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Silanus lehnte sich noch weiter zurück. Er schien nur auf Stichworte zu warten, die ihm Gelegenheit zu weiteren Tiraden gaben. »Eine Thermalanlage!«, rief er in spöttischer Anerkennung. »Da bekommt ihr was zu lachen. Sie gehen ins Bad und machen sich einen Spaß daraus, wer am längsten im kalten Wasser sitzen kann. Und wenn sie vor Kälte blau angelaufen sind, springen sie ins heiße Wasser, trinken unverdünnten Wein und warten, bis sie rot werden.«

»Und dann laufen sie grün an, weil ihnen schlecht wird«, gab Caius zurück, doch als Silanus auflachte, bereute er seinen Einwurf schon wieder. Er wollte sich nicht zum Komplizen dieser giftigen Boshaftigkeit machen. Schnell bemühte er sich vom Thema abzulenken und sachlich zu werden. »Wie lange bist du schon hier oben?«, fragte er.

»Viel zu lange«, antwortete Silanus in gespielter Erschöpfung. »Ein Dreivierteljahr. Eine Woche hätte gereicht.«

»Und bist du schon auf der anderen Seite gewesen?«

»Nein. Aber ich muss auch nicht hin, um mir vorstellen zu können, was einen da erwartet. Ihr müsst verrückt sein, dass ihr euch das freiwillig antut.« Er wandte sich an Lucius. »Quintus schrieb mir, dass dein Vater dort eine Silbermine gepachtet hat?«, fragte er.

»Blei«, sagte Lucius.

»Soso, Blei. Passt auch eigentlich besser in dieses Land. Glanzlos und schwer.« Silanus, der den letzten Satz mehr zu sich selbst gemurmelt hatte, beugte sich vor. »Also, wenn ich das richtig verstanden habe, geht ihr mit uns über den Rhein, und du machst dann einen Abstecher zu dieser Mine. Caius bleibt bei der Armee und schaut sich an, wie unser Statthalter seine Provinz aufbaut.«

»So ungefähr«, sagte Caius.

»So ungefähr«, wiederholte Silanus und verzog die Mundwinkel. »Ein etwas unüblicher Beginn für eine Karriere.«

»Mein Vater meint, dass man auf diese Weise mehr lernt«, sagte Caius. »Und der Princeps glaubt das auch.« Der letzte Satz hatte etwas trotzig geklungen.

»So ist das«, gab Silanus etwas nachdenklich zurück. »Mit dem Segen von ganz oben.« Er überlegte kurz. »Dann will ich mal sehen, was ich für euch tun kann«, sagte er schließlich mit gönnerhaftem Unterton. »Ich muss jetzt zu einer Besprechung im Stabsgebäude. Ihr könnt mich ja begleiten und wir unterhalten uns unterwegs weiter.« Er rollte den Papyrus ein, leerte seinen Becher in einem Zug und verzog den Mund, während er aufstand. »Hier habt ihr ohnehin nichts verpasst. Sie verpanschen den italienischen Importwein mit der Brühe, die sie aus ihren sogenannten Weinbergen holen. Aber immer noch besser als dieses grässliche Bier.«

Sie traten auf die Straße und wandten sich nach links. Silanus war erstaunt, dass die beiden den Weg zum Stabsgebäude kannten. Es war ihm unvorstellbar, dass man sich in einer Stadt wie dieser freiwillig und mehr als eben nötig zu Fuß bewegte.

Im Peristyl des Stabsgebäudes herrschte reger Betrieb. Überall standen in kleinen Gruppen hohe Offiziere aus allen fünf Legionen der Rheinarmee herum. Silanus grüßte nach links und nach rechts, blieb bei einigen der Männer kurz stehen und tauschte ein paar Floskeln aus. Seine manierierte Art, die in dieser Gesellschaft offenbar nicht angebracht war, war fast vollständig von ihm abgefallen. Caius und Lucius hielten sich im Hintergrund und wussten nicht recht, wie sie sich verhalten sollten. Nach einer Weile stellte Silanus sie einem jungen Centurio aus der ersten Kohorte der XIX. Legion vor, Lucius Licinius Galerius, der sie auf unkomplizierte Art in ein freundliches Gespräch verwickelte. Silanus schien nur darauf gewartet zu haben, seine beiden Gäste loszuwerden, mit denen er in dieser Umgebung wenig anzufangen wusste.

