An den anderen drei Seiten wurde der Vorplatz durch Mauern begrenzt, die ebenfalls mit weißen Marmorplatten verkleidet und mit einer vorgelagerten, umlaufenden Säulenreihe verziert waren. Zwischen den Säulen standen schwarz glänzende Hermen der fünfzig Töchter des Danaos. Der Kontrast zwischen dem dunklen und dem hellen Marmor sah edel, aber auch kühl und irgendwie unerbittlich aus. Caius wurde klar, dass sie nur noch wenige Mauern von dem Mann trennten, der über Millionen von Menschen gebot.
Die Träger hoben die Sänften lautlos an und entfernten sich. Caius hörte Schritte und drehte sich um. In die der Tempelfront gegenüberliegende Wand des Vorplatzes war ein Portal eingelassen, das von zwei Hünen bewacht wurde. Wie in Stein gemeißelt standen sie in der Paradeuniform der Prätorianergarde da und blickten mit blauen Augen ins Leere.
Caius hatte von der geheimnisvollen Leibwache des Princeps gehört, aber noch nie einen ihrer Angehörigen zu Gesicht bekommen. Sie wurden nicht aus den Legionen rekrutiert, sondern irgendwo im Norden bei den Batavern angeworben – Leute, die niemand kannte. Von den anderen Prätorianern wurden sie gehasst. Für sie war es unerträglich, dass der Princeps diesen stummen Barbaren sein Leben anvertraute. Caius musterte die beiden riesigen Männer mit den versteinerten Gesichtern kurz. Unüberwindlich und unbestechlich, dachte er. Bessere Leibwächter konnte es nicht geben.
In diesem Augenblick erschien ein Sklave in einer grünen Tunika im Halbdunkel des Portals. »Dann wollen wir mal«, sagte Quintus und schritt voran, auf den Eingang zu. Caius folgte seinem Vater. Als er zwischen den Batavern durchging, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Die beiden Männer waren mehr als einen Kopf größer als er, und obwohl sie weiterhin bewegungslos dastanden und geradeaus blickten, fühlte er sich von ihnen beobachtet. Kurz rechnete er damit, plötzlich mit eisernem Griff gepackt zu werden, dann war er auch schon vorbei und trat in das schummerige Licht eines Ganges, der nach wenigen Schritten nach rechts abknickte. Der Sklave mit der grünen Tunika trat rückwärts in die Ecke, um sie vorbeizulassen. Caius ging dicht hinter seinem Vater, der dem Sklaven im Vorübergehen lächelnd einen freundschaftlichen Klaps auf den Oberarm gab. »Anaximandros«, sagte er nur. Es hatte nichts Gönnerhaftes. Caius war beeindruckt, mit welcher Selbstverständlichkeit sein Vater sich in den Räumen des mächtigsten Mannes der Welt bewegte. Es schien hier weit weniger förmlich zuzugehen, als er erwartet hatte, und irgendwie beruhigte ihn das. Du wirst dich wundern, was der Princeps für ein Mensch ist, hatte sein Vater gesagt. Na dann.
Ohne Eile schritten sie eine Rampe hinab, die nur von kleinen Feuerschalen erhellt wurde. Danach durchquerten sie einen kleinen Raum mit sehr hoher Decke und reich bemalten Wänden.
Wieder mussten sie an zwei bewegungslosen Leibwächtern vorbei, dann standen sie unter den Säulen eines eleganten Peristyls. Quintus schritt die drei Stufen zum Innenhof hinunter. Einen Augenblick später war Caius neben ihm.
Im Innenhof stand mit dem Rücken zu ihnen ein mittelgroßer grauhaariger Mann mit weißer Toga, der einem Sklaven ein paar Anweisungen gab. Als er fertig war, nickte er aufmunternd und legte kurz die Hand auf die Schulter des Sklaven, der sich sofort entfernte und zwischen den Säulen des Peristyls verschwand. Der Mann mit der Toga schien noch einen kurzen Moment nachzudenken, dann drehte er sich langsam zu Caius und seinem Vater um, als hätte er die ganze Zeit gewusst, dass sie dort warteten. Der Anflug eines Lächelns streifte sein Gesicht. Es war das Gesicht eines älteren Mannes, doch seine aufmerksamen Augen, die vollen grauen Haare, die seine hohe Stirn einrahmten, und nicht zuletzt der ironische Zug um seinen Mund machten ihn jünger. Während Caius sich noch fragte, wie alt der Mann sein mochte, kam dieser mit ein paar ausladenden Schritten auf sie zu. »Castor«, sagte er und legte Quintus beide Hände auf die Schultern. »Immer wieder eine große Freude, dich hier zu sehen.«
»Und immer wieder eine große Freude, hier zu sein, Princeps.«
Caius durchfuhr es wie ein Blitzschlag, als ihm klar wurde, wen er da vor sich hatte. Wie selbstverständlich war er davon ausgegangen, dass der grauhaarige Mann selbst ein Besucher war, vielleicht ein Legionslegat oder Provinzstatthalter im Ruhestand, der hier wie sie darauf wartete, bei Augustus vorgelassen zu werden, der seinerseits irgendwo in einem Audienzsaal auf einem purpurbezogenen Sessel thronte – riesig, alterslos und unnahbar wie die sitzende Jupiterstatue im Tempel auf dem Kapitol. Dieser Augustus war nicht riesig und nicht alterslos und schon gar nicht unnahbar, als er sich jetzt Caius zuwandte und ihm ebenfalls die Hände auf die Schultern legte. »Du bist Caius«, stellte er fest, dann beugte er sich vertraulich vor. »Dein Vater erzählt viel von dir.« Er richtete sich auf. »Oder sollte ich das nicht sagen?«, fragte er in Richtung Quintus.
