Caius war mit einem Schlag in blendender Stimmung. »Das kann ja heiter werden«, sagte er ebenfalls grinsend. »Die Mine wird mit Pauken und Trompeten den Bach runtergehen. Zufällig weiß ich nämlich, dass der angehende Herr Geschäftsführer sich viel mehr für ganz andere Arten von Geschäften interessiert.«
»Womit wir beim Thema wären«, gab Lucius fröhlich zurück. »Die Mädchen dort oben haben ausnahmslos blonde Haare, blaue Augen und ihre Haut ist von nobler Blässe.« Er sprach affektiert, als rezitierte er aus einem landeskundlichen Werk. »Sie warten sehnsüchtig auf Leute wie uns, die ihnen die guten und strengen Sitten der römischen Welt beibringen. Als Gegenleistung bringen sie uns die schlechten und lockeren Sitten ihrer Heimat bei.«
»Wer sagt das?«
»Na, alle, die da waren!«
»Da bin ich ja beruhigt. Wir hatten nämlich gestern so einen Vogel aus dem Cheruskerland zu Besuch, der uns unter anderem weismachen wollte, die Germanen seien im Gegensatz zu uns verlotterten Römern ein Muster an Sittenstrenge.« Während er das sagte, spürte Caius eine gehässige Genugtuung über seine Bemerkung, die Chariomer galt, doch im gleichen Augenblick befremdete ihn der Gedanke. Es war ein billiger Triumph über jemanden, der ihm im Grunde nichts getan hatte.
»Natürlich wollte er euch das weismachen. Damit wir hierbleiben!«, rief Lucius aus. »Aber den Gefallen tun wir diesen Cherumplern nicht!« Er bog sich vor Lachen.
»Und den Brutzelern schon gar nicht!«
Prustend und kichernd standen die beiden voreinander und schlugen sich immer neue Wortspiele mit den Namen der germanischen Stämme um die Ohren.
Als Lucius nach einer Stunde wieder ging, sank Caius erschöpft auf eine Bank im Innenhof des Hauses, in dem ein kleiner Brunnen unbeteiligt vor sich hin plätscherte. Er gluckste noch ein paarmal auf, dann atmete er zufrieden durch und erhob sich. Da erblickte er zwischen den Säulen die Gestalt seines Vaters. Quintus lächelte, doch sein Lächeln hatte etwas Warnendes. Caius fiel das Gespräch ein, das er mit seinem Vater auf dem Forum vor dem Besuch bei Augustus geführt hatte. Und er wusste sofort, dass auch sein Vater daran dachte. Für einen kurzen Moment war er verunsichert. Doch dann kam Quintus auf ihn zu, gab ihm einen Klaps auf die Schulter und verschwand unter den Säulen in dem Gang, der zu seinem Arbeitszimmer führte.
6
Ein markerschütternder Schrei gellte durch das Atrium, unmittelbar gefolgt von aufgeregtem Rufen und einem undefinierbaren Gepolter. Zu Tode erschrocken fuhr Caius herum und rannte quer durch den Innenhof in den westlichen Teil des Gebäudes, wo sich die Räume seines Vaters befanden. Er war gerade im Begriff gewesen, das Haus zu verlassen, um sich ein letztes Mal vor der bevorstehenden Reise mit seinen Freunden zu treffen.
Die Schiebetür des Arbeitszimmers stand offen, aufgebrachte Stimmen drangen heraus. »Steht hier nicht wie die Ochsen!«, hörte er im Näherkommen seine Mutter rufen. »Holt den Arzt!«
Zwei Sklaven kamen aus dem Raum gestürzt. Zwei weitere, die sich um die Korrespondenz seines Vaters kümmerten, standen vor dem gewaltigen Schreibtisch, Ratlosigkeit in den Gesichtern. Hinter dem Tisch beugte sich gerade seine Mutter über jemanden, der am Boden lag.
Entsetzen durchfuhr Caius. Es war sein Vater. Während die beiden Sklaven den regungslosen Quintus vorsichtig unter den Armen und Beinen packten und ihn zu einer Kline auf der linken Schmalseite des Raumes trugen, blickte die Mutter zu Caius auf. Ihr Gesicht war bleich wie eine gekalkte Mauer. »Es muss gerade passiert sein«, sagte sie mit zitternder Stimme. Hinter ihr entdeckte Caius den umgestürzten Sessel seines Vaters. Einer der vielen Stapel mit Wachstafeln auf dem Schreibtisch war ebenfalls umgekippt und die Tafeln lagen in einem weit aufgefächerten Bogen zwischen Papyrusrollen, Schreibgriffeln und Öllampen über die Tischplatte verstreut. Ein paar Tafeln und eine Rolle waren auf den Boden gefallen. All das erfasste Caius mit einem Blick, dann ging er die paar Schritte auf die Kline zu, auf der sein Vater nun ausgestreckt ruhte, während einer der Sklaven ihm behutsam ein Kissen unter den Kopf schob. Tullia war ebenfalls an die Liege herangetreten und beugte sich zitternd zu ihrem Mann herunter. Die Sklaven machten einen Schritt zurück.
