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Die Anwesenheit von Lucius machte selbst den Abschied von seiner Familie leichter. Tullia und Cornelia konnten ihre Tränen nicht mehr zurückhalten, als Caius sie umarmte. Sein Vater, der sich auf einen Stock stützte, bewahrte die Fassung. Bevor er seinen Sohn in den Arm nahm, überreichte er ihm eine kostbar eingefasste Schriftrolle. »Als Reiselektüre«, sagte er mit einem hintergründigen Lächeln. »Statt vieler guter Ratschläge, die du ja ohnehin in den Wind schlagen würdest.« Es waren die Satiren von Flaccus. Caius war gerührt. Seine Augen wurden feucht, und er blinzelte ein paarmal, damit Lucius es nicht sah. Draußen fuhren weitere Wagen vor. Es war Zeit für den Aufbruch.

Eine Viertelstunde später saßen Caius und Lucius in einem bequem gefederten und gepolsterten Reisewagen und ratterten den Hang des Aventin hinab. Drei weitere Wagen mit Gepäck und Bediensteten folgten ihnen. Der Himmel glomm inzwischen in kräftigem Blau, und nur noch die hellsten Sterne waren zu sehen. Sie bogen in eine größere Straße ein und fuhren in Richtung Norden. Links von ihnen schimmerte der Tiber. Sie passierten den Stadthafen mit seinen Lagerhallen, wo bereits ganze Scharen von Arbeitern mit dem Beladen von Wagen aller Größen beschäftigt waren. Es folgten einige Tempel, dann die Insel, die in der Morgendämmerung tatsächlich wie ein Schiff durch den Strom zu gleiten schien. Bald darauf überquerten sie das Marsfeld, wo noch kaum ein Mensch unterwegs war. Weitere Tempel glitten vorbei, dann die Thermen des Agrippa, und kurz darauf bogen sie links in die auf beiden Seiten von Grabmonumenten aller Größen gesäumte Via Flaminia ein, wo wiederum reger Verkehr herrschte. Vor ihnen tauchte das mit Travertin verkleidete Mausoleum des Augustus auf, ein gewaltiger Zylinder, dessen oberer Rand von Marmorstatuen gesäumt wurde. Darüber türmte sich ein mit Zypressen bestandener Kegel, auf dessen Spitze eine vergoldete Statue des Princeps im Prachtharnisch stand, die rechte Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger in einer lässigen und dennoch vornehmen Geste zur Ansprache an nicht vorhandene Soldaten erhoben. Die Sonne, die gerade im Nordosten hinter den Grabmälern aufgegangen war, bestrahlte die Statue frontal und verlieh ihr einen atemberaubenden Glanz. Es war, als wäre Augustus, der über dem dunklen Kegel des Mausoleums zu schweben schien, mit flüssigem Gold übergossen. Caius dachte an die Worte des Princeps: Ich habe meine eigenen Erben überlebt. Dort unten im Bauch des Grabmals ruhte die Asche der Verwandten und Wegbegleiter des seit vier Jahrzehnten mächtigsten Mannes der Welt, die ihm beim Aufbau des Imperiums geholfen hatten und die er hinter sich hatte lassen müssen: seine Freunde Marcellus und Agrippa, seine Schwester Octavia und seine beiden Enkel Lucius und Caius. Lucius und Caius.

Was für ein merkwürdiger Zufall, dachte Caius. Wo sie angekommen sind, brechen wir auf. Über all diesen gestorbenen und begrabenen Hoffnungen thronte die Statue wie eine Verkörperung der Unsterblichkeit. Was für ein Abschied, dachte Caius noch. Dann waren sie vorbei. Die Via Flaminia zog sich schnurgerade nach Norden, Äcker und Pinienhaine säumten die Straße. Irgendwann blickte Caius neben sich: Lucius war eingeschlafen. Und schon bald hüllte auch ihn das monotone Rattern des Wagens in eine weiche Decke aus Schlaf.

Sie fuhren tagelang durch Latium und Umbrien, dann erreichten sie die Poebene. Während der Fahrt schwatzten sie meistens über belangloses Zeug oder malten sich aus, was sie in Germanien erwartete. Sie übernachteten in den Herbergen, die den Poststationen angeschlossen waren. Städte sahen sie nur auf der Durchreise. Beiden war die einfallslose Geschäftigkeit des Kommens und Gehens an den Poststationen, die langweilige Gesellschaft und das mittelmäßige Essen in den Herbergen bald zuwider. Abends saßen sie mal mit ihren Begleitern zusammen, mal blieben sie unter sich.

