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Nachdem Caius und Lucius in einer Taverne gegessen hatten, schlenderten sie zum Fluss und schauten eine Weile dem Übersetzen der Soldaten zu, bis sie genug davon hatten. Anschließend machten sie sich daran, die Abreise für den nächsten Tag zu organisieren. Ein Schiffer war schnell gefunden, der sie am Morgen in aller Frühe auf die andere Seite bringen wollte. Den Rest des Tages verbrachten sie damit, in der Gaststube zu lesen, bis sie müde wurden. Noch bevor die Dunkelheit hereinbrach, legten sie sich schlafen. Nach den langen Reisetagen tat es gut, zeitig ins Bett zu kommen.

Am nächsten Morgen sprangen sie wieder mit dem ersten Hahnenschrei auf die Beine. Das Gepäck war schon reisefertig und so ratterte der kleine Zug bereits nach einer halben Stunde in Richtung Anleger. Der Schiffer stand bereit, und ein Wagen nach dem anderen kroch über die vordere Laderampe auf den Kahn, während der Himmel sich im Osten langsam rosa einfärbte. Als das schwerfällige Ungetüm von sechs kräftigen Männern mit Stangen in Bewegung gesetzt wurde, tauchte die Sonne am Horizont auf. Caius stand allein an der vorderen Rampe des Kahns. Lucius und die anderen schnarchten in den Wagen um die Wette. Das Boot trieb fast unmerklich stromabwärts und entfernte sich langsam vom Ufer. Noch eine Stunde, dann bin ich in einer anderen Welt, dachte Caius. Mal sehen, was dieser Wald so für Überraschungen bereithält. Eine merkwürdige Aufbruchsstimmung beschlich ihn. In den vergangenen Wochen hatte er oft gezweifelt, ob es richtig gewesen war, diese Reise zu unternehmen. Und ausgerechnet jetzt, wo es wirklich ernst wurde, war er entspannt wie schon lange nicht mehr. Während sich die Sonne langsam über den Wipfeln der germanischen Wälder am anderen Ufer emporarbeitete und die ersten Strahlen tastend über die ruhig vor sich hin gluckernde Haut des Flusses streiften, fühlte er sich stark genug, jeder Gefahr zu begegnen, die sich ihnen entgegenstellen würde.

Es wurde noch einmal ein anstrengender Reisetag, aber die beiden Freunde hatten sich schnell wieder an das Geschaukel des Wagens gewöhnt. Durch das Fenster sahen sie die endlos lange und endlos langsame Reihe der Transportkähne, die von knietief im Wasser watenden Soldaten geschleppt wurden. An einigen Stellen staute sich alles, weil Menschen und Lasten von den großen auf kleinere Kähne umgeladen wurden. Noch vor dem Mittag hatten sie die Spitze der Kolonne überholt, und wie Silanus vorausgesagt hatte, standen sie am späten Abend vor dem Tor des Legionslagers Castra Lupiana. Nachdem sie sich ausgewiesen hatten, ließen die Wachen sie ein und führten sie zu Servius Tullius Onager, der im Stabsgebäude mit zerzausten Haaren und in Gesellschaft von ein paar Offizieren der unteren Ränge bei einem Gelage saß, offensichtlich schon stark angetrunken war und sich für ihr Vorhaben nicht weiter zu interessieren schien. Er rief einen Soldaten zu sich und gab ihm den Auftrag, den hohen Herren, wie er mit einem Anflug von Spott bemerkte, eine angemessene Unterkunft zuzuweisen. Im Schein von Fackeln wurden die beiden in ein nicht besonders sauberes Gebäude geleitet. Sklaven bereiteten in aller Eile ein Nachtlager und entfernten sich dann. Und wieder sanken Caius und Lucius ohne viele Worte in die Betten.

Am nächsten Morgen wachte Caius von selbst auf. Die Sonne schien schon hell durch die Ritzen der Fensterläden. Er hatte keine Ahnung, wie spät es war, fühlte sich jedoch zum ersten Mal seit Tagen wieder richtig ausgeschlafen. Er wusch sich im Halbdunkel, zog sich an und ließ Lucius schlafen. Als er durch die Tür nach draußen schlüpfte, fiel ein Lichtstrahl auf das Bett seines Freundes, der sich grunzend auf die andere Seite wälzte.

