»Zehnmal so teuer«, murmelte Fastrada. »Also vierzig Aurei?«
»Exakt«, sagte Irmin. »Du hast alles begriffen.«
Sie schwiegen wieder eine Weile. Fastrada drehte die Münze um. Auf der Rückseite war eine Art Tor mit drei Bögen abgebildet, über dem ein Vierergespann thronte. Der Wagenlenker hatte die Arme ausgebreitet. Rechts und links von ihm standen zwei Männer, die ihm zwei lange Stangen reichten, an deren oberen Ende etwas befestigt war. Fastrada grübelte. Die Umschrift mit ihren vielen Abkürzungen half ihr nicht weiter.
Irmin beugte sich vor und löste das Rätsel auf. »Civibus et signis militaribus a Parthis recuperatis.«
»Für die Rückführung der Bürger und Standarten von den Parthern«, übersetzte Fastrada, ohne zu überlegen. In dem knappen halben Jahr, seit Irmin aus dem Krieg in Pannonien zurückgekehrt war, hatte er ihr die Sprache der Römer beigebracht. Wenn ihr Cousin zu Besuch war, machten sie sich beim Essen bisweilen einen Spaß daraus, mitten in der Unterhaltung ins Lateinische zu wechseln, um die anderen zu ärgern. Die meisten ihrer Verwandten schüttelten den Kopf über Fastradas Wissbegier. Ihr Vater Inguiomer, ein Bruder von Irmins vor zwei Jahren verstorbenem Vater Segestes, war zwar selbst ein Verehrer der Römer, trotzdem fand er es reichlich übertrieben, dass ein Mädchen sich dem Studium von Schrift und Sprache hingab.
Er ließ sie aber gewähren und schien sogar stolz auf seine kluge Tochter zu sein, die auf diese Weise vielleicht eine gute Partie bei den Leuten machen konnte, die die Zeichen der Zeit verstanden hatten. Manchmal schien er etwas misstrauisch darüber zu sein, dass sein Neffe so viel Zeit mit Fastrada verbrachte, die gerade fünfzehn Jahre und damit kaum mehr als halb so alt war wie er. Alles deutete aber auf eine rein freundschaftliche Beziehung hin.
»Das war vor fast dreißig Jahren«, sagte Irmin und riss sie aus ihren Gedanken.
»Wer sind denn die Parther?«
»Ein Volk weit im Osten. Sie haben die Römer vor langer Zeit besiegt und ihnen drei Legionsadler abgenommen. Das ist das Schlimmste, was einer römischen Armee passieren kann. Ihre Adler sind heilig.«
»Also sind die Römer nicht unbesiegbar?«
»Niemand ist unbesiegbar.«
»Warum erinnern sie dann mit einer Münze an ihre Niederlage?«
»Sie erinnern nicht an die Niederlage. Du hast die Umschrift doch gelesen.«
»Für die Rückführung der Bürger und Standarten von den Parthern«, wiederholte Fastrada. »Sie haben die Adler zurückbekommen.«
»Und die Gefangenen auch. Die wenigen, die nach all den Jahren noch lebten. Augustus hat sie dazu gezwungen.«
Fastrada drehte die Münze wieder um und blickte versonnen auf das Bild. Imperator Caesar Augustus. »Also haben die Römer am Ende doch gewonnen«, murmelte sie.
Irmin lächelte. »Sie sind hartnäckig«, sagte er. »Das ist neben der Disziplin der wichtigste Grund für ihren Erfolg. Wie gesagt, man kann sie bezwingen. Sie geben sich jedoch nicht ohne Weiteres geschlagen. Sie machen es wie beim Zureiten von Pferden. Wirft der Gaul sie ab, steigen sie sofort wieder auf. Das Pferd mag stärker sein. Aber sie sind schlauer. Disziplinierter. Hartnäckiger.«
»Und wenn sie das Pferd einmal zugeritten haben, tut es für den Rest seines Lebens, was sie wollen.«
Das Lächeln aus Irmins Gesicht verschwand. Sein Mund wurde schmal und er legte den Kopf schief. Er schien nachzudenken. »Meistens«, erwiderte er schließlich. »Aber es gibt auch Pferde, die werfen dich ab, wenn du nicht damit rechnest.« Erneut legte er eine Pause ein und Fastrada hatte den Eindruck, dass das Thema ihn aufwühlte. »Tiberius hatte einen jüngeren Bruder«, sagte Irmin. »Drusus. Drusus war ein glänzender Heerführer. Er hat gegen unsere Väter gekämpft, als wir mit den Römern im Krieg waren. Was heißt wir – du warst damals noch gar nicht geboren, und ich war klein. Achtzehn Jahre ist das her. Auf dem Rückweg von einem Feldzug an die Elbe fing sein Pferd wie aus heiterem Himmel an zu buckeln und warf ihn ab. Er war ein erstklassiger Reiter, und niemand konnte sich erklären, warum der Gaul plötzlich verrücktgespielt hat. Einige sagen, es sei eine Warnung der Götter an die Römer gewesen. Eine riesige Frau wollte man gesehen haben, die Drusus am Ufer der Elbe entgegengetreten sei und ihm seinen bevorstehenden Tod verkündet habe.«
»Aber den Krieg haben sie trotzdem gewonnen«, warf Fastrada ein.
