Die Spannung stand im Raum wie schwüle Luft vor einem Gewitter, das jeden Augenblick losbrechen kann. Aus den Augenwinkeln sah Caius, dass Lucius sich vorgebeugt hatte und an den Lippen von Varus hing, der nicht recht zu wissen schien, wo er anfangen sollte.
Schließlich nahm er einen Schluck Wein und begann zu sprechen. »Vor fünfzehn Jahren war ich Statthalter in Syrien, wie ihr wahrscheinlich schon herausgefunden habt«, sagte er mit dem Anflug eines ironischen Lächelns. »Es gab damals in Judäa, also südlich der Provinz, einen König Herodes, der als Monarch von unseren Gnaden das Land regierte. Ein alter Fuchs, der sich im Laufe seiner Regierungszeit beinahe die ganze Region zwischen Syrien und Ägypten unter den Nagel gerissen hatte. Leider litt er unter Verfolgungswahn und rottete fast seine ganze Familie aus, weil er meinte, dass jeder ihm nach dem Leben trachtete.« Varus machte eine kleine Pause und schob mit einem dünnen Lächeln hinterher: »Ein Verdacht, der wiederum nicht immer völlig aus der Luft gegriffen war. Nun, wie dem auch sei, auch der Princeps traute Herodes nicht über den Weg, und eine meiner Aufgaben bestand darin, dem Alten auf die Finger zu sehen. So verbrachte ich manchmal zwei Wochen am Stück in Jerusalem, wo er mich in einem ziemlich luxuriösen Gästehaus nicht weit von seinem Palast untergebracht hatte. Ich ging bei ihm ein und aus, nahm an allen Beratungen teil, ließ mir die Baustellen zeigen, schickte ihm Spezialisten, ging mit ihm auf die Jagd, inspizierte die Armee mit seinen Heerführern, tafelte mit ihm und seinem Hofstaat, und anschließend schrieb ich Berichte darüber an Augustus. Herodes wusste das natürlich, und er tischte immer mächtig auf, um mich und damit Rom zu beeindrucken und von seiner Zuverlässigkeit zu überzeugen. Eines Abends gab es mal wieder ein größeres Gelage bei Herodes, als eine Gruppe von Parthern gemeldet wurde. Das war zunächst nichts Besonderes, es kamen ja ständig irgendwelche Gesandtschaften an. Diese drei aber waren merkwürdig, und als sie den Saal betraten, war mir sofort klar, dass sie nicht in offiziellem Auftrag unterwegs waren. Ich hatte als Statthalter selbst oft genug parthische Diplomaten empfangen, weil deren damaliger König Phraates mit fast schon aufdringlicher Hartnäckigkeit versuchte die Auslieferung von Tiridates zu erwirken, einem seiner politischen Gegner, dem wir in Syrien seit zwanzig Jahren Asyl gewährten, nachdem er einen letztlich erfolglosen Putschversuch unternommen hatte. Tiridates aber war kurz zuvor verschwunden, und keiner wusste, ob er überhaupt noch in Syrien war oder nicht. Ich hätte ihn Phraates ja liebend gern ausgeliefert, um endlich Ruhe zu haben. Aber der Princeps war strikt dagegen, weil er Tiridates als Druckmittel gegen Phraates im Land behalten wollte. Nachdem Phraates uns die bei Carrhae abhandengekommenen Legionsadler zurückgegeben hatte, hatte er ohnehin ziemlich wenig in der Hand, was er uns anbieten konnte.« Bei diesen Worten umspielte ein spöttisches Lächeln die Lippen des Statthalters. Dann nahm er den letzten Schluck aus seinem Becher und erzählte weiter: »Nun, die drei Männer traten also ein und stellten sich mit umständlichen und salbungsvollen Worten vor, wie das bei diesen Orientalen so üblich ist. Wie ich schon vermutet hatte, kamen sie nicht von Phraates. Sie trugen eine nebulöse Geschichte von einer Prophezeiung vor, von einem Stern, dem sie gefolgt seien, um dem Thronfolger zu huldigen. Herodes hatte an dem Abend ziemlich viel getrunken, und während die meisten Leute unter dem Einfluss von Wein vertrauensseliger werden, wurde der Gesichtsausdruck des Königs immer misstrauischer. Sein Verfolgungswahn hatte zu dieser Zeit einen neuen Höhepunkt erreicht, und er hatte gerade drei seiner Söhne auf Verdacht hinrichten lassen. Sein Misstrauen kannte keine Grenzen.«
»Seine eigenen Söhne?«, fragte Caius ungläubig.
