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»Das heißt, wir müssen abwarten, wie es sich entwickelt. Was er jetzt braucht, ist Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe. Außerdem leichte Kost.« Er wandte sich zu Quintus und lächelte wieder. »Tut mir leid, mein Freund. Kein Wein. Keine Pastete. Keine fettige Tunke. Ich weiß, was das für dich bedeutet. Aber dafür hast du es ja auch jahrelang übertrieben.«

Quintus verzog das Gesicht und rutschte unruhig hin und her. Seine Gesundheit schien ihm kaum Sorgen zu bereiten, stattdessen trieb ihn etwas anderes um. »Wann, glaubst du, kann ich aufbrechen?«

Publius, der gleich wusste, wovon die Rede war, blickte seinen Patienten an, als könnte er es nicht fassen. »Du glaubst nicht im Ernst, dass ich dich in den nächsten Monaten nach Germanien lasse? Schlag dir das aus deinem Dickschädel! Du kannst froh sein, dass du noch lebst. Und wenn Quintus Cornelius Castor überhaupt irgendwohin aufbricht, dann nach Saturnia zu vier Wochen Schwefelkur. Anschließend sehen wir weiter!« Publius blickte sich wieder um und fuhr, an Caius und Tullia gewandt, fort: »Schafft ihm alles aus den Augen, was ihn auf dumme Gedanken bringt!«

Nachdem die Sklaven Quintus geholfen hatten sich wieder hinzulegen, erklärte der Arzt genauer, was mit ihm passiert war und wie in den nächsten Wochen vorzugehen sei.

Als Publius gegangen war, schauten sich Caius und seine Mutter ratlos an. Caius war niedergeschlagen und er schämte sich, weil ihn nicht nur die Sorge um seinen Vater bedrückte. Gerade noch war er voller Vorfreude auf sein bevorstehendes Abenteuer gewesen, jetzt schien alles in weite Ferne gerückt.

Ob sein Vater jemals wieder gesund genug für die Strapazen einer solchen Reise sein würde, stand in den Sternen, zumal seine Aufgabe in Germanien mit den Empfehlungen des Arztes beim besten Willen nicht zu vereinbaren war.

Als Tullia den Raum verlassen hatte, um den Sklaven einige Anordnungen zu geben, winkte Quintus seinen Sohn zu sich heran. Caius nahm auf dem Rand der Kline Platz und legte seinem Vater die Hand auf die Schulter. Quintus wirkte nicht mehr verwirrt, und seine Stimme war kräftiger als zuvor, wenn er auch immer noch etwas undeutlich sprach. »Es gibt keinen Grund, warum du nicht fahren solltest«, sagte er. Es klang entschlossen.

Caius war hin und her gerissen. Er spürte, dass etwas in ihm gehofft hatte, sein Vater würde so etwas sagen. Gleichzeitig fühlte er sich verpflichtet zu widersprechen. Konnte er seinen kranken Vater zurücklassen?

Quintus nahm ihm die Antwort ab. »Du kannst hier nichts für mich tun, ich bin in guten Händen. Also widersprich nicht. Fahr. Der Schwager einer Cousine von mir ist Tribun im Stab von Vala bei der XVIII. Er wird dafür sorgen, dass du gut unterkommst.« Dann legte er den rechten Arm um seinen Sohn und zog ihn mit erstaunlicher Kraft an sich.

Damit war alles entschieden. Caius kannte seinen Vater gut genug, um zu wissen, dass er es ernst meinte. Wer schwimmen lernen soll, den muss man ins Wasser werfen, pflegte er zu sagen. Das traf es: Seine bevorstehende Reise war wie ein Sprung ins Wasser. Ein bisschen unbehaglich war Caius bei der Vorstellung. Würde das Unternehmen unter einem guten Stern stehen? War das Unglück seines Vaters am Ende vielleicht ein böses Omen? Noch ehe er diesen Gedanken zu Ende gebracht hatte, fand er ihn schon wieder albern.

»Fahr«, sagte Quintus noch einmal dicht an seinem Ohr. Dann ließ er seinen Arm sinken und lächelte.

