenheit, eine Schönheit, die bei all ihrer Pracht keine himmlische war. Obgleich das Gesicht vor mir das einer jungen Frau von höchstens dreißig Jahren von vollkommener Gesundheit war, vom Schmelz gereifter Schönheit überhaucht, trug es doch einen Ausdruck unaussprechlicher Erfahrung und tiefster Vertrautheit mit Leidenschaft und Leid. Auch nicht das liebreizende Lächeln, das um die Grübchen ihres Mundes spielte, konnte diesen Schatten von Sünde und Sorge verbergen. Er verdüsterte sogar das Strahlen ihrer Augen und die Majestät ihrer Züge und schien zu sagen: >Siehe, mich, die ich schöner bin als jedes andere Weib, und unsterblich und halb göttlich, verfolgt die Erinnerung durch alle Zeiten, hält die Leidenschaft gefangen - gesündigt habe ich, und Leid erfüllt mich seit undenklichen Zeiten, und ich werde hinfort sündigen und leiden, bis meine Erlösung kommt.<
Angezogen von einer magnetischen Kraft, der ich nicht widerstehen konnte, blickte ich in ihre schimmernden Augen und spürte, wie ein Strom von ihnen in mich floß, der mich verwirrte und betäubte.
Sie lachte - ach, wie wohlklingend! - und nickte mir mit einer Koketterie zu, die einer Venus Victrix alle Ehre gemacht hätte.
»Vorwitziger!« sagte sie, »wie Aktäon hattest du nun deinen Willen; gib acht, daß du nicht gleich
Aktäon elend zugrunde gehst, zerfetzt von den Hunden deiner Leidenschaft. Auch ich, o Holly, bin eine jungfräuliche Königin, die keinem Manne gehören wird, bis auf einen, und der bist du nicht. Hast du nun genug gesehen?«
»Ich sah die Schönheit, und ich bin geblendet«, sagte ich heiser und hob die Hand, um meine Augen zu bedecken.
»Ich habe dich gewarnt! Schönheit gleicht dem Blitz, sie ist lieblich, doch sie zerstört - vor allem Bäume, o Holly!« - und wieder nickte sie und lachte.
Plötzlich verstummte sie, und ich sah durch meine Finger, wie ihr Gesicht sich schrecklich veränderte. Ihr großen Augen nahmen einen starren Ausdruck an, in dem Entsetzen mit einer aus den Tiefen ihrer dunklen Seele aufsteigenden wahnwitzigen Hoffnung zu kämpfen schien. Das liebliche Antlitz wurde starr, und ihre anmutige, geschmeidige Gestalt richtete sich auf.
»Mann!« sagte sie halb flüsternd, halb zischend und warf den Kopf zurück wie eine Schlange, die sich zuzustoßen anschickt, »woher stammt der Skarabäus an deiner Hand? Sprich, oder beim Geist des Lebens -ich zerschmettere dich auf der Stelle!« Sie trat einen kleinen Schritt auf mich zu, und in ihren Augen flak-kerte ein so furchtbares Licht - es erschien mir fast wie eine Flamme -, daß ich mich vor ihr zu Boden warf und in meinem Schrecken wirre Worte stammelte.
»Friede«, sagte sie, plötzlich wieder mit ihrer früheren sanften Stimme sprechend, »ich habe dich erschreckt! Verzeih mir! Doch zuweilen, o Holly, erfüllt selbst einen fast unendlichen Geist die Langsamkeit des Endlichen mit Ungeduld, und mich überkommt die Versuchung, vor Zorn von meiner Macht Gebrauch zu machen - beinahe hätte ich dich getötet, doch ich besann mich beizeiten. - Aber der Skarabäus - woher hast du ihn?«
»Ich fand ihn«, stieß ich hervor, indem ich mich wieder aufrichtete, und ich war in der Tat so verwirrt, daß ich mich an nichts weiter erinnern konnte, als daß ich ihn in Leos Kammer aufgehoben hatte.
»Überaus seltsam«, sagte sie, und dabei begann sie plötzlich auf echt weibliche Art, die zu dem furchtbaren Wesen gar nicht zu passen schien, zu zittern, »doch ich kannte einst einen Skarabäus wie diesen. Er - hing am Halse eines - den ich liebte«, und sie schluchzte leise, woran ich merkte, daß sie trotz allem doch nur ein Weib war, wenngleich vielleicht auch ein sehr altes.