Die Gesellschaft war bald auf etwa vierzig Personen angewachsen, zwischen denen Sklaven hin und her eilten, die Getränke und kleine Häppchen anboten. Gedankenverloren wurden Becher ergriffen. Uniformteile und Abzeichen glitzerten. Nach und nach begaben sich die Männer in die Vorhalle, in der Caius und Lucius vor einigen Stunden den Schreiber nach Silanus gefragt hatten. Die Tür zum großen Besprechungsraum stand immer noch offen. Mehrere Gruppen von Klinen waren um Tische angeordnet, auf denen sich die Köstlichkeiten stapelten. Der fensterlose Saal wurde von Feuerschalen erhellt. Schatten tanzten unruhig über die Wände, während der Vorraum vom Gemurmel der gedämpften Unterhaltungen widerhallte.

Nach einer Weile ging ein Raunen durch die Menge, die Gespräche wurden leiser und verstummten schließlich fast ganz. Alle blickten zum Eingang, wo nun eine Gruppe von Prätorianern erschien. In ihrer Mitte betraten drei hochgewachsene Männer den Raum. Caius erkannte Rullianus, der in der vollen Rüstung eines Legionslegaten und mit herrischem Blick die Halle durchmaß; an seiner Seite ein anderer Legat. Das muss Vala sein, dachte Caius noch, dann fiel sein Blick auf den dritten Mann, der jetzt zurückfiel, weil er stehen geblieben war, um mit einem Tribun aus der Gruppe der Anwesenden ein paar Worte zu wechseln. Er trug einen versilberten Brustpanzer und einen weißen Umhang mit Goldborte. Seine Gesichtszüge waren scharf geschnitten, was durch den hohen grauen Haaransatz noch unterstrichen wurde. Tiefe Furchen zogen sich von den Mundwinkeln zur Nase hin. Sein Gesicht wirkte freundlich und hatte dennoch die Entschlossenheit eines Befehlshabers. Jetzt nickte er kurz, schlug dem Tribun freundschaftlich lächelnd auf die Schulter und holte dann mit federnden Schritten zu Rullianus und Vala auf, die ihrerseits sofort von anderen in Gespräche verwickelt worden waren. Caius ließ ihn nicht aus den Augen. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke, ein fragender Ausdruck huschte über das Gesicht des Statthalters, dann war seine Aufmerksamkeit schon wieder woanders.

Schließlich forderte er die Umstehenden mit einer ausholenden Geste auf, den Besprechungsraum zu betreten. »Wir fangen an!«, rief er in die Runde und trat durch die Tür, ohne sich noch einmal umzudrehen. Die gelassene Sicherheit, mit der er sich im Zentrum des Geschehens bewegte, hatte etwas Unwiderstehliches, und Caius musste unwillkürlich an den Princeps denken. Die Anwesenden formierten sich zu einem lockeren Schwarm und folgten Varus, der im Halbdunkel hinter der Schiebetür verschwand.

Silanus löste sich aus der Gruppe der Eintretenden und raunte Caius im Vorbeigehen zu: »Ihr könnt da nicht mit rein. Wir sehen uns hinterher!« Dann schloss er sich einer Gruppe von Offizieren an, die, gedämpft plaudernd, die Eingangshalle hinter sich ließ. Caius und Lucius blieben allein und unbeachtet zurück, während die letzten Schreiber in ihre Amtsstuben abtauchten.

