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Doch wer kann wissen, was geschehen war? Unverrückbar fest stand nur die Tatsache. Seit jener furchtbaren Stunde habe ich mir oft gesagt, daß es keiner großen Phantasie bedarf, in dem Geschehenen den Finger der Vorsehung zu erkennen. Lebendig eingeschlossen in ihr Grab und von Jahrhundert zu Jahrhundert der Ankunft des geliebten Mannes harrend, hatte Ayesha nur wenig am Laufe der Welt geändert. Doch eine starke, in ihrer Liebe glückliche

Ayesha, begabt mit ewiger Jugend, göttlicher Schönheit und grenzenloser Weisheit, hätte die Gesellschaft gänzlich umwandeln, ja vielleicht gar das Geschick der Menschheit wenden können. Da sie sich so aufgelehnt hatte gegen das ewige Gesetz, war sie von ihm trotz ihrer Stärke ins Nichts zurückgeschleudert worden - voll Schmach und schauerlicher Schande!

Nachdem ich einige Minuten erfüllt von dieser schrecklichen Erkenntnis dagelegen hatte, kehrte in dieser belebenden Atmosphäre meine körperliche Kraft rasch zurück. Mir fielen meine Gefährten ein, und ich erhob mich taumelnd, sie zu wecken. Doch zuvor hob ich Ayeshas Gewand und Schleier auf, mit welchem sie ihre blendende Schönheit vor den Augen der Menschen verborgen hatte und, meinen Kopf abwendend, damit mein Blick sie nicht traf, bedeckte ich damit die gräßlichen Überbleibsel der einst so bezaubernden Frau, diese grauenhaften Reste menschlicher Schönheit und menschlichen Lebens. Ich tat es rasch, damit sie Leo, wenn er zu sich kam, nicht sah.

Dann trat ich über die im Sande liegende duftende Lockenpracht hinweg und beugte mich zu Job nieder, der auf dem Gesicht lag, und drehte ihn herum. Dabei fiel auf eine Weise, die mich erschaudern ließ, sein Arm zurück, und ich musterte ihn scharf. Ein Blick genügte. Unser treuer alter Diener war tot. Bereits zerrüttet von all dem Geschehenen und Erlebten, waren seine Nerven unter dem letzten fürchterlichen Anblick vollends zusammengebrochen, und er war vor Schreck oder infolge eines durch den Schreck ausgelösten Anfalls gestorben. Ich brauchte nur in sein Gesicht zu blicken, um es zu erkennen.

Dies war ein neuer Schlag; doch - man mag daran vielleicht ermessen, wie unsagbar Grauenhaftes wir durchgemacht - wir spürten ihn nicht allzusehr. Es erschien uns als ganz natürlich, daß der Arme tot war. Als etwa zehn Minuten später Leo stöhnend und zitternd zu sich kam und ich ihm mitteilte, daß Job tot sei, sagte er nur: »Oh!« Man darf jedoch nicht glauben, daß er dies aus Herzlosigkeit tat, denn er und Job hingen sehr aneinander, und heute noch spricht er oft voll Trauer und Mitgefühl von ihm. Er war lediglich nicht fähig, noch mehr zu ertragen, wie auch eine Harfe, so sehr man sie anschlägt, nur Töne von beschränkter Stärke von sich geben kann.

Ich bemühte mich also, Leo, der zu meiner unendlichen Erleichterung nicht tot, sondern nur ohnmächtig war, wieder ins Bewußtsein zurückzurufen, was mir, wie ich schon sagte, endlich gelang. Doch als er sich aufrichtete, sah ich wiederum etwas Entsetzliches. Als wir diesen Ort des Grauens betraten, war sein gelocktes Haar von strahlendstem Gold gewesen; jetzt wurde es grau, und als wir später ins Freie traten, war es schneeweiß. Er wirkte um zwanzig Jahre gealtert.

»Was nun, alter Junge«, sagte er mit dumpfer, lebloser Stimme, als er sich ein wenig erholt hatte und die Erinnerung an das Geschehene mit aller Macht über ihn hereinbrach.

»Wir müssen versuchen, von hier fortzukommen«, entgegnete ich; »es sei denn, du möchtest gerne dort hinein«, und ich deutete auf die soeben wieder auftauchende Feuersäule.

»Ich ginge hinein, wenn ich sicher wüßte, daß es mich das Leben kostet«, sagte er, leise lachend. »Nur meine verwünschte Unentschlossenheit ist an allem schuld. Hätte ich nicht gezweifelt, so würde sie es vielleicht nicht getan haben. Doch wer weiß - vielleicht hat das Feuer auf mich die entgegengesetzte Wirkung. Es könnte mich unsterblich machen; und ich, alter Junge, habe nicht die Geduld, ein paar tausend Jahre auf sie zu warten, so wie sie auf mich. Ich möchte lieber sterben, wenn meine Stunde kommt -ich habe das Gefühl, sie ist nicht mehr allzu fern -und mich auf die Suche nach ihr machen. Aber wenn du hineingehen willst, nur zu.«

Ich schüttelte lediglich den Kopf; meine Begeisterung war geschwunden und mein Widerwillen gegen eine Verlängerung meines Lebens stärker denn je zuvor. Zudem wußte auch ich nicht, welche Wirkung das Feuer haben mochte. Das Ergebnis bei Ayesha war alles andere als ermutigend, und wir wußten nichts über seine Ursachen.