»Es wird den letzten Rest von Bescheidenheit in ihm auslöschen«, entgegnete dieser.
»Mit Bescheidenheit sind wir früher auch nicht weitergekommen«, gab der Princeps zurück. Aus seinen Worten sprach ein Standesbewusstsein, das ohne jede Eitelkeit auskam. Augustus wies mit dem Kopf zu der Seite des Säulenumgangs, auf dem die Sonne stand. »Gehen wir doch rein«, sagte er wieder an Quintus gewandt. »Ich habe da ein Tröpfchen aus Hispanien, so was hast du noch nicht getrunken.«
Caius war völlig überrumpelt von der ungezwungenen Natürlichkeit ihres Gastgebers, dem sie nun in den Schatten folgten. Sie durchquerten eine Vorhalle und betraten einen großen Raum, an dessen drei geschlossenen Seiten ein umlaufendes Podium aus Marmor verlief, das rechts und links jeweils über drei Stufen betreten werden konnte.
Oberhalb des Podiums waren die Wände mit perspektivischen Landschaftskulissen dekoriert, unterbrochen von aufgemalten Säulen und dunkelroten Bildfeldern mit feingliedrigen Gestalten aus der griechischen Mythologie. Außer vier Faltsesseln mit Messingbeschlägen und dunkelroter Bespannung war der Raum leer.
Augustus wies seinen Gästen zwei Sessel zu und nahm zwischen ihnen Platz. Augenblicklich erschien ein Sklave in der Tür. »Dann bring uns mal den hispanischen Zaubertrank«, befahl der Princeps gut gelaunt. »Den nehmen wir ausnahmsweise mal unverdünnt.«
Der Sklave verschwand. Hinter der Wand war ein zweimaliges Händeklatschen zu hören, und sofort erschienen zwei weitere Sklaven, die einen kleinen dreibeinigen Tisch hereintrugen, auf dem eine Karaffe und vier sehr schlanke Becher aus Glas standen. Während einer der beiden fast lautlos den strohgelben Wein eingoss, reichte der andere zuerst dem Hausherrn, dann den Gästen die Becher. Anschließend entfernten sich beide wieder.
»Diesen Wein trinken wir mal lieber langsam«, sagte Augustus und lehnte sich behaglich zurück. »Er hat es in sich, aber ich bringe es nicht über mich, ihn mit Wasser zu verpanschen. Das ist, als würde man in eine Linie arabischer Rennpferde auf einmal Esel einkreuzen. Und wir wollen unseren Verstand ja nicht unfruchtbar machen.« Er hob den Becher mit einer lässigen Geste ein Stück an. Der Wein schien gut gekühlt zu sein, denn das dünne Glas war schon beschlagen.
Sie nippten an den Bechern. Der Wein war stark und dennoch sehr fruchtig. Fast sofort spürte Caius, wie er sich im Kopf bemerkbar machte. Seine Anspannung lockerte sich.
Nach einem kurzen genießerischen Schweigen ergriff Augustus wieder das Wort. »Eigentlich gehört es sich nicht, dass man anfängt, bevor alle da sind. Aber Appius Aemilius Rullianus wird sich etwas verspäten. Wie ihr wisst, hat er sich auf eine wichtige Aufgabe vorzubereiten.« Wieder streifte die Lippen des Princeps der Hauch eines ironischen Lächelns. Obwohl Caius keine Ahnung hatte, wovon die Rede war, fühlte er sich geschmeichelt, dass Augustus ihn ganz selbstverständlich als Eingeweihten in den politischen Gedankenaustausch einbezog. Aber von welcher Aufgabe war die Rede?