Выбрать главу

»Möge Gott ihr das verzeihen«, stöhnte Job, der mit offenem Mund gelauscht hatte.

Ich selbst sagte nichts; mein erster Gedanke war, daß mein armer Freund in seiner geistigen Verwirrung sich die ganze Geschichte ausgedacht hatte, obwohl es höchst unwahrscheinlich schien, daß jemand so etwas erfinden konnte. Um meine Zweifel zu beseitigen, nahm ich die Scherbe und begann die griechische Unzialschrift darauf zu lesen, und ich muß sagen, wenn man bedenkt, daß es von einer Ägypterin stammte, war es ein sehr gutes Griechisch. Nachstehend eine genaue Wiedergabe der Inschrift:

Zur besseren Lesbarkeit hier auch eine Wiedergabe in Kursivschrift:

Die Übersetzung Vinceys war, wie ich bei näherer Untersuchung feststellte, genau und elegant.

Auf der nach außen gewölbten Seite der Scherbe, neben der Unzialschrift am oberen Rand, befand sich in mattroter Farbe die gleiche Zeichnung, die wir bereits auf dem ebenfalls in dem Kästchen liegenden Skarabäus gesehen hatten. Die Hieroglyphen oder Symbole waren hier jedoch umgekehrt angeordnet, als seien sie auf Wachs gepreßt gewesen. Ob dies die Kartusche[4] des Kallikrates oder eines Prinzen oder Pharaos war, von dem seine Frau Amenartas abstammte, vermag ich nicht zu sagen; auch weiß ich nicht, ob sie gleichzeitig mit der griechischen Unzial-schrift auf die Scherbe gezeichnet oder erst später von irgendeinem anderen Mitglied der Familie nach dem Skarabäus kopiert wurde. Doch dies war noch nicht alles. Unter der Schrift befand sich, gleichfalls in mattem Rot, die etwas unbeholfene Zeichnung des Kopfes und der Schultern einer Sphinx mit zwei Federn, den Symbolen der Königswürde, die auf den Bildern von heiligen Stieren und Göttern häufig anzutreffen sind, die ich aber noch nie bei einer Sphinx gesehen hatte. Außerdem stand auf der rechten Seite der Scherbe, neben der Unzialschrift, in Rot gemalt und in blauer Farbe unterzeichnet, folgender sonderbarer Vers:

HIMMEL, MEER UND ERDENBALL BERGEN WUNDER ÜBERALL.

HOC FECIT

DOROTHEA VINCEY.

Zutiefst verblüfft, drehte ich die Scherbe um. Sie war von oben bis unten mit Inschriften und Namen in griechischer, lateinischer und englischer Sprache bedeckt. Die erste, in griechischer Unzialschrift, stammte

von Tisisthenes und lautete: >Ich konnte nicht gehen. Tisisthenes an seinen Sohn Kallikrates.< Hier ihre Nachbildung und ihre Wiedergabe in Kursiv:

Dieser Kallikrates, der offenbar nach griechischer Sitte den Namen seines Großvaters trug, versuchte anscheinend das Vermächtnis auszuführen, denn seine stark verblaßte und kaum noch leserliche Eintragung lautete: >Ich gab die Reise auf, denn die Götter waren gegen mich. Kallikrates an seinen Sohn.< Nachstehend die Abschrift:

Zwischen diesen beiden Eintragungen, deren zweite von oben nach unten geschrieben und so schwach und undeutlich war, daß ich sie ohne die von Vincey verfertigte Nachbildung wohl kaum hätte entziffern können, stand der forsche, moderne Namenszug eines Lionel Vincey, >Aetate sua 17<, der wohl von Leos Großvater stammte. Rechts davon entdeckte ich die Initialen >J.B.V.< und darunter eine Anzahl griechischer Unterschriften in Unzial- und Kursivschrift sowie mehrmals den Satz >An meinen Sohn<, der darauf hindeutete, daß die Scherbe gewissenhaft von Generation zu Generation weitervererbt worden war.

