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»Du lügst!« sagte Leo. »Ich heiße nicht Kallikrates. Ich heiße Leo Vincey; Kallikrates war einer meiner Ahnen - zumindest nehme ich das an.«

»Ja, so ist es - Kallikrates war dein Ahne, und du, ja, du bist der wiedergeborene und zurückgekehrte Kallikrates - und mein teurer Geliebter!«

»Ich bin nicht Kallikrates und nicht dein Geliebter. Da möchte ich schon eher der Geliebte einer Teufelin aus der Hölle sein, denn sie wäre besser als du.«

»Wie kannst du nur so sprechen, Kallikrates? Ach, du hast mich so lange nicht gesehen, daß du dich meiner nicht erinnerst. Sieh doch, wie schön ich bin, Kallikrates!«

»Ich hasse dich, du Mörderin, und ich habe kein Verlangen, dich zu sehen. Was kümmert es mich, wie schön du bist! Ich hasse dich, hörst du?«

»Und dennoch wirst du in einer kleinen Weile mir zu Füßen liegen und schwören, daß du mich liebst«, erwiderte Ayesha mit einem süßen, spöttischen Lachen. »Komm, jetzt ist der rechte Augenblick - hier vor jenem toten Mädchen, das dich liebte, will ich's dir beweisen. Sieh mich jetzt an, Kallikrates!« und mit einer raschen Bewegung entledigte sie sich ihres schleierartigen Gewandes und stand in ihrem ausgeschnittenen Kleid mit dem Schlangengürtel in all ihrer strahlenden Schönheit und königlichen Anmut vor uns, emporsteigend aus ihrer Hülle wie Venus aus der Woge oder wie Galatea aus dem Marmor. Sie trat vor und richtete ihre strahlenden Augen auf Leos Augen, und ich sah, wie seine geballten Fäuste sich lösten und sein starres, bebendes Gesicht unter ihrem Blick sich entspannte. Ich sah, wie sein Staunen sich in Bewunderung und dann in Verzückung wandelte, und je mehr er dagegen ankämpfte, um so mehr schien ihre schreckliche Schönheit ihn in ihren Bann zu ziehen und von seinen Sinnen Besitz zu ergreifen, ihn zu betäuben und in sein Herz zu dringen. Kannte ich das nicht allzugut? Hatte nicht ich, doppelt so alt wie er, das gleiche durchgemacht? Erlebte ich es nicht in diesem Augenblick aufs neue, obwohl ihr süßer, leidenschaftlicher Blick gar nicht mir galt? Ach, leider war es so! Ach, ich muß gestehen, daß in jenem Moment eine tolle, wilde Leidenschaft mich zerriß.

Ich hätte mich - Schande über mich - auf ihn stürzen mögen! Das Weib hatte meine Moral ins Wanken gebracht, ja fast vernichtet, wie es die Moral eines jeden Mannes ins Wanken bringen mußte, der seine übermenschliche Schönheit schaute. Allein, es gelang mir, mich - ich weiß nicht, wie - zu beherrschen, und so wandte ich mich den beiden wieder zu, um den Höhepunkt der Tragödie zu betrachten.

»Oh, großer Himmel!« keuchte Leo, »bist du ein Weib?«

»Jawohl, ein Weib - nichts als ein Weib - und ganz die deine, Kallikrates!« erwiderte sie, ihre runden Arme ihm entgegenstreckend und - ach, wie süß - lächelnd.

Er blickte sie hingerissen an, und dann sah ich, wie er sich langsam ihr näherte. Plötzlich fiel sein Blick auf den Leichnam der armen Ustane, und er erschauderte und hielt inne.

»Wie kann ich denn?« sagte er heiser. »Du bist eine Mörderin; sie liebte mich.«

Anscheinend hatte er bereits vergessen, daß auch er sie geliebt hatte.

»Das ist vorbei«, murmelte sie mit einer Stimme, die süß klang wie der Nachtwind, wenn er durch die Bäume streicht, »- vorbei. Wenn ich gesündigt habe, soll meine Schönheit meine Sünde tilgen. Wenn ich gesündigt habe, dann nur aus Liebe zu dir; darum laß meine Sünde vergessen sein«, und wieder streckte sie die Arme aus und flüsterte: »Komm!« - und dann war's binnen weniger Sekunden um ihn geschehen.