Irmin lachte auf. »Natürlich«, sagte er. »Den Krieg haben sie gewonnen. Und dennoch: Drusus ist an seinen Verletzungen gestorben.«
»Was willst du damit sagen?«
»Nichts. Nur dass man nie glauben sollte, sein Pferd durch und durch zu kennen. Irgendwann kann es einen abwerfen. Und dabei kann man sich das Genick brechen.«
Fastrada nahm den Faden wieder auf. »Und danach hat mein Onkel Segimer dich nach Rom geschickt.«
Irmin grinste seine Cousine an. »Damit sie mich zureiten, meinst du?«
»Das hast du gesagt. Hättest du denn Lust gehabt, sie abzuwerfen?«
»Warum hätte ich das tun sollen? Sie haben mich gefüttert.«
Fastrada kicherte. »Mit Hafer?«
»Nein«, sagte Irmin. »Mit Wissen.«
»Das hat sie nichts gekostet«, entgegnete Fastrada, um ihn zu provozieren. »Wissen kann man abgeben, ohne dass man selbst hinterher weniger davon hat.«
»Ich habe noch mehr bekommen«, sagte Irmin. »Einen neuen Namen zum Beispiel.«
»Hast du schon erzählt. Wie lautet der noch mal?«
»Caius Julius Arminius.«
»Klingt edel.«
»Ist er auch. Sie haben mich in den Ritterstand erhoben. Den Siegelring hat mir Tiberius persönlich übergeben.« Irmin streckte ihr seine rechte Hand hin. Am kleinen Finger glänzte ein massiver goldener Ring, in den ein blassblauer Stein eingefasst war.
Fastrada beugte sich vor und ergriff Irmins Hand, um den Ring zu betrachten. Im gleichen Augenblick kam ihr diese Berührung merkwürdig vor. Vielleicht etwas zu brüsk ließ sie die Hand wieder los. »Sie scheinen viel von dir zu halten, wenn sie dir so ein Geschenk machen«, sagte sie schnell.
»Tiberius verschenkt nichts. Bei ihm muss man sich alles verdienen.« Es klang stolz. Irmin schien sich klar darüber zu sein, was er geleistet hatte, und Fastrada bewunderte ihn für sein Selbstbewusstsein. »Er ist keiner von diesen verweichlichten Legaten, die vom Stabsgebäude aus Befehle geben, die niemand nachvollziehen kann. Er lässt seine Soldaten exerzieren, bis sie das Schwert nicht mehr halten können. Aber er verheizt sie nicht. Und nachdem er sie geschunden hat, hockt er sich zu ihnen ans Feuer und trinkt mit ihnen Glühwein, während die Herren vom Stab im warmen Zelt sitzen und jammern, dass der Falerner nicht gut genug gekühlt ist. Er trinkt jeden unter den Tisch – die Soldaten mit Glühwein und die Offiziere mit Falerner. Und wer am nächsten Morgen nicht aus dem Zelt kommt, den tritt er persönlich in den Hintern.«
»Du scheinst ihn zu mögen.«
»Ich mag ihn, weil er die Leute nach ihrer Leistung beurteilt und den gleichen Maßstab an sich selbst anlegt. Aber viele Römer sehen das ganz anders.« Irmins Stimme war hart geworden und sein Gesicht verfinsterte sich. Fastrada bemerkte eine Regung, die sie von ihrem Cousin gar nicht kannte: Er schien gekränkt. »Vor allem in der Umgebung unseres Herrn Statthalters und bei den Stäben der Rheinarmee. So viele Schnösel und Großmäuler auf einem Haufen habe ich in Pannonien in meiner ganzen Zeit nicht gesehen. Sie glauben, Römer zu sein sei ein Rang.« Irmin schwieg wieder, als hätte er schon zu viel gesagt.
So saßen sie eine Weile auf ihren Baumstümpfen. Um sie herum spielte die Sonne in den Zweigen der Bäume, die die Lichtung umstanden. Vögel zwitscherten in den Zweigen, und ein paar Schritte vor ihnen eilte ein schwarzes Eichhörnchen in eleganten, bogenförmigen Sprüngen auf eine Buche zu und schoss scheinbar schwerelos daran empor. Hinter den Stämmen zeichnete sich dunkel die Palisade einer Siedlung ab. Sie war von einem Graben umgeben und rechts und links des geöffneten Tores ragten zwei hölzerne Wachtürme auf. Wie eine römische Befestigung, dachte Fastrada, die einmal das Lager einer durchziehenden Legion aus der Ferne gesehen hatte.