»Es muß ein Zwilling davon sein«, fuhr sie fort, »doch ich habe noch nie einen zweiten gesehen; es war eine Geschichte mit ihm verknüpft, und der, welcher ihn trug, schätzte ihn sehr hoch. Doch der Skarabäus, den ich kannte, saß nicht wie dieser an einem Ring. Geh jetzt, Holly, geh, und versuche zu vergessen, daß deine Torheit dich trieb, Ayeshas Gesicht anzusehen«, und sich von mir wendend, warf sie sich auf das Ruhelager und vergrub ihr Gesicht in den Kissen.
Ich aber taumelte davon. Wie ich meine Höhle erreichte, weiß ich nicht.
14
Eine Seele in der Hölle
Es war fast zehn Uhr nachts, als ich mich auf mein Lager warf und meine Gedanken zu sammeln und über das, was ich gesehen und gehört, nachzudenken versuchte. Doch je mehr ich nachdachte, um so weniger begriff ich. War ich von Sinnen oder betrunken, träumte ich oder war ich nur das Opfer eines ungeheuerlichen Schabernacks? Wie war es möglich, daß ich, ein Mann von klarem Verstand, nicht unvertraut mit den wichtigsten Tatsachen der Menschheitsgeschichte und bisher hinsichtlich all des Hokuspokus, der in Europa unter der Flagge des Übernatürlichen segelt, ein gänzlich Ungläubiger, daß ich glauben konnte, ich hätte mich vor wenigen Minuten mit einer mehr als zweitausend Jahre alten Frau unterhalten? Es war gegen jede menschliche Vernunft und ganz und gar unmöglich. Es mußte ein Schabernack sein, doch wenn es einer war, wie ließ er sich erklären? Und welche Bewandtnis hatte es mit den Bildern auf dem Wasser, mit dem außerordentlichen Wissen der Frau über fernste Zeiten und ihrer Unkenntnis oder angeblichen Unkenntnis aller späteren Geschichte? Was hatte es mit ihrem wundervollen und doch so unheimlichen Liebreiz auf sich? Dieser zumindest war eine unumstößliche Tatsache und doch völlig unfaßbar. Kein gewöhnliches sterbliches Weib konnte eine solch übernatürliche Schönheit ausstrahlen. Und in einem hatte sie jedenfalls recht gehabt - es war gefährlich für einen Mann, so viel Schönheit zu schauen. Ich war ein Weiberfeind, abgesehen von einem schmerzlichen Erlebnis in meiner zarten Jugend, und hatte das schwächere Geschlecht (das, wie ich manchmal denke, diesen Namen gar nicht verdient) fast völlig aus meinen Gedanken verbannt. Doch jetzt wurde mir zu meinem unbeschreiblichen Entsetzen klar, daß ich diese wundervollen Augen nie mehr würde vergessen können; und ach! gerade die Dämonie dieses Weibes, so schrecklich und abstoßend sie war, machte sie nur noch begehrenswerter. Ein Wesen mit einer Erfahrung von zweitausend Jahren, das über solche ungeheuren Kräfte verfügte und um ein Geheimnis wußte, mit dem der Tod sich bannen ließ, war es wohl kein anderes Weib wert, geliebt zu werden. Doch ach! es ging nicht darum, ob sie es wert war oder nicht - soweit ich dies mit meiner geringen Erfahrung in solchen Dingen beurteilen konnte, hatte ich, Dozent eines Colleges, allgemein bekannt als Weiberfeind, ein angesehener Mann in mittleren Jahren, mich Hals über Kopf und hoffnungslos in diese weiße Zauberin verliebt. Unsinn; es konnte nur Unsinn sein! Sie hatte mich eindringlich gewarnt, und ich hatte ihre Warnung in den Wind geschlagen. Fluch über die verhängnisvolle Neugier, die den Mann je und je treibt, das Weib zu entschleiern, Fluch über den natürlichen Impuls, der sie auslöst! Sie ist die Ursache der Hälfte - ach, mehr als der Hälfte unseres Mißgeschicks. Warum kann der Mann sich nicht damit zufriedengeben, allein und glücklich zu leben und auch die Frauen allein und glücklich sein zu lassen? Doch vielleicht wären sie nicht glücklich, und ich bin nicht sicher, ob wir es wären. Ich, in meinem Alter, einer modernen Circe zum Opfer gefallen! Doch sie war ja gar nicht modern, nach allem, was sie gesagt hatte. Sie war fast ebenso alt wie die wirkliche Circe.