Varus nickte. »Aus erster Ehe. Die Mutter der Jungen hatte er schon zwanzig Jahre zuvor ermordet. Das ist bei denen so üblich. Phraates selbst hat seinen Vater und neunundzwanzig Brüder abgeschlachtet. Er musste es tun, um an die Macht zu kommen. Herodes dagegen witterte selbst da Verschwörungen, wo gar keine waren.«
»Da kamen die Parther mit ihrer Thronfolgergeschichte ja gerade recht«, sagte Lucius.
»Allerdings. Außerdem kursierten in jenen Tagen in Judäa die tollsten Geschichten von einem Erlöser, der angeblich der weltlichen Königsherrschaft demnächst ein Ende bereiten sollte. Herodes war aufs Höchste alarmiert. Er versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Aber ich kannte ihn gut genug, um zu sehen, wie es in ihm arbeitete. Er entließ die Parther mit freundlichen Worten und war für den Rest des Abends kaum noch ansprechbar. Ich hatte von Anfang an den Verdacht, dass diese Parther etwas im Schilde führten. Und ich sollte recht behalten. Noch in der gleichen Nacht standen sie bei mir im Gästehaus vor der Tür. Sie hatten einen Kasten im Gepäck. Er war von Tiridates.«
»Ein vergiftetes Geschenk«, murmelte Lucius, woraufhin er sich einen ärgerlichen Blick von Caius einfing.
»So könnte man es formulieren«, sagte Varus, als erinnerte er sich gar nicht daran, dass die Wendung von ihm selbst stammte. »Ich bat sie herein. Und dann packten sie ihr Mitbringsel aus. Ich hatte mit allem gerechnet. Aber nicht damit.«
Caius krallte sich an der Kante der Kline fest. Die Spannung hatte ein fast unerträgliches Maß erreicht, doch in diesem Augenblick näherten sich Schritte auf dem Flur. Varus blickte auf. Die Schritte verstummten vor der Tür und im nächsten Moment wurde angeklopft.
»Was gibt’s?«, fragte der Statthalter barsch.
Die Schiebetür öffnete sich ein Stück und das Gesicht des Sklaven erschien, der Caius und Lucius herbegleitet hatte. Varus tauchte aus den Erinnerungen auf, in denen er sich offenbar verloren hatte. Sein Blick veränderte sich. Er schien sich auf etwas zu besinnen und legte die Stirn in Falten.
»Appius Aemilius Rullianus ist da«, sagte der Sklave in unterwürfigem Ton.
Es darf nicht wahr sein, dachte Caius. Die Tür ging noch ein Stück weiter auf und gab die Gestalt des Legaten frei. Caius erstarrte.
Rullianus füllte den gesamten Türrahmen mit seinem massigen Körper, er trug die Feldherrenuniform mit dem weißen Mantel und dem Schwertgehänge, aber ohne Brustpanzer.
Als er die beiden Gäste sah, erschien ein gehässiger Ausdruck in seinen Zügen. »Hoher Besuch?«, fragte er spöttisch.
Varus straffte sich. Von einem Moment zum anderen war er wie verwandelt, und der zuletzt fast vertrauliche Ton wich aus seiner Stimme. »Seit wann holst du mich persönlich zu den Besprechungen ab?«, fragte er kalt.
»Oh, wir dachten, du hättest es vielleicht vergessen. Der Bote von den Cheruskern ist da. Wir warten schon ungeduldig auf dich. Es gibt ein paar Neuigkeiten von unseren suebischen Freunden.«
»Von unseren suebischen Freunden«, wiederholte Varus mit einem angeekelten Lachen.
»Denen wir die Freundschaft wohl demnächst aufkündigen müssen«, sagte Rullianus.
Varus sammelte sich und schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte, dass die Becher schepperten. »Ich bin sofort da.«
Die Tür wurde wieder zugeschoben, ohne dass sich Schritte entfernten. Caius hörte sein Herz klopfen. Er konnte es nicht glauben. Rullianus schien einen siebten Sinn für den richtigen Moment zu haben. Oder den falschen.
Varus schaute abweisend ins Leere. »Ich muss wahnsinnig sein euch das zu erzählen«, flüsterte er. Dann stand er auf, und als hätte ihm ausgerechnet der Anblick seines größten Widersachers das Bewusstsein für die Autorität seines Amtes und die daraus resultierende Verantwortung wiedergegeben, richtete er sich kerzengerade auf. Seine Stimme war entschlossen und hart, aber immer noch leise. »Ich will, dass kein Wort von dem, was hier geredet wurde, an irgendjemanden gelangt. Ist das klar?«