Caius spürte sein Herz rasen. Er fürchtete, sein Vater sei tot. Dann zuckten dessen Augenlider. »Er kommt zu sich«, sagte er erleichtert.
»Den Göttern sei Dank«, murmelte Tullia, die offenbar die gleiche Befürchtung gehabt hatte.
Quintus schlug langsam, ganz langsam die Augen auf, wobei das rechte Auge sich weiter öffnete als das linke. Sein Blick war trübe und orientierungslos. »Was war denn los?«, fragte er undeutlich mit schwacher Stimme. Der linke Mundwinkel war nach unten verzogen. Sein Gesicht sah aus wie eine Maske aus weißem Wachs, deren eine Hälfte in der Sonne etwas geschmolzen war. »War ich ohnmächtig?«, wollte sein schiefer Mund wissen.
»Ja«, sagte Tullia schnell. »Du bist am Schreibtisch zusammengesackt. Ein Schwächeanfall. Du musst dich jetzt ausruhen.«
»Keine Zeit«, sagte Quintus matt. »Germanien wartet.« Tullias Blick wurde unnachgiebig. »Ganz richtig, Germanien wartet. Und es wird weiter warten müssen. Und wir warten auch, und zwar auf den Arzt.« Erleichterung und Sorge vermischten sich in ihrer Stimme.
Quintus wurde unruhig. Er hob mühsam den Kopf, dabei tastete sein rechter Arm nach Halt, um sich hochzustemmen. Ein strenger Blick seiner Frau genügte und er ließ sich zurücksinken.
Als der Arzt eintraf, ein bärtiger, älterer Mann mit grauem Haarkranz um eine braun gebrannte Glatze, hatte sich Quintus etwas erholt. Die Verwirrtheit war von ihm abgefallen, seine linke Gesichtshälfte war jedoch noch immer leicht verzogen und er sprach mit schwerer Zunge, als hätte er zu viel getrunken.
Der Arzt trug eine knappe schneeweiße Tunika, die zu seinem würdevollen Auftreten eigenwillig wirkte. Arme und Beine waren sonnengebräunt, sehnig und muskulös. Alles in allem hatte er den Kopf eines Philosophen auf dem Körper eines Athleten. Caius konnte sich vorstellen, dass dieser Mann im Winter in eisigen Seen badete und im Sommer bei glühender Hitze auf Berge stieg.
Erleichtert standen Caius und Tullia auf. Der Arzt begrüßte sie knapp und schob sich dann an ihnen vorbei. »Quintus«, sagte er und setzte ein fragendes Gesicht auf. »Was machst du denn für Sachen?«
»Publius«, erwiderte Quintus mit schiefem Lächeln. »Entschuldige, dass ich dir nicht bis zur Haustür entgegenkomme.«
Der Arzt lächelte zurück, dann wandte er sich an die beiden Sklaven, die im Hintergrund warteten. »Könnt ihr ihn aufsetzen?«
Die beiden schienen darüber froh zu sein, dass es etwas zu tun gab. Dienstbeflissen traten sie heran, der eine griff Quintus etwas unbeholfen unter die Achseln, der andere nahm die Beine. Schließlich saß Quintus aufrecht. Der Arzt beugte sich vor und schaute ihm mit konzentriertem Blick in die Augen, zog die Lider hoch, betastete das Gesicht. »Heb mal die Arme an«, forderte er Caius’ Vater schließlich auf.
Quintus gehorchte und streckte die Arme von sich. Beim linken fiel ihm das schwer.
»Augen zu«, befahl Publius jetzt.
Quintus befolgte die Anweisung und der linke Arm sackte wieder nach unten.
Der Arzt holte tief Luft und blickte sich zu Caius und seiner Mutter um. »Ihn hat der Schlag getroffen«, sagte er mit ernstem Gesicht.
»Und das heißt?«, fragte Tullia ängstlich. Caius legte seiner Mutter instinktiv die Hand auf den Arm.