»Varus«, murmelte Caius versonnen. »Ich wüsste ja zu gern, was die da drin jetzt zu besprechen haben.«

Lucius grinste unternehmungslustig. »Dann sollten wir keine Zeit verlieren«, raunte er seinem Freund zu.

Caius verstand nicht. »Wie meinst du das?«

»Komm mit«, wisperte Lucius, obwohl niemand mehr in Hörweite war. »Wir haben einen Tribünenplatz für die Vorstellung.« Er zwinkerte Caius zu, bevor er sich zum Ausgang wandte.

12

Es war ein windstiller Tag, und der Rauch des fast heruntergebrannten, mit Steinen eingefassten Feuers im hinteren Teil des Hauses zog nur schlecht durch das Loch in dem strohgedeckten Dach ab. Unter der Decke wanderten dicke Schwaden entlang, verdichteten sich und füllten den Raum. Das bis zum Boden reichende Dach wurde von geraden, kräftigen Eichenstämmen getragen, die auf beiden Seiten der Halle in regelmäßigen Abständen schräg in der Erde steckten und unter dem First zusammenstießen, sodass das aus einem Raum bestehende Gebäude wie ein überdimensioniertes Zelt aussah. In der Mitte waren nebeneinander zwei Tische aufgestellt, an denen etwa zwanzig Personen Platz genommen hatten, getrennt nach Geschlechtern.

Fastrada hockte auf einem Schemel mit Blick zum Tisch der Männer zwischen ihren beiden jüngeren Schwestern Asbirg und Amalberga, ihr gegenüber saß ihre Mutter Eldrid, daneben ihre Tante Reinswind, die einen schlafenden Säugling auf dem Arm hatte, und schließlich ihre Großmutter Swingard, die müde dreinblickte und sich an den Gesprächen kaum beteiligte. Am Tisch der Männer hatten sich aus Fastradas Familie nur ihr Vater Inguiomer und ihr Cousin Irmin niedergelassen. Die anderen waren Gäste, Adlige von den Stämmen der Marser und Brukterer, die für einige Tage bei ihnen zu Besuch waren und die meiste Zeit des Tages damit zubrachten, mit Irmin und den Männern aus seiner Familie auf die Jagd zu gehen. Wenn sie am Abend nach Hause kamen, fanden sie sich ohne die Frauen in der großen Halle ein und besprachen Dinge, die offenbar niemanden etwas angingen, denn sie bewirteten sich allein, während vor dem Haus zwei grimmig dreinblickende Wachen standen. Dass die Männer an diesem Tag schon mittags wieder zurück waren, war ebenso eine Ausnahme wie die geduldete Anwesenheit der Frauen. Soweit Fastrada wusste, sollten die Besucher nach dem Essen weiterreiten, und das war ihr nur recht, denn die unverschämten Blicke, mit denen einige von ihnen sie bisweilen taxierten, gefielen ihr ganz und gar nicht. Auch jetzt fühlte sie sich belästigt. Überhaupt war ihr die ganze Atmosphäre dieser Zusammenkunft unangenehm; neben der herablassenden Art der Gäste ihr und den anderen Frauen gegenüber störte sie auch die Gleichgültigkeit, mit der ihr Vater und die anderen Männer dieses in ihren Augen anmaßende Verhalten duldeten. Und während an ihrem Tisch aus Holzschalen gegessen wurde, tafelten die Männer mit kunstvoll verzierten, dünnwandigen Tonschüsseln und tranken aus Glasbechern. Sie saßen auf römischen Klappstühlen mit Messingbeschlägen, die Inguiomer erst vor Kurzem irgendwo am Rhein besorgt hatte. Alles an ihrem Tisch war kostbar und passte nicht zu den oft rüpelhaften Sitten, die nach einigen Bechern Wein auch die Gastgeber nicht mehr zu stören schienen. Sie wollen sein wie die feinen Römer, dachte Fastrada. Benehmen sich feine Römer auch so?