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Der Strom trennte in der Tat zwei Welten voneinander. Während das Ostufer die ganze Dauer der Reise über von dem undurchdringlichen Teppich aus Bäumen bedeckt blieb, konnte man am Westufer fast glauben in Italien zu sein. An den Hängen der Hügel in der Ferne sah man sanft geschwungene Ketten von Weinstöcken talwärts laufen. In der Landschaft, die sie passierten, herrschte reger Betrieb. Überall wurde gebaut und in der Umgebung der Ortschaften waren die Straßen fast genauso verstopft wie zu Hause. Transportkarren beförderten Ziegel und Bauholz, Bleirohre für Wasserleitungen, Dachpfannen aus Ton, zerlegte Baukräne oder aufgerollte Hanfseile. Die Reisegruppe nächtigte in den Herbergen in der Nachbarschaft der Flusshäfen, wo Tag und Nacht Fässer, Säcke, Kisten, Amphoren, Stoffballen und Baumstämme entladen wurden. Transportarbeiter fluchten in ihrer fremden Sprache, doch mit dem gleichen derben und flegelhaften Tonfall wie in Rom und anderswo. An den Anlegern drängten sich die Lastkähne und auch auf dem Rhein selbst herrschte Hochbetrieb.

Eines Morgens, kurz bevor das Stromtal zwischen den Bergen verschwand, erreichten sie die Vorstadt des Legionslagers von Mogontiacum, das oberhalb des Flusses etwa eine Meile vom Ufer entfernt auf einer Anhöhe thronte. Der Palisadenwall mit den Wachtürmen folgte den Unebenheiten des Geländes in sanftem Schwung, und aus dem Haupttor des Lagers schlängelte sich eine Straße die Anhöhe hinunter in die Vorstadt und verschwand zwischen den Gebäuden, die in lockerer Streuung in einen Flusshafen übergingen. Die Wagenkolonne passierte Lagerhallen und Tavernen, arbeitete sich durch kreuz und quer rangierende Transportkarren und eine Abteilung Legionäre, die im Gleichschritt auf einen der Anleger zuhielt, an dem mehrere Liburnen mit eingezogenen Rudern und gerefften Segeln lagen. Im Hafen war das Gedränge noch größer als in den Straßen der Vorstadt. Ein kleines Heer von Seeleuten war damit beschäftigt, die Schiffe auf Vordermann zu bringen. Transportarbeiter holten unablässig Waren von Bord und türmten sie auf ihre Karren oder umgekehrt. Von überall ertönten Zurufe, während das Schrammen der Schiffskörper an den Stegen, das Knarren der Planken und das Ächzen des Tauwerks, das sich im Takt der Wellenbewegungen spannte und lockerte, die Geräuschkulisse bildeten.

Solange die Wagen auf das Deck eines Transportschiffes verladen wurden, nahmen Caius und Lucius in einer der vielen Tavernen ein üppiges Frühstück mit Fladenbroten, Käse, Eiern, Honig und Milch zu sich. Am nächsten Morgen sollten sie das erste Etappenziel ihrer Reise erreichen: Oppidum Ubiorum, die neue Hauptstadt der Provinz Germanien. Nach dem Essen saßen sie noch eine Weile schweigend an dem schlichten Holztisch der Taverne und beobachteten durch ein Fenster, wie der letzte Wagen über eine breite Rampe auf das Deck des bauchigen Schiffes kroch, während der fette gallische Kapitän vom Achterkastell aus Befehle brüllte, die niemand zu beachten schien. Als die Zugpferde endlich ausgespannt und die Wagen an den Bordwänden festgezurrt waren, trudelten nach und nach die Ruderer ein und verschwanden unter Deck.

»Was ist das eigentlich für ein Verwandter von dir, der uns in Empfang nimmt?«, fragte Lucius beiläufig.

»Publius Cornelius Silanus«, gab Caius nicht weniger teilnahmslos zurück. »Tribun bei der XVIII. Viel mehr weiß ich auch nicht, er ist so eine Art Onkel zweiten Grades von mir. Mein Vater hat ihm geschrieben, dass wir kommen.«

»Und hat er geantwortet?«

»Woher soll ich das wissen? Mein Vater hat den Brief kurz vor unserem Aufbruch abgeschickt. Wahrscheinlich hat Silanus ihn gerade erst erhalten. Quintus hat die Angewohnheit, den Leuten einfach mitzuteilen, was er von ihnen will.«

»Und davon auszugehen, dass sie es tun.«

»Ja«, sagte Caius nicht ohne Stolz.