Caius trat auf die Lagerstraße, auf der einige Handwerker, aber kaum Soldaten unterwegs waren. Das Lager hatte trotz seiner beachtlichen Größe nur eine kleine Garnison, noch nicht einmal die Wachtürme an der Palisade waren besetzt. Ohne recht zu wissen, wohin er eigentlich wollte, ging Caius zum Tor. Die beiden Wachen grüßten gelangweilt, als er an ihnen vorbeistapfte. Nach ein paar Schritten hatte er die Toranlage hinter sich gelassen und stand auf einer Wiese, die rechts von ihm sanft zum etwa tausend Schritte entfernten Fluss hin abfiel. Die Lupia machte an dieser Stelle einen scharfen Knick, und kurz davor befand sich ein Kastell, das ein paar Bootshäuser und einen Anleger schützte. Zwischen dem Lagertor und diesem Kastell herrschte allerhand Betrieb. Dutzende von Frauen und Männern in germanischer Tracht hatten einen kleinen Markt aufgebaut, auf dem vor allem Lebensmittel, aber auch Töpferwaren und Werkzeuge angeboten wurden. Einige waren damit beschäftigt, einfache Stände aufzurichten, andere verkauften die Waren direkt vom Wagen.

Plötzlich wurde Caius’ Aufmerksamkeit von einem Mädchen gefangen genommen. Sie war vielleicht so alt wie er und stand allein neben einem Wagen voller Gemüse. Das hellblonde glänzende Haar fiel ihr in zwei Zöpfen von hinten nach vorn über die Schultern. Sie war zierlich und leicht gebräunt. Ihr Gesicht war schmal und sehr fein geschnitten, und zwei große blaue Augen schauten etwas argwöhnisch umher, als müsste sie sich in einer feindseligen Umgebung behaupten. Sie erinnerte Caius an die jungen germanischen Frauen, die ab und zu auf römischen Sklavenmärkten angeboten wurden und zu schwindelerregenden Preisen in den Besitz von lüsternen, alten Gutsbesitzern übergingen, bei denen ihnen ein tristes Schicksal voller würdeloser und unappetitlicher Nachstellungen bevorstand. Bei näherer Betrachtung bemerkte er aber ihre stolze Haltung, die sie wie eine adlige Römerin aussehen ließ. Im Übrigen war sie in jeder Hinsicht eine Schönheit. Caius dachte an Lucius und musste grinsen. Wenn hier die Bauernmädchen alle so aussehen, dachte er, dann werde ich Lucius in Ketten legen müssen, wenn ich ihn jemals nach Rom zurückbringen will. In diesem Moment traf ihn ihr Blick.

16

Fastrada stand vor dem Karren, auf dem sich Säcke und Körbe mit Erbsen, Bohnen, Emmer, Hirse und früh geernteten Äpfeln stapelten, und fühlte sich völlig fehl am Platz zwischen den Bäuerinnen und Bauern, die zum Teil noch mit dem Aufbau ihrer Stände beschäftigt waren. Das Maultier hatte sie ausgespannt und weiter hinten angepflockt, wo es nun träge mit einigen anderen Zugtieren abwechselnd graste und döste. Geschwätz umwehte sie. Sie schaute sich um. Niemand schien Notiz von ihr zu nehmen. Zu ihrer Erleichterung erblickte sie kein bekanntes Gesicht in ihrer Umgebung. Neugierige Fragen, was denn wohl die Tochter von einem der bekanntesten Stammesführer der Cherusker hier zu suchen habe, standen ihr also nicht bevor. Es war sowieso ziemlich unwahrscheinlich, dass man sie im Land der Brukterer kannte. Die Nacht hatte sie auf dem Gehöft eines Freundes von Irmin verbracht, ebenfalls ein Brukterer, der über den ungeheuerlichen Plan ihres Cousins und ihren Auftrag informiert war. Dort war sie auch mit den Requisiten ihrer Tarnung ausgestattet worden: dem Maultierkarren, der Ware und der kratzigen Bauernkleidung. Sie hatte das Gefühl, als stünde es auf ihrer Stirn geschrieben: Ich bin hier, um zu spionieren.

Ihr Blick schweifte über den Lagerkomplex, der aus mehreren Anlagen bestand. Das Hauptlager thronte hinter einem doppelten Graben und einer Palisade auf einer sanften Anhöhe und das Tor war schon geöffnet. Zwei Legionäre standen vor der Durchfahrt. Ansonsten hatte sich von den Römern noch niemand blicken lassen. Unterhalb des Lagers plätscherte der Fluss dahin. Hinter einer Schleife lag eine locker gestreute Ansiedlung, in der sich Handwerker und Händler vor allem aus dem Stamm der Brukterer, aber auch aus dem der weiter südlich beheimateten Marser angesiedelt hatten, um Geschäfte mit den Römern zu machen. Und gute Geschäfte schienen in der Tat bevorzustehen: Wie sie von Irmin wusste, war vom Rhein her eine gewaltige Streitmacht aus drei Legionen im Anmarsch, die sich hier sammeln und dann weiter ins Land marschieren sollte – ins Land der Stämme, die sie für ihre Verbündeten hielten, und schließlich in die Falle, die Irmin und seine Mitverschwörer vorbereiteten.