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Wie immer saß sie in dem Raum, den wir in Ermangelung einer besseren Bezeichnung ihr Boudoir nannten, und als man die Vorhänge zurückgezogen hatte, erhob sie sich von ihrem Ruhelager und trat uns mit ausgestreckten Händen entgegen, um uns, oder besser Leo zu begrüßen; denn ich wurde, wie man sich denken kann, nun von ihr weitgehend ignoriert. Es war schön anzusehen, wie ihre verschleierte Gestalt auf den in einen grauen Flanellanzug gekleideten stattlichen jungen Engländer zuglitt; denn Leo ist, obgleich halb griechischer Abstammung, abgesehen von seinem Haar der Engländer in Person. Er hat nichts von der zarten Gestalt und dem flotten Gebaren der heutigen Griechen, obgleich er vermutlich seine außerordentliche Schönheit von seiner ausländischen Mutter erbte, deren Porträt er nicht wenig ähnelt. Er ist sehr groß und breitschultrig und dabei doch nicht plump wie viele große Männer, und er trägt seinen Kopf so stolz und selbstbewußt, daß die Amahagger ihn nicht zu Unrecht den >Löwen< nannten.

»Sei gegrüßt, mein junger fremder Herr«, sagte sie mit ihrer sanftesten Stimme. »Es freut mich, dich auf den Beinen zu sehen. Glaube mir, hätte ich dich nicht im letzten Augenblick gerettet, so hättest du nie wieder auf diesen Beinen gestanden. Doch nun ist die Gefahr vorüber, und es soll meine Sorge sein« - und sie legte eine tiefe Bedeutung in diese Worte -, »daß sie nicht wiederkehrt.«

Leo verneigte sich vor ihr und dankte ihr dann in seinem besten Arabisch für die Güte und Freundlichkeit, die sie einem Unbekannten erwiesen hätte.

»Nein«, erwiderte sie leise, »einen Mann wie dich könnte die Welt nur schwer entbehren. Schönheit ist auf ihr allzu selten. Danke mir nicht, dein Kommen hat mich sehr glücklich gemacht.«

»Donner und Doria, alter Junge«, flüsterte Leo mir auf englisch zu, »die Dame ist aber liebenswürdig. Wir scheinen es ja gut getroffen zu haben. Ich hoffe nur, du hast die Gelegenheit gut genützt. Beim Jupiter! Was hat sie doch für herrliche Arme!«

Ich stieß ihn in die Rippen, um ihn zum Schweigen zu bringen, denn ich merkte, wie die Augen Ayeshas, die mich neugierig ansah, hinter dem Schleier aufblitzten.

»Ich hoffe«, fuhr Ayesha fort, »meine Diener haben dich gut versorgt; was dieser armselige Ort an Behaglichkeit bietet, soll dir zur Verfügung stehen. Gibt es noch irgend etwas, das ich für dich tun kann?«

»Ja, o Königin«, erwiderte Leo rasch. »Ich wüßte gern, wo die junge Dame ist, die mich gepflegt hat.«

»Ach«, sagte Ayesha, »dieses Mädchen - ja, ich habe es gesehen. Nein, ich weiß es nicht; es sagte, es wolle fortgehen, wohin, weiß ich nicht. Vielleicht wird es zurückkommen, vielleicht auch nicht. Es ist sehr lästig, einen Kranken zu pflegen, und diese wilden Weiber sind sehr unzuverlässig.«

Leo blickte verärgert und betrübt drein.

»Sehr sonderbar«, sagte er auf englisch zu mir und wandte sich dann wieder an >Sie<. »Ich begreife das nicht«, sagte er; »die junge Dame und ich - nun -kurz gesagt, wir mochten uns sehr gern.«

Ayesha ließ ein leises, sehr wohlklingendes Lachen hören und wechselte sodann das Thema.

19

»Bringt mir eine schwarze Ziege!«

Das nun folgende Gespräch ging um so nebensächliche Dinge, daß ich mich seiner nicht mehr recht entsinne. Aus irgendeinem Grund, vielleicht um Leo ihre Identität und ihren Charakter noch nicht zu offenbaren, sprach Ayesha nicht so ungezwungen wie sonst. Plötzlich teilte sie Leo jedoch mit, daß am Abend zu unserer Unterhaltung ein Tanz stattfinden werde. Ich war darüber ziemlich erstaunt, da ich gedacht hatte, die Amahagger seien ein viel zu düsteres Volk für solche Frivolitäten; doch wie sich bald herausstellen sollte, hatte ein Amahagger-Tanz mit solchen Festlichkeiten in anderen Ländern, ob wild oder zivilisiert, nur wenig gemein. Als wir uns dann zurückziehen wollten, fragte sie Leo, ob er nicht Lust habe, einige von den Wundern der Höhlen kennenzulernen, und als er freudig zustimmte, brachen wir, begleitet von Job und Billali, auf. Eine Schilderung dieses Besuches würde zum großen Teil lediglich eine Wiederholung des bereits Gesagten bedeuten, wenngleich die Gräber, die wir besichtigten, von einer anderen Art waren, da der ganze Felsen von ihnen durchsetzt war wie ein Bienenstock von Waben.[17] Danach begaben wir uns zu der Knochenpyramide, die mich Vergangene Nacht im Schlaf verfolgt hatte, und von dort durch einen langen Gang zu einem der großen Gewölbe, in denen die Leichen der ärmeren Bürger des kaiserlichen Kor bestattet waren. Diese waren nicht annähernd so gut erhalten wie die der Reichen. Viele trugen kein Totengewand, und überdies lagen von ihnen zwischen fünfhundert und tausend in einem einzigen großen Gewölbe, zum Teil hoch aufeinandergetürmt wie ein Haufen Erschlagener.

