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Endlich sprach sie.

»Hunde und Schlangen«, begann Ayesha mit leiser Stimme, die allmählich, als sie fortfuhr, anschwoll und schließlich die ganze Höhle füllte, »Esser von Menschenfleisch - zweierlei habt ihr verbrochen. Erstens habt ihr diese weißen Fremdlinge angegriffen und wolltet ihren Diener töten, und dafür allein gebührt euch der Tod. Doch das ist noch nicht alles. Ihr wagtet, ungehorsam gegen mich zu sein. Befahl ich euch nicht, diese Fremdlinge gut aufzunehmen? Doch ihr versuchtet, sie zu erschlagen, und wären sie nicht übermenschlich tapfer und stark gewesen, so hättet ihr sie grausam gemeuchelt! Hat man euch nicht von Kindheit an gelehrt, daß mein Wort Gesetz ist und daß, wer dieses auch nur im mindestens bricht, des Todes ist? Haben eure Väter euch dies nicht gelehrt, sage ich, als ihr noch Kinder wart? Wißt ihr nicht, daß ihr ebensowenig hoffen könnt, mich von meinem Willen abzubringen oder mein Wort nach Belieben leicht oder schwer zu nehmen, wie es euch gelingen würde, diese Höhlen zum Einsturz zu bringen oder der Sonne in ihrem Laufe Einhalt zu gebieten? Ihr wißt es wohl, ihr Verruchten. Doch ihr seid böse bis ins Mark - die Bosheit sprudelt in eurem Inneren wie ein Quell zur Frühlingszeit. Wäre ich nicht, so würdet ihr schon vor Generationen untergegangen sein, denn in eurer Bosheit hättet ihr euch gegenseitig ausgerottet. Und nun hört das Urteiclass="underline" Weil ihr dies getan habt, weil ihr versucht habt, diese Männer, meine Gäste, umzubringen, mehr noch, weil ihr gewagt habt, euch meinem Wort zu widersetzen, befehle ich, daß man euch zur Folterhöhle[12] bringt und den Folterknechten übergibt und daß morgen bei Sonnenaufgang jene von euch, die noch am Leben sind, getötet werden, auf die gleiche Weise, wie ihr den Diener dieses meines Gastes töten wolltet.«

Sie verstummte, und ein Murmeln des Entsetzens erhob sich. Die Opfer verließ, als sie sich der Gräßlichkeit ihres Geschicks bewußt wurden, ihr Gleichmut, und sie warfen sich auf den Boden nieder und flehten winselnd um Gnade. Ich wandte mich an Ayesha und bat sie, ihnen das Leben zu schenken oder sie doch wenigstens auf eine weniger schreckliche Weise töten zu lassen, doch sie blieb unerbittlich.

»Mein Holly«, sagte sie wiederum auf griechisch, »mein Holly, es kann nicht sein. Würde ich gegenüber diesen Wölfen Gnade walten lassen, so wäret ihr unter diesem Volk keinen Tag mehr eures Lebens sicher. Du kennst diese Menschen nicht. Sie sind blutrünstig wie Tiger und gieren selbst in diesem Augenblick nach eurem Leben. Wie, glaubst du, daß ich dieses Volk regiere? Da mir nur ein Regiment von Leibwächtern, das Befehle ausführt, zur Verfügung steht, kann ich es nicht durch Gewalt tun, sondern nur durch Schrecken. Ich herrsche durch Phantasie. Vielleicht nur einmal in einem Menschenalter handle ich so wie heute und lasse einige von ihnen durch die Folter zu Tode bringen. Glaube nicht, daß ich grausam bin oder mich an diesen niedrigen Kreaturen zu rächen suche. Was würde mir schon Rache an ihnen nützen? Wer lange lebt, mein Holly, ist frei von Leidenschaft. Vielleicht mag es so scheinen, als strafte ich im Zorn, doch dem ist nicht so. Denke an die kleinen Wolken, die scheinbar planlos über den Himmel dahin und dorthin treiben, doch hinter ihnen fegt der Sturm und wählt sich eine Bahn, wie er will. So ist es auch mit mir, o Holly. Meine Launen und Stimmungen sind die kleinen Wolken, die ziellos zu treiben scheinen; doch hinter ihnen weht unaufhörlich der Sturm meines Willens. Nein, diese Männer müssen sterben - und so, wie ich's befohlen habe.« Dann wandte sie sich plötzlich an den Hauptmann ihrer Leibgarde:

»Tut, was ich euch geheißen habe!«

16

Die Gräber von Kor

Nachdem man die Gefangenen fortgebracht hatte, winkte Ayesha mit der Hand, und die Zuschauer machten kehrt und krochen wie eine Herde Schafe durch die Höhle davon. Sobald sie sich jedoch ein gehöriges Stück von der Plattform entfernt hatten, erhoben sie sich und eilten hinaus, so daß, abgesehen von den Stummen und einigen Wächtern, nur die Königin und ich zurückblieben. Ich hielt dies für eine gute Gelegenheit, ihr von Leos schlechtem Befinden zu erzählen und sie zu bitten, sich seiner anzunehmen, doch sie lehnte ab und sagte, er werde bestimmt nicht vor der Nacht sterben, denn an diesem Fieber stürbe man stets nur bei Einbruch der Nacht oder am frühen Morgen. Auch meinte sie, es sei besser, der Krankheit so weit als möglich ihren Lauf zu lassen, bevor sie ihn heilte. Als ich mich daraufhin zurückziehen wollte, gebot sie mir, ihr zu folgen; sie wolle mit mir reden und mir die Wunder der Höhlen zeigen.