In der Poebene war die Hitze fast unerträglich. Ein diesiger Schleier hing den ganzen Tag über in der feuchten Luft, sodass die Sonne meistens nur als milchiger Fleck irgendwo am Himmel zu erkennen war, während Millionen von Mücken den Reisenden das Leben schwer machten. Irgendwann tauchten die Berge am Horizont auf, dann plötzlich wurde das Land hügelig, die Luft klarer und die Wolken bekamen wieder Konturen. Die eben noch wie mit dem Lineal gezogene Straße begann sich in leichten und dann immer engeren Windungen um die Hügelkuppen zu schlängeln. Das Klima wurde allmählich kälter, die Poststationen kleiner und karger und die Menschen schweigsamer. Nach zwei Tagen erreichten sie die Passstraße, die zwischen schneebedeckten Gipfeln unbeirrbar nach Norden strebte.

Hinter dem Alpenkamm betraten sie den Boden der Provinz Raetia. Auf der ersten Poststation hinter der Grenze war wieder mehr Betrieb. Als Caius aus dem Reisewagen stieg, sah er, wie sich auf dem Platz vor dem Pferdestall eine ganze Kolonne von Wagen mit militärischer Eskorte zur Abfahrt bereit machte. Pferde wurden eingespannt und Gepäck aufgeladen. Berittene Soldaten nestelten an ihren Satteltaschen und lenkten die Pferde auf ihren Platz in der Formation an der Spitze des Zuges. Einer der Wagen war außergewöhnlich groß und komfortabel. Zwei Bedienstete polierten die Metallbeschläge. Caius räkelte sich in der Sonne und wollte gerade die Herberge betreten, als ein Mann in teurer, aber bequemer Reisekleidung aus dem Gebäude kam, gefolgt von einem Sklaven, der ihm ein paar Sachen hinterhertrug. Caius erkannte die massige Gestalt sofort: Es war Rullianus, der ihn im gleichen Moment entdeckte. Caius ging auf den Legaten zu und begrüßte ihn mit allem geschuldeten Respekt. Rullianus erwiderte die Begrüßung knapp, wobei das überhebliche Lächeln nicht aus seinem Gesicht wich. Überrascht schien er nicht zu sein. Erfreut schon gar nicht. Sie tauschten ein paar Floskeln aus, dann bestieg der Legat seinen Wagen, ein Sklave schloss behutsam den Schlag und gab einem der Reiter des Geleitschutzes ein Zeichen. Wenige Augenblicke später setzte sich der Zug in Bewegung.

Lucius trat neben seinen Freund. »Was war das denn für ein Vogel?«, fragte er.

»Appius Aemilius Rullianus«, gab Caius zurück, ohne die Kolonne aus den Augen zu lassen. »Legat der XIX. Ich denke, wir werden ihm noch öfter begegnen. Die XIX. ist eine der drei Legionen, die in zwei Wochen mit dem Statthalter über den Rhein gehen werden. Sie ist in Vetera stationiert.«

»Der Kerl gefällt mir nicht«, sagte Lucius mürrisch.

»Das Kommando hat er bekommen, weil er seine ganz eigene Art hat, für Ordnung zu sorgen. Wenn du verstehst, was ich meine. Der Princeps meint, er sei auf den Posten des Statthalters scharf.« Caius kam sich mit seinen Informationen aus dem Kreis der Eingeweihten ziemlich wichtig vor.

Lucius merkte das sofort und konnte sich eine bissige Bemerkung nicht verkneifen. »Ach ja. Ich vergaß, dass der Princeps seine intimsten Geheimnisse mit Herrn Caius Cornelius Castor zu teilen beliebt.«

»Er hat es mir halt gesagt.« Caius war ein wenig beleidigt.

»Dann wollen wir dem alten Haudegen mal auf die Finger sehen. Nicht dass er uns die kleinen Germaninnen vergrault.«

Caius zuckte mit den Schultern und betrat die Herberge. Lucius folgte ihm. Sie ließen ihr Gepäck in die Kammer bringen, und während die Bediensteten noch die Pferde versorgten, saßen die beiden schon in der Gaststube. Bei reichlich Wein und einem mit Knoblauch gespickten Hammelbraten brüteten sie über den Unterlagen, die Lucius von seinem Vater mitbekommen hatte. Von den Nachbartischen wehten die Unterhaltungen der anderen Gäste gedämpft zu ihnen herüber. Irgendwann kamen auch ihre Begleiter wieder dazu und nahmen an einem der Nebentische Platz. Die Bleimine interessierte den angehenden Herrn Geschäftsführer, wie Caius seinen Freund bisweilen nannte, zwar herzlich wenig, doch völlig unvorbereitet konnte er seinen Vater in Germanien nun auch nicht vertreten, und irgendwann musste das Material ja durchgearbeitet werden.