Die nächste lesbare Inschrift nach den griechischen Namenszügen lautete: >Romae, A.U.C.< Sie zeigte, daß die Familie inzwischen nach Rom übersiedelt war. Das Datum ihrer dortigen Niederlassung ist leider mit Ausnahme der Endung CVI für immer verlorengegangen, denn gerade an der Stelle, wo es stand, war ein Stück der Scherbe abgebrochen.

Es folgten sodann zwölf lateinische Unterschriften, die über die ganze Scherbe verstreut waren. Sie alle endeten, mit nur drei Ausnahmen, mit dem Namen >Vindex<, >der Rächer<, den die Familie nach ihrer Übersiedlung nach Rom anstelle des griechischen Ti-sisthenes, das gleichfalls >Rächer< bedeutet, angenommen zu haben schien. Dieser Name verwandelte sich sodann in >De Vincey< und schließlich in das einfache, moderne >Vincey<. Wie seltsam, daß auf diese Weise der von einer Ägypterin vor Christi Geburt geleistete Racheschwur in einem englischen Familiennamen erhalten blieb!

Einige der römischen Namen auf der Scherbe habe ich später in Geschichtswerken und anderen Annalen wiedergefunden. Es waren, wenn ich mich recht entsinne, die folgenden:

MUSSIUS VINDEX SEX. VARIUS MARULLUS C. FUFIDIUS C. F. VINDEX

und

LABERIA POMPEIANA CONIUX MACRINI VINDICIS,

wovon der letzte natürlich der einer römischen Dame war. Die folgende Liste umfaßt sämtliche lateinische Namen auf der Scherbe:

C. CAECILIUS VINDEX M. AIMILIUS VINDEX SEX. VARIUS MARULLUS Q. SOSIUS PRISCUS SENECIO VINDEX L. VALERIUS COMINIUS VINDEX SEX. OTACILIUS M. F.

L. ATTIUS VINDEX MUSSIUS VINDEX C. FUFIDIUS C. F. VINDEX LICINIUS FAUSTUS

LABERIA POMPEIANA CONIUX MACRINI VINDICIS

MANILIA LUCILLA CONIUX MARULLI VIN-DICIS

Auf diese römischen Namen folgt offenbar eine Lük-ke von mehreren Jahrhunderten. Nie wird sich in Erfahrung bringen lassen, was mit der Scherbe in jenen dunklen Zeiten geschah und wie es kam, daß sie von der Familie aufbewahrt wurde. Wie man sich entsinnen wird, hatte mein armer Freund Vincey mir erzählt, daß seine römischen Vorfahren sich später in der Lombardei niederließen und dann, als Karl der Große in diese einfiel, mit ihm über die Alpen zogen und sich in der Bretagne ansiedelten, von wo sie unter der Herrschaft Edwards des Bekenners nach England übersiedelten. Woher er dies alles wußte, ist mir nicht bekannt, denn auf der Scherbe findet sich kein Hinweis auf die Lombardei oder Karl den Großen, während, wie man gleich sehen wird, die Bretagne erwähnt wird. Doch weiter: Die nächsten Eintragungen auf der Scherbe, wenn man von einem länglichen Fleck aus Blut oder roter Farbe absieht, sind zwei rote Kreuze, die wohl Kreuzfahrerschwerter darstellen, und ein zierliches in Scharlach und Blau gemaltes Monogramm (>D.V.<), welches vielleicht von der gleichen Dorothea Vincey stammt, die den bereits erwähnten Vers schrieb. Links davon standen in blassem Blau die Initialen >A.V.< und das Datum 1800.

вернуться

4

Die Kartusche, falls es wirklich eine war, kann nicht die des Kallikrates gewesen sein, wie Mr. Holly annimmt. Kallikrates war ein Priester und als solcher nicht zu einer Kartusche berechtigt. Kartuschen waren das Vorrecht des ägyptischen Königshauses. Er hätte seinen Namen oder Titel jedoch auf einem Oval anbringen können. - Der Herausgeber.