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Irgendwann drang Licht durch die Bäume. Verschlafen öffnete Caius die Augen und wurde gewahr, dass der anbrechende Tag durch die Ritzen in der Deckenluke seiner Kabine blinzelte. Und das Platschen der Füße in den Pfützen war nichts anderes als der Ruderschlag des Schiffes, das die ganze Nacht über unbeirrbar seine Bahn gezogen hatte.

11

Ganz anders als Caius, der sich nach seinem Albtraum noch lange auf seiner harten Pritsche hin und her gewälzt hatte, ohne wieder richtig einzuschlafen, hatte Lucius eine erholsame Nacht hinter sich. Gut gelaunt stand er an Deck und blinzelte in die schon ziemlich hoch über dem Horizont stehende Sonne, als Caius zerknittert aus seiner Luke kletterte und sich räkelte, um langsam zu sich zu kommen. Die Ruder schlugen jetzt einen schnelleren Takt, um das Schiff in der Mitte des Stroms zu halten, der in behäbigen Schleifen verlief. Planken und Taue ächzten unter der Belastung.

Die letzten Stunden an Bord brachten die beiden die meiste Zeit über schweigend zu. Caius war voll ungeduldiger Erwartung, die er nicht recht in Worte fassen konnte, und er war zu unruhig, um sich auf ein Gespräch oder überhaupt auf irgendeine Beschäftigung länger zu konzentrieren. Er dachte an das Haus in Rom und an seinen Vater. War es am Ende doch falsch gewesen, einfach abzureisen? Obwohl er noch am Vortag voller Abenteuerlust gewesen war, überkam ihn ein unbequemes Gefühl von Heimweh. Lucius schien, wie so oft, seine Gedanken zu erraten und zu spüren, dass dies nicht der richtige Moment für launige Tiraden war. Einmal mehr war Caius überrascht, dass sein Freund, der von allen irgendwie gemocht, von vielen aber wegen seiner lauten Fröhlichkeit für oberflächlich gehalten wurde, ein feines Gespür für die Stimmungen anderer hatte. Lucius legte ihm die Hand auf die Schulter. So standen sie eine Weile an die Bordwand gelehnt.

»Mein Onkel hatte vor ein paar Jahren auch einen Schlaganfall«, sagte Lucius irgendwann wie aus heiterem Himmel. »Er war damals Quaestor. Nach vier Wochen saß er schon wieder in seiner Amtsstube und ließ die Untergebenen strammstehen. Es gibt Leute, die sind nicht kleinzukriegen.«

Caius verstand, was Lucius ihm sagen wollte, und lächelte dankbar. Die Geschichte mit dem Onkel hatte Lucius sich wahrscheinlich mehr oder weniger ausgedacht. Dennoch tat es gut, einen Freund zu haben, vor dem man sich nicht verstellen musste.

Endlich, es ging auf Mittag zu, kam hinter einer besonders engen Flussbiegung am linken Ufer eine Insel in Sicht, die einen großen Hafen mit Lagerbauten und belebten Anlegern beherbergte. Wie in Mogontiacum lagen auch hier dicht an dicht die Kriegsschiffe vertäut, daneben Lastkähne in allen Größen. Eine Brücke verband die Insel mit dem benachbarten Flussufer. Dahinter wurde im Näherkommen eine Stadt sichtbar, die größer war als alles, was sie seit der Überquerung der Alpen gesehen hatten. Mehrstöckige Gebäude aus Ziegeln ragten aus dem Gewürfel von Holzhäusern empor. Ein Palisadenwall begrenzte die Stadt scharf nach außen und reichte bis zum Ufer, wo er durch einen wuchtigen Wehrturm abgeschlossen wurde. Grauer Rauch stieg in kleinen, fast schnurgeraden Säulen überall aus dem Dächermeer zum Himmel. Neben der Brücke erhob sich auf einem gewaltigen Sockel ein Tempel, dessen von schlanken Säulen gebildete Fassade über den Fluss blickte wie ein Sprachrohr, das die Stimme der Götter ans andere Ufer des Flusses tragen sollte. Oppidum Ubiorum.