Dieser erstaunliche, unvergleichliche Anblick erregte bei Leo natürlich stärkstes Interesse und stachelte seine Phantasie an. Dem armen Job hingegen gefiel er gar nicht. Seine durch unsere vorangegangenen Erlebnisse bereits arg in Mitleidenschaft gezogenen Nerven wurden, wie man sich denken kann, durch diese Massen dahingeschiedener Menschen noch mehr zerrüttet, und es beruhigte ihn auch nicht, als ihm der alte Billali beschwichtigend sagte, er solle diese Toten doch nicht fürchten, denn nur allzubald würde doch auch er einer von ihnen sein.

»Es ist wirklich nicht schön, einem so etwas zu sagen«, rief er, als ich ihm Billalis Bemerkung übersetzte; »aber was kann man von einem alten Kannibalen schon anderes erwarten? Doch eigentlich hat er ja nicht ganz unrecht«, fügte er seufzend hinzu.

Nach der Besichtigung der Höhlen kehrten wir zurück und verzehrten unsere Mahlzeit, denn es war vier Uhr nachmittags, und wir alle waren hungrig und müde - besonders Leo. Um sechs Uhr begaben wir uns zusammen mit Job zu Ayesha, die unseren armen Diener noch mehr verängstigte, indem sie ihm auf dem Wasser in dem beckenärtigen Gefäß Bilder zeigte. Als ich ihr erzählte, daß er sechzehn Geschwister hatte, forderte sie ihn auf, sich all seine Brüder und Schwestern im Geiste daheim in der väterlichen Hütte vorzustellen. Dann befahl sie ihm, ins Wasser zu blicken, und auf seiner Oberfläche zeigte sich das längst vergangene Bild, dessen Job sich erinnerte. Einige der Gesichter waren ganz deutlich, andere bloße Schatten und Flecken oder in einigen Zügen stark übertrieben, was davon kam, daß Job sich in diesen Fällen des Äußeren der betreffenden Personen nicht mehr genau entsann oder nur einen bestimmten Zug im Gedächtnis behalten hatte, und das Wasser konnte nur widerspiegeln, was er vor seinem geistigen Auge sah. Man darf nicht vergessen, daß Ayeshas Macht in dieser Hinsicht sehr begrenzt war; offenbar konnte sie nur, von seltenen Fällen abgesehen, auf das Wasser projizieren, was eine der anwesenden Personen sich innerlich vorstellte, und auch dies nur mit deren Willen. War sie jedoch mit einer Örtlichkeit persönlich vertraut, so konnte sie, wie sie dies mit uns und dem Walboot getan hatte, deren Bild sowie das, was zu dieser Zeit dort geschah, auf dem Wasser erscheinen lassen. Diese Macht erstreckte sich jedoch nicht auf die Vorstellungen anderer. So konnte sie mir, zum Beispiel, das Innere der Collegekapelle so zeigen, wie ich es im Gedächtnis hatte, jedoch nicht so, wie es im gleichen Augenblick war; denn in bezug auf andere Personen war ihre Macht strikt auf die Tatsache oder Erinnerungen beschränkt, die in deren Bewußtsein im gleichen Augenblick gegenwärtig waren. So war denn auch, als wir ihr zu ihrer Unterhaltung die Bilder bekannter Baulichkeiten, wie etwa der St. Pauls-Kathedrale oder des Parlamentsgebäudes, zu zeigen versuchten, das Ergebnis höchst unvollkommen; denn wir konnten uns natürlich ihr Aussehen im großen und ganzen gut vorstellen, waren jedoch nicht imstande, uns die architektonischen Einzelheiten ins Gedächtnis zu rufen, und dadurch mangelte es dem Bild an der erwünschten Genauigkeit. Es war uns nicht möglich, Job dies begreiflich zu machen, und da er nicht dazu bewogen werden konnte, eine natürliche Erklärung für den Vorgang zu akzeptieren, der, so seltsam er auch erscheinen mochte, doch nichts weiter war als ein Beispiel perfekter Telepathie, erblickte er in dem Phänomen nur eine Manifestation schwärzester Magie. Nie werde ich den Entsetzensschrei vergessen, den er ausstieß, als ihm die mehr oder weniger deutlichen Porträts seiner längst in alle Welt verstreuten Brüder aus dem Wasser entgegenstarrten, und ebensowenig das glockenhelle Lachen, mit dem Ayesha seine Bestürzung quittierte. Auch Leo schien das Ganze nicht recht geheuer; er fuhr sich mit den Fingern durch seine blonden Lok-ken und flüsterte mir zu, daß ihn grusele.

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17

Lange Zeit war es mir ein Rätsel, was wohl mit den ungeheuren Mengen Felsgesteins geschehen war, die man aus diesen Höhlen herausgehauen hatte. Später erfuhr ich, daß man sie größtenteils zum Bau der Mauern und Paläste von Kor sowie zur Auskleidung der Brunnen und Kanäle verwendet hatte. - L. H. H.