»Nun, mein Junge«, sagte ich, »wir können nicht hierbleiben, bis wir den gleichen Weg gehen wie diese beiden«, und ich deutete auf den kleinen Haufen unter dem weißen Schleier und auf den erstarrenden Leichnam des armen Job. »Wenn wir fort wollen, sollten wir lieber gleich aufbrechen. Ich fürchte nur, die Lampen sind längst ausgebrannt«, und ich hob eine auf und sah, daß meine Vermutung stimmte.

»Es ist noch ein wenig Öl in dem Krug«, sagte Leo gleichgültig, »- das heißt, wenn er nicht zerbrochen ist.«

Ich untersuchte ihn; er war unversehrt. Mit zitternder Hand füllte ich die Lampen, deren Dochte zum Glück noch nicht ganz verbrannt waren. Dann steckte ich sie mit einem unserer Wachszündhölzer an. Währenddessen hörten wir, wie die Feuersäule auf ihrer endlosen Wanderung sich wieder näherte.

»Laß sie uns einmal noch betrachten«, sagte Leo; »dergleichen werden wir auf Erden nie wieder sehen.«

Leos Wunsch schien müßiger Neugier zu entspringen, doch auch ich war nicht ganz frei davon, und so warteten wir, bis sie, sich langsam um ihre eigene Achse drehend, aufgeflammt und donnernd an uns vorbeigezogen war; und ich weiß noch, daß ich mich fragte, wie viele Jahrtausende wohl schon dieses Phänomen im Schoß der Erde vor sich ging und wie viele weitere Jahrtausende es noch stattfinden würde. Würden wohl je wieder Menschenaugen es erblicken, Menschenohren von seinem majestätischen Donnergrollen erschreckt und bezaubert werden? Ich glaube nicht. Ich glaube, daß wir die letzten menschlichen Wesen waren, die diesen unirdischen Anblick sahen. Nun war er verschwunden, und wir wandten uns zum Gehen.

Doch vorher nahmen wir noch beide Jobs kalte Hand und drückten sie. Es war eine recht unheimliche Zeremonie, doch es gab für uns keine andere Möglichkeit, dem treuen Toten unsere Achtung zu bezeugen und ihm die letzte Ehre zu erweisen. Das Häuflein unter dem weißen Schleier ließen wir zugedeckt. Wir hatten kein Verlangen, uns diesem schrecklichen Anblick noch einmal auszusetzen. Wir traten jedoch zu dem Haar, das in ihrem grauenhaften Todeskampf, der schlimmer war als tausend natürliche Tode, von ihr abgefallen war, und zogen jeder eine glänzende Locke daraus hervor; und diese Locken besitzen wir heute noch - als einziges Andenken, das uns von Ayesha, so wie wir sie in all ihrer Herrlichkeit und Anmut kannten, geblieben. Leo drückte das duftende Haar an seine Lippen.

»Sie flehte mich an, sie nicht zu vergessen«, sagte er mit dumpfer Stimme, »und sie schwor, daß wir uns wiedersehen werden. Beim Himmel! Ich will sie nie vergessen. Ich schwöre es: Wenn wir lebend von hier fortkommen, will ich bis ans Ende meiner Tage mit keinem anderen lebenden Weib zu tun haben und, wohin ich auch gehe, ebenso treu auf sie warten wie sie auf mich.«

>Ja<, dachte ich bei mir, >wenn sie so schön wiederkehrt, wie wir sie kannten. Aber was, wenn sie so wiederkehrt!<[24]

Dann machten wir uns auf den Weg. Wir gingen und ließen jene beiden zurück am Lebensquell und dennoch in der kalten Gegenwart des Todes. Wie verlassen lagen sie so da, und welch ungleiches Paar! Jenes kleine Häuflein - zwei Jahrtausende war es das weiseste und schönste und stolzeste Geschöpf - ein Weib kann ich es kaum nennen - auf Erden gewesen. Zwar war sie böse auch und sündhaft; doch, ach, so schwach ist nun einmal des Menschen Herz, und ihre Sündhaftigkeit hatte ihren Zauber nicht vermindert, sondern vielleicht gar noch vermehrt. Ohne Zweifel war das Böse in ihr von hohem Rang, denn nichts an Ayesha war klein und gemein.

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24

Was ist es doch, nebenbei bemerkt, für ein schrecklicher Gedanke, daß nahezu immer unsere Liebe zu Frauen, soweit wir nicht mit ihnen verwandt sind - zumindest im ersten Augenblick -, von ihrer äußeren Erscheinung abhängt. Wenn wir sie verlören und äußerlich entstellt und abstoßend anzusehen, ansonsten aber unverändert wiederfänden, würden wir sie dann noch immer lieben? - L. H. H.