Und dann - bedenke es gut, o Holly, nie wieder wirst du eine solche Geschichte hören, nie wieder Zeuge solcher Dinge werden, nicht, wenn ich dir zehntausend Jahre Leben schenkte - und die sollst du, wenn du willst, als Lohn empfangen -, dann endlich kam mein Retter - er, dessen ich all die Zeiten hindurch geharrt - zu der vorherbestimmten Zeit kam er, mich zu suchen, wie ich es gewußt, denn meine Weisheit trügt mich nicht, wenn ich auch nicht wußte, wann und wie. Und dennoch - wie unwissend war ich! Wie klein mein Wissen ist, wie gering meine Stärke! Seit Stunden lag er hier und rang mit dem Tode, und ich ahnte es nicht - ich, die ich zweitausend Jahre lang auf ihn wartete - ich wußte es nicht! Und dann endlich sehe ich ihn, und um Haaresbreite hatte ich ihn verloren, denn er liegt im Rachen des Todes, dem ihn all meine Macht nicht entreißen kann. Und wenn er stirbt, so muß ich diese Hölle noch einmal durchleben - noch einmal all die endlosen Jahrhunderte durchwandern und warten, warten, bis die Zeit erfüllt ist und meinen Geliebten mir zurückbringt. Und dann gabst du ihm die Medizin, und diese wenigen Minuten, in denen ich nicht wußte, ob er leben oder sterben wird, glaube mir, sie waren länger als die sechzig Menschenalter, die ich durchlitt. Doch endlich waren sie vergangen, und noch immer kein Zeichen, und ich wußte, wenn die Medizin jetzt nicht wirkt, dann wirkt sie überhaupt nicht. Ich dachte schon, er ist wieder tot, und all die Qualen aller dieser Jahre vereinten sich zu einem einzigen giftigen Speer, der sich tief in mich bohrte, denn wieder hatte ich Kallikrates verloren! Und dann, als alles schon vorüber schien, da seufzte er - bedenke -er seufzte! Er lebte! Und ich wußte, er würde am Leben bleiben, denn es stirbt keiner, bei dem die Medizin wirkt. Bedenke dies, mein Holly - bedenke dieses Wunder! Er wird nun zwölf Stunden schlafen, und dann hat die Krankheit ihn verlassen und er ist dem Leben und auch mir zurückgegeben!«
Sie verstummte und legte ihre Hand auf sein goldenes Haupt, und dann beugte sie sich nieder und küßte seine Stirne mit einer keuschen Hingabe und Zärtlichkeit, die rührend anzusehen gewesen wäre, hätte der Anblick nicht mein Herz durchbohrt - denn ich war eifersüchtig!
18
»Hinweg mit dir, Weib!«
Es folgte ein Schweigen von etwa einer Minute, in der >Sie< sich, nach ihrem fast engelhaft entrückten Gesichtsausdruck zu schließen - zuweilen sah sie wirklich wie ein Engel aus -, in einem wahrhaften Glücksrausch zu befinden schien. Plötzlich jedoch kam ihr ein neuer Gedanke, und gleich darauf war ihr Gesicht alles andere als engelhaft.
»Fast hätte ich dieses Weib, diese Ustane, vergessen«, sagte sie. »Was ist sie für Kallikrates - ist sie seine Dienerin, oder -?« Sie hielt inne.
Ich zuckte die Achseln. »Soviel ich weiß, ist sie ihm nach dem Brauch der Amahagger angetraut«, erwiderte ich, »doch genau weiß ich's nicht.«
Ihr Gesicht wurde finster wie eine Gewitterwolke. Trotz ihres Alters schien ihr Herz immer noch voll Eifersucht.