Während sein Vater die Augen schloss, erhob sich Caius von der Kline und stand unschlüssig im Raum. Er schaute sich um. Sein Blick blieb an dem umgestürzten Sessel und den auf dem Boden liegenden Tafeln und der Schriftrolle hängen. Er ging zum Tisch, stellte den Sessel wieder hin, ergriff die Tafeln und legte sie auf einen Stapel. Dann bückte er sich nach der heruntergefallenen Papyrusrolle. Es war die Aeneis von Maro, aus der sein Vater, der den Dichter kurz vor dessen Tod persönlich kennengelernt hatte, ihm schon als Kind oft vorgelesen hatte. Eine fantastische Erzählung über die Reise in ein unbekanntes Land, dachte Caius. Ausgerechnet. Konnte das Zufall sein? Oder war es ein Wink? Eine Warnung? Caius schaute auf den Papyrus in seiner Hand. Der Text zwischen den beiden Rollen war irgendwo in der Mitte des dritten Buches der Aeneis geöffnet. Sein Blick fiel auf einen der Verse, in denen von der Höhle des menschenfressenden Kyklopen die Rede war. Unwillkürlich folgten seine Augen den Zeilen, und als die Worte sich in seinem Kopf formten und zu dem oft gehörten monotonen Rhythmus aneinanderreihten, war ihm, als griff eine eiskalte Hand nach seinem Herzen. Sah ich’s doch selbst: Er packt zwei Mann aus unserer Schar mit mächtiger Faust und lehnt sich zurück inmitten der Höhle, schmettert sie gegen den Fels; da schwamm, vom Blute bespritzt, der Boden; ich sah, wie er dann die blutbesudelten Glieder kaute, wie zitternd die Stücke noch zuckten unter den Zähnen.

7

Caius hatte vor lauter Aufregung nicht geschlafen und fühlte sich wie gerädert, als seine Mutter ihn am frühen Morgen weckte. Der Tag der Abreise war gekommen.

Draußen war es noch dunkel. Gedämpft drang das Klappern von Hufen und das Rattern von Wagenrädern herein. Rom schlief nicht: Die ganze Nacht über brachten Lieferanten ihre Waren und luden sie vor Geschäften und Lagerhäusern ab. Die nächtliche Geräuschkulisse gehörte zu dieser Stadt wie das Meeresrauschen zu einem Fischerdorf an der Küste. Caius wusste, dass er diese Geräusche vermissen würde. Sie fehlten ihm schon, wenn er ein paar Tage im Landhaus seines Vaters verbrachte.

Schließlich stand er auf und wusch sich das Gesicht in einem Bronzebecken. Im Haus waren ein paarmal leise Schritte zu hören. Caius zog sich an und trat ins Atrium. Der Brunnen plätscherte nicht, und auch sonst war es still. Der Himmel über ihm hatte einen ersten Stich von Dunkelblau bekommen. Ein paar Sterne glitzerten und kündigten einen wolkenlosen Tag an.

Im Triclinium brannte Licht. Caius trat ein und sah seine Mutter, die gerade dabei war, ein paar frische Fladenbrote einzupacken, die einer ihrer Sklaven zu dieser frühen Stunde irgendwo besorgt hatte. Sie blickte auf und rang sich ein Lächeln ab.

Caius war zu unruhig, um sich zu setzen. Während seine Mutter Honig und Kräuterquark in kleine Schalen füllte, ging er rastlos im Raum auf und ab. Plötzlich hörte er, wie ein Wagen in ihre Straße einbog. Das muss Lucius sein, dachte er. In diesem Viertel auf dem Aventin gab es keine Läden, die beliefert werden mussten; die Leute, die hier wohnten, kauften ohnehin nicht selbst ein, sondern ließen sich die Ware bringen.

Das Klappern der Hufe und das Rasseln der Wagenräder wurde lauter und verstummte unmittelbar vor dem Haus. Caius ging durch das Atrium zur Tür. Der vorhin kaum wahrnehmbare Blaustich im Himmel war in der kurzen Zeit kräftiger geworden.

Er öffnete die Tür, noch bevor Lucius klopfen konnte. Sein Freund hatte blendende Laune. Weder die kurze Nacht noch der Abschied von Familie und Freunden schien ihm zuzusetzen. Caius’ Niedergeschlagenheit sah er mit einem Blick, er hatte aber offenbar nicht die Absicht, mit Einfühlsamkeit darauf zu antworten. »Du sauertöpfischer Krauterer!«, rief er, packte Caius bei den Schultern und schüttelte ihn. »Wir fahren nach Germanien und bringen den griesgrämigen Cherumplern und den bärbeißigen Brutzelern die Heiterkeit des Südens! Also zieh nicht so ein Gesicht!« Mit diesen Worten verschwand er im Atrium.

Caius stand eine Weile unschlüssig in der großräumigen Eingangshalle. Eigentlich war ihm in seiner augenblicklichen Stimmung nicht nach der Gesellschaft dieses aufdringlichen Flegels, der sein Freund nun einmal war. Doch so anstrengend Lucius manchmal sein konnte, so gnadenlos er andere mit seiner unsanften Fröhlichkeit heimsuchte – seine Heiterkeit war ansteckend. Schon spürte Caius, wie seine Laune sich hob. Was für einen Grund gab es überhaupt, sich Sorgen zu machen? Seinem Vater ging es viel besser, und er selbst brach zu einer Reise auf, um die ihn alle anderen Jungen beneideten, und das in Gesellschaft eines Freundes, der mit seinem Tatendrang und Einfallsreichtum der beste Garant dafür war, dass es nicht einen einzigen Moment langweilig werden würde. Caius holte tief Luft und lächelte, dann ging auch er ins Haus zurück.