An Bord erwachte nun alles zum Leben. Der fette Kapitän bequemte sich auf das Achterkastell und rief einen unverständlichen Befehl in eine offen stehende Luke hinein. Unter Deck waren Kommandos zu hören, und die Ruderer wechselten den Takt, um das Schiff von der Mitte des Flusses behutsam nach links zu schieben. Der Hafen schien sich zu öffnen wie ein flacher Schlund. Es dauerte nicht lange, dann lag das Schiff an einem der Stege fest, und die Mannschaft machte sich daran, die Vertäuung der Wagen zu lösen. Caius und Lucius schickten einen der Leibwächter in die Stadt, um eine geeignete Herberge zu suchen. Als er zurückkehrte, waren die Wagen von Bord gebracht und die Pferde angespannt. Die beiden Jungen nahmen in ihrem Reisewagen Platz, und die kleine Kolonne setzte sich wieder in Bewegung. Es ging durch großzügig angelegte Straßen, die anders als in den gewachsenen Städten Italiens genug Platz für zwei in entgegengesetzter Richtung verkehrende Fuhrwerke boten. Eine Baustelle reihte sich an die nächste. Überall entstanden Geschäfte, Inschriften wurden angebracht. Und obwohl ihm alles von der Architektur der Gebäude bis hin zur Kleidung der Arbeiter vertraut vorkam, hatte Caius das merkwürdige Gefühl, dass hier etwas anders war als zu Hause. Es dauerte eine Weile, bis er dahinterkam, was ihm unterbewusst aufgefallen war: Hier gab es keine Müßiggänger. Jeder hatte irgendetwas zu tun.

Nach fünf oder sechs Biegungen hielten die Wagen an. Sie standen vor einer Herberge. Vor dem Wagenschlag erschien ein Mann, der sie mit fremdartigem Akzent überschwänglich begrüßte und dann unaufgefordert begann den Komfort des Hauses anzupreisen. Seinem Wortschwall konnte man entnehmen, dass es hier neben zahllosen anderen Annehmlichkeiten eine eigene kleine Thermalanlage gab. Das aufdringliche Gerede des Mannes unterschied sich in nichts von den wortreichen Ausschmückungen, mit denen die Wirte zu Hause noch die schimmligste Absteige als komfortable Unterkunft verkauften. Sie lernen wirklich schnell in der Provinz, dachte Caius.

Nachdem das Gepäck in den tatsächlich sehr sauberen und geräumigen Zimmern verstaut war, nahmen Caius und Lucius ein üppiges Mittagessen ein und machten sich auf den Weg, um Kontakt mit Silanus aufzunehmen. Sie fragten sich zum Stabsgebäude in der Mitte der Stadt durch, das noch nicht fertig errichtet war. Hinter einem weitläufigen Peristyl lag ein unverputzter Zentralbau, dessen rechte Seite bis zum Dach eingerüstet war. Von oben erklang das Hämmern von Dachdeckern, die irgendwo im Gebälk herumstiegen.

Als sie das Gebäude betraten, roch es nach frisch zurechtgesägtem Holz. Die Amtsstuben, die rechts und links von der Eingangshalle abzweigten, waren schon voll eingerichtet. Ein paar Offiziere standen herum, und Schreiber wieselten mit Stapeln von Wachstafeln hin und her. Gegenüber dem Eingang war eine offen stehende zweiflügelige Schiebetür in die Wand eingelassen. Sklaven schleppten eine Kline in den Raum dahinter, wo irgendetwas aufgebaut wurde. Alle schienen damit beschäftigt, eine größere Veranstaltung vorzubereiten.

Caius rief einen der umhereilenden Schreiber zu sich. »Wir suchen den Tribun Publius Cornelius Silanus«, sag te er knapp, aber höflich. »Er gehört zum Stab der XVIII. Legion.«

Der Angesprochene wusste sofort Bescheid. »Gestern war er hier«, sagte er, ohne nachzudenken. »Und heute Abend findet die große Besprechung mit dem Statthalter und den Legaten statt«, fuhr er fort. »Da wird er auf jeden Fall dabei sein. Was wollt ihr denn von ihm, wenn ich fragen darf?«

»Er ist mein Onkel«, gab Caius zurück. Angeheiratet, dachte er. Zweiten Grades.

»Ach so«, sagte der Schreiber und blickte etwas unschlüssig. »Wenn ihr ihn vorher treffen wollt, dann versucht es mal in seiner Unterkunft. Er ist bei Sileas in der Herberge. Wenn ihr aus dem Peristyl kommt und euch rechts haltet, ist sie an der Ecke zur dritten Querstraße.«

Caius war erstaunt, wie gut der Mann informiert war. Sie bedankten sich und gingen.

Silanus war nicht in der Herberge, und der Wirt, der die beiden misstrauisch musterte, wusste auch nicht, wo sie ihn finden konnten. Schließlich ließ er sich dazu herab, ihnen zu sagen, dass Silanus um die zehnte Stunde einen Umtrunk in der Gaststube zu sich zu nehmen pflegte. Weil bis dahin noch viel Zeit war, beschlossen Caius und Lucius sich in der Stadt umzusehen. Sie tauchten ein in das Stimmengewirr aus keltischen, germanischen und lateinischen Lauten, schoben sich durch das geschäftige Gedränge des Forums, blieben hier und da stehen und betrachteten die Auslagen der verschiedensten Marktstände.