»Das muß ein Ende haben«, sagte sie, »sie muß sterben, und das auf der Stelle!«
»Aber was hat sie denn verbrochen?« fragte ich bestürzt. »Sie hat sich keines anderen Vergehens schuldig gemacht als du selbst, o Ayesha. Sie liebt ihn, und er erwidert ihre Liebe. Worin liegt ihre Sünde?«
»Wahrhaftig, o Holly, du bist ein Tor«, rief sie fast ärgerlich. »Worin ihre Sünde liegt? Darin, daß sie zwischen mir und meinem Verlangen steht. Ich weiß sehr wohl, daß ich ihn ihr entreißen könnte - denn welcher Mann auf Erden könnte mir wohl widerstehen? Männer sind nur so lange treu, wie Versuchungen an ihnen vorübergehen. Ist die Versuchung jedoch nur stark genug, so gibt der Mann ihr nach, denn jeder Mann hat, gleich einem Seil, eine schwache Stelle, und Leidenschaft ist für einen Mann, was Gold und Macht für das Weib ist - das Gewicht, dem er erliegt. Glaube mir, übel wird es den sterblichen Frauen in jenem Himmel, von dem du sprichst, ergehen, wenn dort die Geister schöner sind als sie, denn ihre Männer werden keinen Blick an sie verschwenden, und ihr Himmel wird ihnen zur Hölle werden. Mit Frauenschönheit, wenn sie nur groß genug ist, läßt jeder Mann sich kaufen; und Frauenschönheit läßt sich mit Geld kaufen, wenn es nur Geld genug ist. So war es zu meiner Zeit, und so wird es bis ans Ende aller Tage sein. Die Welt ist ein großer Markt, mein Holly, auf dem der, welcher in der Währung unserer Begierden am meisten bietet, alles kaufen kann.«
Diese Bemerkungen, deren Zynismus mich bei einer Frau von Ayeshas Alter und Erfahrung nicht verwunderte, ärgerten mich dennoch, und ich erwiderte gereizt, daß es in unserem Himmel keine Ehen und kein Freien gäbe.
»Du meinst, sonst wäre es kein Himmel?« warf sie ein. »Schäme dich, Holly, daß du so schlecht von uns Frauen denkst! Macht denn nur die Ehe den Unterschied zwischen deinem Himmel und deiner Hölle aus? Doch genug davon. Es ist jetzt keine Zeit für geistreiche Dispute. Warum mußt du nur immer disputieren? Bist du einer von diesen neuen Philosophen? Was dieses Weib betrifft, so muß sie sterben; denn wenn ich ihr den Geliebten nur nähme, könnte er, solange sie lebt, voll Zärtlichkeit ihrer gedenken, und das wäre mir unerträglich. Kein anderes Weib darf in den Gedanken meines Herrn wohnen; mein Reich soll ganz mein eigen sein. Sie hat das Ihre gehabt, soll sie damit zufrieden sein; denn eine Stunde der Liebe ist besser als ein Jahrhundert der Einsamkeit. Die Nacht soll sie verschlingen.«
»Nein, nein«, rief ich, »das wäre ein schweres Verbrechen, und ein solches zieht stets nur Böses nach sich. Um deiner selbst willen, tu es nicht.«
»Ist es denn ein Verbrechen, o du törichter Mann, hinwegzuräumen, was zwischen uns und unseren Zielen steht? Dann ist unser Leben ein einziges Verbrechen, mein Holly; denn Tag um Tag zerstören wir um dieses Lebens willen, weil in dieser Welt nur die Stärksten sich durchsetzen können. Die Schwachen müssen untergehen; die Erde und ihre Früchte sind nur für die Starken. Für einen Baum, der wächst, verdorren zwanzig andere, damit er Raum hat. Über die Leichen derer hinweg, die schwach sind und fallen, eilen wir zu Macht und Ruhm; ja wir entziehen die Nahrung, die wir essen, dem Munde hungernder Kinder. Das ist der Plan der Welt. Du sagst, ein Verbrechen zeugt Böses, doch darin fehlt dir die Erfahrung; denn aus Verbrechen kommt oft Gutes, und aus Gutem oft Böses. Der grausame Zorn des Tyrannen kann zu einem Segen werden für Tausende, die nach ihm kommen, und die Güte eines Heiligen kann ein Volk versklaven. Dieses und jenes tut der Mensch aus Güte oder Bosheit und weiß doch nie, was daraus erwachsen wird; denn wenn er zum Schlag ausholt, weiß er nicht, wohin der Schlag fallen wird, noch kann er die hauchdünnen Fäden zählen, welche die Umstände weben. Gut und Böse, Liebe und Haß, Nacht und Tag, Süßes und Bitteres, Mann und Frau, der Himmel über und die Erde unter uns - all dies ist notwendig, eins fürs andere, doch wer kennt von allem das Ende? Glaube mir, es gibt eine Schicksalshand, die, ihrem Zweck zu dienen, all diese Fäden zusammenflicht zu jenem großen Band, zu dem all diese Dinge notwendig sind. Deshalb steht es uns nicht an zu sagen, dieses ist gut und jenes böse, oder das Dunkel ist häßlich und das Licht schön; denn anderen Augen als den unseren mag das Böse gut und das Dunkel schöner als der Tag erscheinen, oder alles gleich schön. Hörst du, mein Holly?«