Выбрать главу

Nach einer Weile ebbten die Gespräche ab, weil Varus aufgestanden war. Die Sklaven zogen sich zurück und die Stille wurde greifbar. Der Statthalter wartete noch eine Zeit lang, um den Effekt seiner Ansprache zu steigern. Dann hob er seinen Becher und begann die Anwesenden in der Reihenfolge ihres Ranges zu begrüßen, indem er sie einzeln ansprach. Er ließ keinen aus, stellte einige vor, die erst vor Kurzem zur Rheinarmee gestoßen waren, und sparte dabei nicht mit gefälligen Scherzen in freundschaftlichem Ton, die vergangene Heldentaten der Angesprochenen in ironischer Übertreibung zum Thema machten.

»Komm zur Sache«, murmelte Lucius. Caius stieß ihn mit dem Ellenbogen an, musste aber grinsen.

Schließlich brachte Varus einen Trinkspruch auf die Anwesenden aus und kam dann tatsächlich zum Thema. »Wir sind heute hier, um die letzten Fragen für den bevorstehenden Feldzug zu besprechen«, sagte er und blickte in die Runde. »Ich will euch, liebe Freunde, nicht mit den Einzelheiten der Aufmarschpläne langweilen«, fuhr er lächelnd fort. »Wir werden nachher einige Berichte aus Germanien hören, die heute eingetroffen sind und uns über die von Marbod geschürten Unruhen im Osten der Provinz informieren. Also schlagt euch den Bauch nicht zu voll, denn ich werde hinterher noch ein paar Fragen stellen. Wer einschläft, muss den Rest unserer Zusammenkunft im Stehen verfolgen.«

»Auf einem Bein!«, rief einer der Tribune. Vereinzeltes Gelächter war die Antwort.

»Ein gewagter Vorschlag aus deinem Mund, Ateius!«, gab Varus schlagfertig zurück. »Ich hörte von Tiberius, dass du im vorletzten Jahr in Pannonien mitten im Kampf im Kommandozelt eingeschlafen sein sollst!«

»Die Schlacht war gewonnen«, antwortete der Zwischenrufer, schon etwas leiser.

»Dank deiner Zurückhaltung?«, setzte Varus nach. Wieder brandete Gelächter auf. Varus lachte gutmütig mit. Als die Männer sich beruhigt hatten, hob er noch einmal seinen Becher. »Doch nun geht zum Mahle, damit wir rüsten den Angriff!«, rezitierte er auf Griechisch.

»Homer scheint er zu mögen«, murmelte Caius.

»Ein ziemlich genussfreudiger Achilles«, war die Antwort von Lucius.

Unten klatschte Varus in die Hände. »Wo wir schon beim Thema sind«, rief er, »seid ihr bereit für die trojanische Sau?« Während die Anwesenden in anerkennende Zurufe ausbrachen, öffnete sich nun die Schiebetür. Zwei Sklaven rollten einen Tisch herein, auf dem ein gebratenes Schwein lag, dessen aufgedunsener Bauch geöffnet und wieder zugenäht worden war. Als der Tisch in der Mitte des Raumes zum Stehen gekommen war, ging Varus mit einer Verneigung zurück zu seiner Kline und nahm Platz. Die beiden Sklaven begannen die Naht aufzutrennen. Eine Flut von Würsten und gedünstetem Gemüse ergoss sich aus dem Bauch des Tieres auf eine silberne Platte und eine frische Duftwelle wallte durch das Gebälk zu den beiden Jungen empor.

Lucius seufzte. »Das wird dauern«, raunte er Caius zu. »Jetzt können wir uns stundenlang Köstlichkeiten anschauen, die wir nicht essen dürfen. Sollen wir nicht doch zum Hafen gehen und uns selbst den Bauch vollschlagen? Ich habe da heute Morgen im Vorbeigehen eine Taverne gesehen …«

Caius, dessen Neugier stärker war als sein Hunger, grinste und stieß seinem Freund erneut den Ellenbogen in die Rippen. »Du wolltest unbedingt auf dieses Gerüst klettern und lauschen. Jetzt schauen wir uns das zu Ende an!«

»Aber der Wirt hat zwei ganz außerordentlich reizende Töchter«, quengelte Lucius weiter. »Habe ich durchs Fenster gesehen.«

»Ich dachte, du willst keine Köstlichkeiten anschauen, die du nicht essen darfst?«, gab Caius flüsternd zurück. Lucius kicherte in sich hinein und gab sich geschlagen.