»Vielleicht kann er uns helfen Rullianus auf die Schliche zu kommen«, erwiderte Lucius und lächelte verschwörerisch.

»Wir sollten ihn auf keinen Fall einweihen, bevor wir wissen, ob man ihm vertrauen kann«, gab Caius abwehrend zurück.

»Na hör mal – immerhin ist er dein Onkel.«

»Zweiten Grades. Angeheiratet. Wie gesagt, ich kenne ihn nicht. Ich kenne nur seine Schwägerin, eine Cousine meines Vaters. Mit diesem Zweig der Familie haben wir nicht viel zu tun. Sie spekulieren mit Grundstücken und werfen mit Geld um sich. Einer ihrer Vorfahren war mal Konsul und darauf bilden sie sich furchtbar viel ein.« Caius musste wieder unwillkürlich an die Worte seines Vaters auf dem Forum denken. Ein Tribun von denen, die vom Zelt aus Kommandos geben und dabei bretonische Austern und griechischen Wein schlürfen, dachte er, sagte aber nichts.

Lucius grinste und zog die Augenbrauen hoch. »Und so einem vertraut dein Vater uns an. Wahrscheinlich hat dieser Silanus wenig Lust, den Aufpasser für zwei Jungs wie uns zu spielen?«

Caius grinste noch breiter zurück. »Das trifft sich ja gut. Wahrscheinlich haben zwei Jungs wie wir ja auch wenig Lust auf einen Aufpasser?«

Lucius lächelte gedankenverloren. »Was macht er eigentlich in Oppidum Ubiorum?«, fragte er schließlich. »Die XVIII. Legion ist doch in Castra Vetera stationiert?«

»Sie sind in diesen Tagen in Oppidum Ubiorum, um den Rheinübergang zu besprechen. In einer Woche geht es los. Sie holen die XVII. in Novaesium ab und marschieren nach Castra Vetera, um sich mit der XVIII. und der XIX. zu treffen, bevor sie alle nach Castra Lupiana ziehen.«

»Und da warten die Damen auf uns.« Lucius grinste wieder.

»Da wartet die Arbeit, Herr Geschäftsführer.«

Das Gespräch plätscherte noch eine Weile vor sich hin, dann kam einer ihrer Leibwächter, der vom Anleger aus das Vertäuen der Wagen beaufsichtigt hatte, und meldete, dass das Schiff zum Ablegen bereit sei. Die beiden nickten, standen auf und verließen die Taverne, um an Bord zu gehen.

Auf dem Schiff war wenig Betrieb. Ein paar Händler hatten sich eingefunden, plauderten, an die Bordwand gelehnt, über Belanglosigkeiten und ließen die Luke des Laderaums nicht aus den Augen, unter der ihre Waren verstaut waren. Ansonsten herrschte die bei Schiffsreisen übliche, unaufgeregte Atmosphäre. Das Wasser gluckerte im einschläfernden Takt der Ruder, während das Schiff mühelos mit der Strömung über den Fluss schwebte und die beiden Ufer zügig vorüberglitten. Ein paarmal trafen sie andere Schiffe, die sich unter Segel und mit angestrengtem Ruderschlag stromaufwärts mühten, ansonsten waren vor allem flache Kähne unterwegs, die von kleinen Kolonnen von Sklaven getreidelt wurden. Die Hügel rückten immer näher an das Stromtal heran, bis sie direkt aus dem Wasser aufzuwachsen schienen. Am rechten Ufer zeigte sich keine Menschenseele. Von Zeit zu Zeit legten sie an kleineren Flusshäfen an, dann brach die Dämmerung herein.

Nachdem Caius sich in seine kleine Kabine zurückgezogen hatte, waren nur noch das Plätschern der Bugwelle an der Bordwand und das Knarren der Planken zu hören. Die monotone Geräuschkulisse schläferte ihn bald ein, doch es war kein erholsamer Schlaf. Unter Deck war es heiß und in seinen Träumen geisterte er in einem Zug von kopflosen Leichen durch einen Wald. Wann immer er versuchte aus der grausigen Kolonne zu fliehen, rückten die Bäume so dicht zusammen, dass kein Durchkommen war. Und wenn er verzweifelt und ratlos wieder in den Zug einscherte, grinsten die Toten ihn an, obwohl sie keine Gesichter mehr hatten. Sie stapften weiter durch schlammige Pfützen.