Ich sah, wie er mit sich kämpfte, ja gar zur Flucht sich wandte; doch ihre Augen fesselten ihn stärker an sie als eherne Bande, und die Zauberkraft ihrer Schönheit, ihres Willens und ihrer Leidenschaft überwältigten ihn - besiegten ihn angesichts der Leiche des Mädchens, das ihn so sehr geliebt, daß es seinetwegen in den Tod gegangen war. Doch so schrecklich und verworfen es klingen mag, sollte man ihn doch nicht allzusehr tadeln und bedenken, daß er für seine Sünde dereinst büßen wird. Die Versucherin, die ihn zum Bösen verlockte, war mehr als ein Mensch und ihre Schönheit größer als die der Menschentöchter.

Ich blickte wieder auf, und nun lag ihre herrliche Gestalt in seinen Armen, und ihre Lippen preßten sich auf die seinen; und so, mit der Leiche seiner Geliebten als Altar, verlobte Leo Vincey sich ihrer verruchten Mörderin, verlobte sich ihr auf immer und ewig. Denn jene, die sich auf diese Weise für den Preis ihrer eigenen Ehre verkaufen und ihre Seele in die Waagschale werfen, damit die Waage sich zu dem Niveau ihrer Lüste niedersenke, können weder in diesem noch im jenseitigen Leben auf Erlösung hoffen. Was sie gesät haben, werden sie wieder und wieder ernten, wenn die Mohnblumen der Leidenschaft in ihren Händen längst verdorrt sind, und ihre Ernte sind nur bittere Wicken.

Plötzlich entschlüpfte sie mit einer schlangengleichen Bewegung seinen Armen und stieß wieder triumphierend ihr leises, spöttisches Lachen aus.

»Habe ich dir nicht gesagt, daß du in einer kleinen Weile mir zu Füßen liegen wirst, o Kallikrates? Und siehe, es hat gar nicht lange gedauert!«

Leo stöhnte vor Scham und Qual, denn so sehr er ihr auch verfallen sein mochte, schien er sich doch bewußt, wie tief er gesunken war. Ja, wie ich später deutlich merkte, lehnte sich sogar seine bessere Natur mit aller Kraft gegen sein gefallenes Ich auf.

Ayesha lachte wieder und verschleierte sich rasch. Dann gab sie dem stummen Mädchen, das das Ganze mit neugierigem, furchtsamem Blick beobachtet hatte, einen Wink. Das Mädchen entfernte sich und kam gleich darauf mit zwei männlichen Stummen zurück, denen die Königin gleichfalls einen Wink gab. Daraufhin ergriffen alle drei die arme Ustane bei den Armen und schleppten sie aus der Höhle hinaus. Leo blickte der Leiche nach und bedeckte dann die Augen mit der Hand, und in meiner überreizten Phantasie schien es mir, als blicke die Leiche, als man sie hinaustrug, uns an.

»Da geht sie hin, die tote Vergangenheit«, sagte Ayesha feierlich, als die Vorhänge, nachdem die unheimliche Prozession verschwunden war, sich schlossen. Und dann warf sie in einem jener merkwürdigen Stimmungswechsel, die ich bereits erwähnte, ihren Schleier wieder ab und stimmte nach der alten poetischen Sitte der Araber einen Lobgesang an, welcher, so wild und schön er war, nur überaus schwierig zu übersetzen ist und eigentlich nicht niedergeschrieben und vorgelesen, sondern nach Art einer Kantate gesungen werden sollte. Er bestand aus zwei Teilen - einem allgemeinen und einem persönlichen -und lautete, soweit ich mich erinnern kann, etwa wie folgt:

»Die Liebe gleicht einer Blume in der Wüste.

Sie gleicht der Aloe Arabiens, die einmal nur blüht und stirbt;

sie blüht in der Salzwüste des Lebens und ihre Schönheit strahlt über ihr wie ein Stern über einem Sturm.

Sie hat die Sonne, die der Geist ist, über sich, und der Wind ihrer Göttlichkeit weht über ihr.

Beim Laute eines Schritts erblüht die Liebe und neigt ih-

re Schönheit zu dem Wanderer.

Er pflückt sie, ja, er pflückt den roten Kelch, der voll von Honig ist, und trägt ihn fort; fort durch die Wüste, fort, bis die Blume welkt, fort bis an der Wüste Ende.

Es gibt nur eine schöne Blume in der Wildnis des Lebens. Diese Blume ist die Liebe!

Es gibt nur einen Fixstern über dem Dunkel unseres Weges. Dieser Stern ist die Liebe!

Es gibt nur eine Hoffnung in unserer Verzweiflung Nacht. Diese Hoffnung ist die Liebe!

Alles andere ist trügerisch. Alles andere ist Schatten auf dem Wasser. Alles andere ist Wind und Eitelkeit.

Wer vermag zu sagen, was das Gewicht, das Maß der Liebe ist?