Ich war bereits viel zu sehr in ihren verhängnisvollen Bann verstrickt, um abzulehnen, selbst wenn ich es gewollt hätte, was indes nicht der Fall war. Sie erhob sich von ihrem Stuhl und stieg, den Stummen einige Zeichen gebend, von der Plattform. Vier der Mädchen ergriffen Lampen und stellten sich - je zwei - vor und hinter uns, während die anderen sowie die Wächter sich entfernten.

»Nun«, fragte sie, »möchtest du jetzt einige der Wunder dieses Ortes sehen, o Holly? Sieh dir diese große Höhle an. Hast du dergleichen je erblickt? Sie wurde, wie viele andere, von dem ausgestorbenen Geschlecht, das einst hier in der Stadt auf der Ebene lebte, mit den Händen aus dem Fels herausgeschlagen.

Sie müssen ein großes und wundervolles Volk gewesen sein, diese Korer, doch wie die Ägypter dachten sie mehr an die Toten als an die Lebenden. Wie viele Männer, glaubst du, und wie viele Jahre waren notwendig, um diese Höhlen und all die Gänge zwischen ihnen zu schaffen?«

»Zehntausende«, erwiderte ich.

»So ist es, o Holly. Dieses Volk war bereits ein altes Volk, bevor die Ägypter waren. Ein wenig kann ich seine Inschriften lesen, denn ich fand den Schlüssel dazu - siehst du, dies war eine der letzten Höhlen, die sie gruben«, und sie wies, den stummen Mädchen bedeutend, ihre Lampen hochzuheben, auf die Felswand hinter sich. Hinter der Plattform befand sich das gemeißelte Bild eines alten Mannes, der in einem Stuhl saß und einen elfenbeinernen Stab in der Hand hielt. Mir fiel sogleich auf, daß seine Züge erstaunlich jenen des Mannes glichen, welcher auf den Bildern in der Kammer, in der wir unsere Mahlzeiten einnahmen, einbalsamiert wurde. Unter dem Stuhl, der übrigens genauso geformt war wie der, in dem Ayesha zu Gericht gesessen hatte, befand sich eine kurze Inschrift in den bereits erwähnten merkwürdigen Buchstaben, die eine starke Ähnlichkeit mit chinesischen Schriftzeichen hatten. Langsam und stockend las Ayesha mir diese Inschrift vor und übersetzte sie sodann. Sie lautete wie folgt:

»Im Jahre viertausendzweihundertneunundfünfzig nach Gründung der Hauptstadt des kaiserlichen Kor wurde diese Höhle (oder Begräbnisstätte) von Tisno, dem König von Kor, vollendet, nachdem das Volk und seine Sklaven drei Menschenalter gearbeitet hatten, ein Grab für seine Bürger von Rang zu schaffen, die später kommen werden. Möge der Segen des Himmels über den Himmeln auf ihrem Werke ruhen und den Schlaf Tisnos, des mächtigen Herrschers, dessen Bildnis hier verewigt ist, zu einem gesunden und glücklichen Schlaf machen bis zum Tage des Erwachens[13], und ebenso den Schlaf seiner Diener und seiner Nachkommen, die dereinst ihre Häupter ebenso tief in den Staub legen werden.«

»Wie du siehst, o Holly«, sagte sie, »gründete dieses Volk die Stadt, deren Ruinen heute die Ebene bedecken, viertausend Jahre vor Fertigstellung dieser Höhle. Und dennoch war vor zweitausend Jahren, als ich sie zum erstenmal erblickte, alles schon so wie jetzt. Wie alt muß diese Stadt demnach sein! Nun folge mir, und ich will dir zeigen, wie dieses Volk untergegangen ist, als die Zeit für seinen Untergang kam«, und sie führte mich zur Mitte der Höhle und blieb vor einem runden Felsblock stehen, der in ein großes Loch im Boden eingelassen war. »Rate, was das ist«, sagte sie.

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12

Die >Folterhöhle<. Ich sah später diesen fürchterlichen Ort, der gleichfalls ein Vermächtnis des vorgeschichtlichen Volkes ist, das in Kor lebte. Die einzigen Gegenstände in der Höhle waren Felsplatten, in verschiedenen Stellungen angeordnet, um den Folterknechten ihre Arbeit zu erleichtern. Viele dieser aus einem porösen Stein bestehenden Platten waren von dem Blut der Opfer, das sie in grauer Vorzeit aufgesogen hatten, tiefschwarz gefärbt. In der Mitte der Höhle befand sich eine Feuerstelle mit einer Vertiefung, in welcher der bereits bekannte Topf erhitzt wurde. Das Schrecklichste an der Höhle aber waren die über jeder Platte in den Fels gehauenen Darstellungen der betreffenden Folterungen. Diese Darstellungen waren so grauenhaft, daß ich den Leser nicht mit ihrer Schilderung peinigen will. - L. H. H.

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13

Diese Wendung ist bemerkenswert, scheint sie doch den Glauben an ein künftiges Leben anzudeuten. - Der Herausgeber.