Unten wurden jetzt die Sau und ihr Inhalt verteilt. Es folgte ein ausgiebiges Mahl – zwei Stunden, in denen Caius und Lucius nicht nur das Wasser im Mund zusammenlief, sondern auch die Füße einschliefen. Dennoch blieben sie, als ob sie eine unbestimmte Ahnung teilten, dass hier noch etwas zu erfahren war. Nach dem Essen traten zwei Boten auf, die Briefe aus der germanischen Provinz verlasen. Einer stammte vom Lagerkommandanten von Castra Lupiana, der ersten Station des bevorstehenden Feldzugs. Er enthielt nicht viel Neues, und schon bald machten sich unten, begünstigt durch das Essen und den immer noch in Strömen fließenden Wein, Ermüdungserscheinungen breit. Alle schienen erleichtert, als der erste Bote abtrat und Platz für den zweiten machte. Sein Brief war von Caius Julius Arminius, dem cheruskischen Stammesführer im römischen Ritterrang und Befehlshaber der von seinem Stamm gestellten Hilfstruppen.

»Von dem war beim Princeps die Rede«, flüsterte Caius seinem Freund erklärend zu. »Irgendwie scheint der ihm nicht ganz über den Weg zu trauen.«

Lucius sagte nichts und lauschte angestrengt, was der Bote vortrug. Der Brief war in vollendetem Stil verfasst. Arminius erging sich in geschliffenen Freundschaftsbekundungen gegenüber Varus, kam dann aber doch schnell zur Sache. Er berichtete über wachsende Unruhe bei den suebischen Stämmen und warnte vor Marbods Intrigen. Er versicherte den Statthalter der Loyalität der germanischen Hilfstruppen, betonte aber, dass die drei Legionen in seinem Gebiet dringend gebraucht würden, um an der Grenze ein Exempel zu statuieren. Sobald auch der zweite Bote geendet hatte, ergriff Varus noch einmal das Wort und bekräftigte seine Entschlossenheit, dauerhaft für Ruhe in der Provinz zu sorgen. Als er die wachsende Zerstreuung seiner teilweise schon ziemlich betrunkenen Zuhörer bemerkte, beendete er seine Ansprache mit einem weiteren Seitenhieb auf Ateius, der noch einmal für Gelächter sorgte. Dann löste er die Veranstaltung auf. Caius und Lucius blickten sich enttäuscht an.

»Das war schon alles?«, fragte Lucius ungläubig. »Ich dachte, wir erfahren hier ein paar pikante Details aus dem Ankleidezimmer des Statthalters. Stattdessen nur trojanische Würste und das Geschwätz eines Offiziers der Hilfstruppen.«

Auch Caius war unzufrieden, und dennoch hielt ihn etwas zurück. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, als die meisten der Anwesenden aufbrachen. Die Schiebetür wurde von einem Sklaven geöffnet und die Männer verließen in kleinen Gruppen den Raum. Aus dem Augenwinkel sah Caius, dass Lucius sein Gesicht von dem Spalt zwischen den Dachpfannen gelöst hatte, aufgestanden war und sich die Beine vertrat. Der Raum unter ihnen hatte sich inzwischen fast geleert, nur Varus und Rullianus standen noch zwischen den Tischen. Als Varus sich ebenfalls zum Gehen wandte, hielt Rullianus ihn am Ärmel fest und sagte ihm etwas ins Ohr. Der Statthalter stutzte und blickte den Legaten fragend von der Seite an, der jetzt dem an der Tür stehenden Sklaven mit einer Handbewegung bedeutete, sie allein zu lassen. Die Tür wurde erneut geschlossen und das sich entfernende Stimmengewirr erstarb.

Caius traute sich kaum zu atmen. Ohne den Blick von dem Spalt zu wenden, tastete er nach Lucius und zupfte ihn am Ärmel. Sein Freund trat rasch neben ihn, lehnte sich gegen das Dach und klemmte sich hinter den Spalt. Ein leises Zischen entfuhr seinem Mund, als er wieder nach unten blickte. Einige der Fackeln waren heruntergebrannt und die Atmosphäre hatte mit einem Mal etwas Gespenstisches.

Varus und Rullianus standen dicht voreinander, und in der plötzlichen Stille war jedes ihrer Worte zu verstehen.

»Was ist denn noch?«, fragte der Statthalter.

»Das müsstest du besser beantworten können als ich«, entgegnete Rullianus mit einem Unterton, der einem Vorgesetzten gegenüber einen fast schon anmaßenden Klang hatte. »In Rom sind unerfreuliche Gerüchte über dich im Umlauf.«

Trotz der Distanz sah Caius, dass es im Kopf des Statthalters arbeitete. Er musterte Rullianus taxierend. Falls er wusste, was dieser andeuten wollte, spielte er die Rolle des Ahnungslosen recht überzeugend. »In Rom sind immer Gerüchte im Umlauf«, erwiderte er vage. »Über mich, über dich. Rom ist eine Suppenküche.«